zum Hauptinhalt
Kämpfer. Regisseurin Obaidah Zytoon (l.) und Anti-Assad-Aktivist Houssam. 2013 wurde er in einem syrischen Militärgefängnis zu Tode gefoltert.
©  Filmfest Venedig

Venedig: Die Syrien-Doku "The War Show": Bomben für die Kamera

Das Filmfest Venedig zeigt die Syrien-Dokumentation "The War Show". Im Interview spricht Ko-Regisseur Andreas Dalsgaard über die Entstehung des Films und die Rolle der Medien bei der Kriegsführung.

Drei Filme zum Krieg in Syrien laufen in den Nebenreihen des Filmfests Venedig, der wichtigste: „The War Show“. Obaidah Zytoon, Radiomoderatorin aus Damaskus, hat ihren Alltag und den ihrer Freunde mit der Kamera begleitet, die Aufbruchstimmung des Arabischen Frühlings, die brutale Reaktion des Regimes, die Militarisierung des Protests. Fast alle Protagonisten sind heute tot, in Assads Gefängnissen verschwunden, oder sie leben im Exil. Eine erschütternde Doku, die nachvollziehbar macht, wie sehr sich Obaidah, Lulu, Hisham, Argha, Houssam und die anderen nach Freiheit sehnen und wie mancher in den Extremismus getrieben wurde. Christiane Peitz sprach mit dem dänischen Regisseur Andreas Dalsgaard, der Zytoon nach ihrer Emigration 2013 half, einen Film aus dem Material zu realisieren. Zytoon selbst gibt keine Interviews, nicht zuletzt wegen ihres Kriegstraumas.

Mr. Dalsgaard, Ihr Dokumentarfilm heißt „The War Show“, warum „Show“ im Titel?

Weil wir zeigen, was zwischen den Bomben geschieht und wie der Krieg das soziale Gefüge verändert. In einer Szene spielt ein Kind mit dem Gewehr des Vaters: Wenn überall Waffen herumstehen und die Gewalt zu einer Normalität wird, verändert das die Gesellschaft. Zweitens ist der Krieg selber eine Show. Der Konflikt in Syrien wird permanent gefilmt, jeder hat ein Smartphone und stellt Bilder ins Netz. Was uns der Wahrheit nicht unbedingt näher bringt, denn gleichzeitig gewöhnen wir uns an ihre Manipulation, die Assads Regime genauso geschickt betreibt wie die Rebellen. So entstehen konkurrierende Narrative, die Kamera spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Der Film thematisiert das, als die Kamera den Rebellen in Saraqeb folgt.

Die Kampfszene in Saraqeb hatten wir zuerst ganz anders geschnitten, sehr dramatisch à la „Black Hawk Down“. Dann machte meine syrische Ko-Regisseurin Obaidah Zytoon mir klar, dass die Rebellen nur deshalb die Regierungstruppen bombardieren, weil die Kamera da ist. Sie ist mehr als ein Zeuge, in Syrien verändert sie die Wirklichkeit. Die Medien tun dies auch, die Staatssender, al-Arabyia, die westlichen Medien.

Die Protagonisten sind normale junge Leute. Sie kiffen, machen Musik, sehnen sich nach Freiheit. Viele von ihnen werden zu Kriegern, als der Arabische Frühling niedergeschlagen wird.

Man sagt uns oft, die Syrer im Film seien so westlich. Dabei sind es einfach nur neugierige, hungrige, coole Leute, die islamische Lyrik aus dem 14. Jahrhundert lesen und gleichzeitig libanesischen Hip- Hop hören oder die Doors. Sie machen Party am Strand, im nächsten Moment demonstrieren sie für Demokratie und werden von Heckenschützen beschossen, wieder im nächsten Moment kämpfen sie mit der Waffe.

Glauben Sie, dass die Lage in Syrien heute weniger heillos wäre, wenn der Westen die gemäßigten Kräfte unterstützt hätte?

Assad hat sich von Anfang an als Beschützer von Minderheiten dargestellt, die von radikalen Extremisten bedroht werden. Das hat das Regime aktiv inszeniert, etwa indem die Geheimpolizei die Al-Nusra- Front und Al Qaida aufwiegelte. Die moderaten Rebellen wurden attackiert, der IS blieb unbehelligt. Einer unserer Protagonisten saß zwei Jahre im Gefängnis, dort gab es eine große Bibliothek, unter anderem mit 3000 verbotenen Büchern, die terroristisches Gedankengut enthalten. So wird auch im Gefängnis der Extremismus genährt. Syrer sind nicht gewalttätiger als andere Menschen; die Situation heute ist auch das Ergebnis einer systematischen Aufwiegelung.

Und die Rolle des Westens?

