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So kannten ihn seine Fans: Georg Kreisler und seine berühmte Hornbrille.
© dpa
Update

Zum Tode Georg Kreislers: Blauer Himmel, schwarze Lieder

In seinen Chansons ließ er Artisten verbrennen, Mörder davonkommen und Tauben vergiften: Ein Nachruf zum Tod des großen Kaberettisten Georg Kreisler.

Früher Kindheitsschreck: der freundlich lächelnde Mann mit der dicken Brille, in dessen Ärmel eine Knochenhand steckt. Das war Georg Kreisler, „Everblacks“ hieß sein Doppelalbum, das damals, in den siebziger Jahren, oft auf dem Plattenspieler der Eltern rotierte. Couplets, Moritaten und Balladen, mit sonorer Stimme zum samtig eleganten Klavier vorgetragen, die das Böse mitten ins Wohnzimmer holten.

Sie erzählten vom „Guaten alten Franz“, bei der Jagd totgeschossen mit dem Gewehr des Freundes, vom Zirkus, der mitsamt Pferden und Clown zur Freude der Zuschauer abbrennt, und vom kriminellen „Mütterlein“, das rät, bei Einbrüchen „Messer immer scharf zu schleifen und nie Revolver anzugreifen“. Auch der walzerselige Aufruf, mit Arsen und Zyankali Gutes zu tun, fehlte nicht: „Schau, die Sonne ist warm und die Lüfte sind lau / Geh mer Tauben vergiften im Park / Die Bäume sind grün und der Himmel ist blau, / Geh mer Tauben vergiften im Park“. Lektionen in Angstlust, eine lyrische Giftapotheke.

Seinen Hit „Tauben vergiften“ konnte Kreisler bald nicht mehr ausstehen, er verströmte einen wohlfeilen Schwarzen Humor, den er peinlich fand. Auch das Attribut „morbide“ wies er zurück. „Was soll an mir morbide sein?“, sagte er 2009 im Interview. „Wenn, dann habe ich Galgenhumor. Wie in diesem alten Wiener Lied, dem ,Krüppellied’: ,Wenn ich mal trüber Laune bin, dann geh’ ich zu den Blinden und lache mir den Buckel krumm, wenn sie die Tür nicht finden.’“

Wien, das war seine hassgeliebte Heimatstadt. In Wien war Kreisler 1922 als Sohn einer jüdischen Rechtsanwaltsfamilie geboren worden, in Wien erlebte er 1938 Österreichs „Anschluss“ an Hitlers Deutschland, Juden wurden angepöbelt, geschlagen, verhaftet, „und die Wiener hatten alle ein Hakenkreuz im Knopfloch“. Er emigrierte über Genua und Marseille nach Amerika und kam ins palmenbestandene Hollywood, „von der Hölle ins Paradies“.

Kreisler, der schon als Kind Klavier und Violine spielen gelernt und sich als Gymnasiast mit Musiktheorie beschäftigt hatte, wollte Dirigent werden. Alteuropäische Träume, mit denen er jenseits des Atlantiks scheitern musste. Er schlug sich als Klavierlehrer, Korrepetitor und Aushilfsmusiker beim Film durch. Wenn Charlie Chaplin in seiner Komödie „Monsieur Verdoux“ Piano spielt, dann hört man dazu den Ton von Kreisler. Das Böse in Person lernte der Musiker 1945 in Deutschland kennen, wo er in US-Army-Uniform Verhöre von NS-Kriegsverbrechern wie Göring, Streicher und Kaltenbrunner dolmetschte. Das Böse machte einen lächerlichen Eindruck: „Es waren hilflose, alte Männer, denen die Hosen rutschten, weil sie keine Gürtel hatten.“

In Berlin hat er ab 1976 zwölf Jahre lang gewohnt

Zurück in Amerika schrieb Kreisler ein Musical und ging nach New York, wo sich aber niemand für sein Stück interessierte. „Und so“ – eine Zwangsläufigkeit, in der Enttäuschung mitschwingt – „kam ich als Entertainer in die Nachtlokale, aber gegen meinen Willen“. Sein bitterer Humor erwies sich als nicht mehrheitsfähig. Die Vertreter der Plattenfirma weigerten sich, seine Platte „Please Shoot Your Husband“ auszuliefern. 1955 war Kreisler wieder in Wien, wo er, neben Kollegen wie Helmut Qualtinger und Gerhard Bronner in der „Marietta-Bar“ und im „Intimen Theater“ zur Kabarett-Attraktion aufstieg. Seine amerikanische Staatsbürgerschaft hat er nie abgegeben, er blieb ein „Fortgeher“.

Ankommen, um fortzugehen, ein Leben auf Wanderschaft. Kreisler lebte, mit seiner damaligen Ehefrau, der Sängerin Topsy Küppers, in München, dann, ohne Küppers, aber mit zwei gemeinsamen Kindern, in Berlin, dann, mit seiner neuen, vierten Ehefrau, der Schauspielerin Barbara Peters, in der Nähe von Salzburg, dann in Basel und zuletzt wieder in Salzburg. In Berlin hat er ab 1976 zwölf Jahre lang gewohnt, er trat bei den „Wühlmäusen“ und „Stachelschweinen“ auf und fühlte sich vom Theater ausgeschlossen. Eine Zeit lang besuchte er sogar eine Einwanderschule in Israel, fand jedoch die Sprache zu schwierig und die Israelis „nicht unbedingt sympathisch“.

Kreislers Lieder sollten „Tragi-Grotesken“ sein, er sprach von „humour noir“. Inmitten aller Katastrophen geht von ihnen große Gelassenheit aus. Den schlaflosen Großstädter tröstet ein Blick in ein Fenster des Hauses gegenüber, aus dem – „Ist das legal? Ist das normal? Ist das erlaubt?“ – ein fahler Schein dringt: „Zwei alte Tanten / Tanzen Tango / Mitten in der Nacht.“ In den Spelunken wird getrunken, Menschen erwachen mit Migränen, Gähnen, Tränen, Hunde heulen, am Meer braut sich Sturm zusammen, „in der Bundeshauptstadt Bonn am Rhein / fürchtet sich der Kommunist / Sollt’ man etwas weiter östlich sein, / fürchtet sich, wer keiner ist.“ Doch die alten Tanten tanzen weiter und weiter.

Vor zehn Jahren hörte Kreisler auf, seine Lieder öffentlich vorzutragen. Stattdessen veröffentlichte er ein Buch nach dem anderen, den Roman „Alles hat kein Ende“, die Autobiografie „Letzte Lieder“ und „Zufällig in San Francisco“, eine Sammlung „unbeabsichtigter Gedichte“. Welche Musik an seinem Totenbett gespielt werden solle, wurde der Musiker gefragt. Die Antwort: „Gar keine. Ich möchte lieber mit meinen Gedanken allein sein, wenn ich noch welche habe.“ Am Dienstag ist Georg Kreisler mit 89 Jahren in Salzburg an den Folgen einer schweren Infektion gestorben.

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