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"Leaving is not an option?" Weggehen ist keine Option: Der Titel des HAU-Festivals stammt von Regisseur Mundruzcó.
© Jürgen Fehrmann/Hebbel am Ufer

Ungarn-Festival im HAU: "Bleiben oder gehen? Der Widerspruch steckt in jedem von uns"

Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó über das Theatermachen unter politisch widrigen Umständen und das Ungarn-Festival "Leaving is not an option?" im Berliner Hebbel am Ufer.

Im Berliner Hebbel am Ufer startet am heutigen Sonntag ein einwöchiges Ungarn-Festival mit aktuellen Theaterstücken und künstlerischen Positionen aus dem Land unter der Regierung Orban. Der Theater- und Filmregisseur Kornél Mundruczó, preisgekrönt in Locarno und Cannes, zeigt in diesem Rahmen bis Dienstag sein neues Stück „Dementia, or the Day of My Great Happiness“. Wir haben mit ihm über die politisch widrigen Umstände in seinem Land und die Lage der unabhängigen Kulturszene in Budapest gesprochen.

Herr Mundruczó, der Titel des HAU-Festivals lautet „Leaving is not an option?“. Sie selbst leben und arbeiten trotz der widrigen politischen Verhältnisse noch immer in Budapest…
Das stimmt. Das ist wirklich eine schwierige Frage. Ich lebe in Budapest, bin hier aufgewachsen, bin Ungar von Kopf bis Fuß. Wie könnte man fern der Heimat seine Arbeit leisten, ohne sich seiner Wurzeln bewusst zu sein? Wie kann man dort kommunizieren, Kunst schaffen und eine andere Kultur verinnerlichen? Den Widerspruch überhaupt zu begreifen, der in der Frage steckt, ist vielleicht schon die Antwort.

Ihr Stück „Dementia, or the Day of My Great Happiness“ behandelt die Schließung eines psychiatrischen Krankenhauses. Patienten mit fortgeschrittener Demenz landen auf der Straße.

Das Stück basiert auf einer wahren Begebenheit, die in Budapest jeder kennt. Die Geschichte des Krankenhauses bewegt die Menschen hier sehr. Am Ende von „Dementia“ kommt es zum gemeinsamen Selbstmord, es gibt keinen anderen Ausweg für Patienten und Ärzte. Die Demenz ist meine Metapher dafür, wie die Gesellschaft funktioniert, nicht nur in Ungarn, sondern in ganz Europa. Wir vergessen dass wir Ungarn sind, wir vergessen dass wir Europäer sind. Wir vergessen unsere eigene Geschichte, weshalb sie sich ständig wiederholt. Die aktuelle Lage in Ungarn ist ein ziemlich gutes und extremes Beispiel für die Nöte Europas und dafür, wie schnell Dinge passieren können.

Und was fällt dem Gedächtnisverlust zum Opfer?

Ungarn setzt sich als Nation nicht mit seinen Problemen und seiner Geschichte auseinander. Wir verdrängen die Zeit des Kommunismus, das, was im Zweiten Weltkrieg und was davor geschah. Und das führt zu Frustration.

Der Theater- und Filmregisseur Korn´ll Mundruzóo zeigt in Berlin sein Stück "Dementia".
Der Theater- und Filmregisseur Korn´ll Mundruzóo zeigt in Berlin sein Stück "Dementia".
© Promo

Welche Reaktionen auf Ihre Stücke sind Ihnen wichtiger: die in der Heimat oder im Ausland?

Unsere Stücke sind für Ungarn gedacht. Ich habe aber festgestellt, dass meine ungarischen Stücke immer universeller werden. Zu Beginn spielten wir ohnehin fast nur auf ausländischen Festivals, kaum zu Hause, das hat sich merkwürdig angefühlt. Nun können wir mehr und mehr in der Heimat spielen, es ist toll, ein Publikum in Ungarn zu haben.

Mit dem Proton-Theater sind Sie Teil der freien Szene in Budapest. Wie finanzieren Sie sich?

Unsere Situation ist schwierig, wir werden größtenteils von ausländischen Festivals unterstützt. Das aber bedeutet eigentlich auch Freiheit für uns. Ich habe das aktuelle Stück in Ungarn geschrieben, mein Geld verdiene ich allerdings im Ausland. In Ungarn unabhängig zu arbeiten, ist unglaublich ermüdend. Mit fast 40 frage ich mich, wie lange ich das noch durchhalte. Ich will die Theaterarbeit nicht aufgeben, weil mir die unmittelbare Kommunikation wichtig ist. Aber man arbeitet fast für nichts. Gleichzeitig gibt es eine lebendige Undergroundszene in Budapest, mit vielen guten Theatergruppen. Der Staat versucht oft, sie zu ignorieren, aber gerade diese Ignoranz macht die Szene immer stärker: volle Häuser für uns und andere Gruppen. Jeder weiß: Wenn man wirklich spannende, zeitgenössische Fragen auf der Bühne diskutiert sehen möchte, muss man in die Off-Theater gehen. Darauf kommt es am Ende an: Wir haben Zuschauer, wir haben eine Öffentlichkeit. Das kann Zivilcourage stärken.

In gut vier Wochen wird in Ungarn ein neues Parlament gewählt. Mit welchen Gefühlen blicken Sie dieser Wahl entgegen?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die aktuelle Regierung weitermachen wird. Der Populismus ist eins der größten Probleme in der ungarischen Politik. Die Weigerung, der Realität ins Auge zu blicken. Ministerpräsident Orbán ist meines Erachtens ein echter Populist. Aber auch die Antwort, die die Opposition auf Orbán gibt, ist populistisch. Für wen soll man da sein? Für wen soll man da sein? Wir sind von Manipulation umgeben, auf beiden Seiten. Was sind schon meine Optionen, wenn ich vor der Wahlurne stehe? Wenn ich überhaupt eine Hoffnung habe, dann ist es die, dass wir mit unseren Stücken gegen diesen Populismus ankämpfen können. Dass wir in Metaphern sprechen, damit aber Wahrheiten sagen.
Das Gespräch führte Kaspar Heinrich.

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