Der Westen hat sich entschieden, nicht zu handeln, auch als Reaktion auf den Aktionismus der Bush-Regierung nach 9/11. Erst zu viel Action, jetzt zu wenig, das spielte Russland in die Hände. Und den Kriminellen in Syrien: Assads Regime ist zutiefst korrupt und unterdrückerisch. Die Gemäßigten sind entweder tot oder im Exil, es gibt keine starke Bewegung in Syrien mehr, die der Westen unterstützen könnte. Gibt es endgültig keine andere Option zur Alternative Assad – IS? Zumindest können wir analysieren, wie es so weit kommen konnte und die emotionale Seite beleuchten. „The War Show“ ist ein niederschmetternder Film.

Warum gibt Ihre syrische Ko-Regisseurin Obaidah Zytoon keine Interviews?

Sie ist sehr präzise mit Worten, und es ist auch eine Frage des Selbstschutzes. Sie leidet unter dem Kriegstrauma, es ist hart für sie, darüber zu sprechen.

Gibt es auch Sicherheitsgründe?

Obaidah hat sehr früh entschieden, dass sie diesen Film realisieren will, egal wie gefährlich es für sie ist. Aber sie möchte auf keinen Fall andere gefährden. Deshalb spielte die Sicherheitsfrage im Schneideraum eine große Rolle. Wen zeigen wir, welche Gesichter machen wir unkenntlich? Lulu, die jetzt im Exil ist, hat auf der Suche nach ihren Freunden Tausende von Leichen-Fotos durchgesehen und auch Houssam entdeckt, einen von Obaidahs engsten Freunden. In manchen Fällen wusste die Familie noch nichts vom Tod ihres Angehörigen. Wie überbringt man die Nachricht und fragt gleichzeitig, ob man die Bilder des Betreffenden verwenden darf? Es war für uns alle sehr hart.

Andreas Dalsgaard, Regisseur von "The War Show"
Andreas Dalsgaard, Regisseur von "The War Show"
© Filmfest Venedig

Wie kamen Obaidah Zytoon und das dänische Team denn zusammen?

Sie war schon im Exil, als sie uns kontaktierte. Sie hatte hunderte Stunden Material, fand aber nicht die Kraft, es anzuschauen. Ich fungierte anfangs als Berater, dann begaben wir uns in einen permanenten Dialog. Wir hatten das ehrgeizige Ziel, dass sowohl Syrer etwas mit dem Film anfangen können als auch die Mutter des Cutters, die in einer dänischen Kleinstadt lebt. Wir nannten es die Adam’s-Mom-Regel.

Das Schneiden hat fast ein Jahr gedauert.

Es war ein langer Weg, weil es viele Missverständnisse auszuräumen galt. Wie zum Beispiel beschreibt man den Moment, in dem eine Frau ihren Schleier ablegt, ohne dass nur die westliche Erwartungshaltung gegenüber muslimischen Frauen reproduziert wird? Oder wie erklärt man den Begriff Dschihad? Obaidah ist eine Dschihadistin. In unseren Augen sind das Extremisten, dabei bedeutet Dschihad „Das Richtige tun, im Namen Gottes“. Wenn Obaidah „Dschihad“ ruft, beharrt sie auf dieser Bedeutung: dass sie sich von der Unterdrückung befreien will. Wir im Westen hingegen sind überzeugt, dass der sunnitische Glaube und die Demokratie nicht vereinbar sind.

Warum sind solche Differenzierungen so wichtig?

Wir haben uns auf den Begriff Islamismus als Synonym für radikalen Extremismus verständigt. Das ist etwa so, wie wenn man allen Christen unterstellte, sie wollten im Namen Gottes töten. Wir müssen genau überlegen, wie wir die Dinge bezeichnen und welche Folgen das für die Realität hat. Die falschen Labels und Übersetzungen stiften Verwirrung und vermitteln ein Weltbild, das der Wirklichkeit nicht entspricht. Es geht um die Kunst des Zuhörens.

Kann ein Film wie „The War Show“ etwas ausrichten, beim europäischen Publikum, vielleicht auch in Syrien?

Die Lage in Syrien wird sich bestimmt nicht wegen eines Films ändern, ich bin nicht naiv. Sollten wir ihn in einem der von Assad nicht kontrollierten Landesteile zeigen können, wird er vielen nicht gefallen. Wir stellen das Regime infrage, aber eben auch die Rebellen. Wir ergreifen nicht Partei, wir formulieren Fragen. Die europäischen Zuschauer haben vielleicht die Chance, eine humanere Perspektive zu gewinnen. Die Art, wie wir in Europa mit den Flüchtlingen umgehen, wie wir über sie reden, ist eine Schande. Wie fing es an in Syrien, was ist schief- gelaufen? Wovor fliehen die Leute, und was tragen sie in ihrem Innersten mit sich, wenn sie zu uns kommen? Es ist dieses Innerste, auf das es ankommt. Den einen oder anderen regt es womöglich zum Handeln an.

Zur Startseite