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Was er da wohl liest? Peter Handke mit der Taschenbuchausgabe seiner drei „Versuche“ über die Müdigkeit,
© Zero One Film

Neuerscheinungen zu Peter Handke: Blätter aus dem Niemandsbuch

Peter Handke wird 75 Jahre alt. Dazu widmet ihm seine Kärntner Heimatgemeinde Griffen eine Dauerausstellung mit einem prächtigen Begleitbuch.

Die Marktgemeinde Griffen in Unterkärnten, gut 30 Kilometer von Klagenfurt entfernt, zählt derzeit 3677 Einwohner und 35 Ortschaften. Eine davon, zwischen Schlossberg und Stift gelegen, heißt Altenmarkt oder, nach dem slowenischen Eintrag im Grundbuch, Stara vas. Dort, in einer Keusche, wie man in Österreich die Besitzung von Kleinbauern nannte, bevor das Wort zur abfälligen Bezeichnung für verfallende Gemäuer aller Art wurde, kam am Nikolaustag vor 75 Jahren der Schriftsteller Peter Handke zur Welt. Die Keusche steht längst nicht mehr. Vor über einem halben Jahrhundert wich sie einem Neubau. Überhaupt lässt sich das bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus dominierende vormoderne Gesicht der Siedlung im properen Kärntner Land kaum noch wiedererkennen.

Überlebt hat das Häuschen, im winterlichen Kleid doppelt trostlos, auf einer Schwarzweiß-Fotografie. Neben vielen anderen Aufnahmen aus der Gegend ist sie von Februar an in einer Dauerausstellung zu sehen, die das Stift Griffen dem berühmten Sohn widmet. Ein Stück Geschichtsschreibung nicht zuletzt in eigener Sache, das ohne Handkes internationale Strahlkraft nie zustande gekommen wäre. Überlebt hat es auch in seiner zutiefst autobiografisch geprägten Literatur – nur dass sie sich die Erinnerung als eine Erfahrung einverleibt, die nicht darauf aus ist, eine wiedererkennbare Wirklichkeit zu zeigen, sondern im Erzählen einen aus dem Unscheinbarsten entwickelten Weltzusammenhang herzustellen.

Ein diskreter Autor

Vielleicht ist das die größte Lehre des vorab erschienenen Begleitbuchs mit sämtlichen Exponaten: Wie tief bei Handke alles von Realien durchdrungen ist, wie vollständig er den Stoff seines Lebens aufgesogen hat, aufquellen lässt und in etwas anderes verwandelt. Die von Katharina Pektor herausgegebene opulente Bildbiografie (Jung und Jung, 304 Seiten, 29,90 €) präsentiert Lebenszeugnisse und Manuskripte in unmittelbarer Nachbarschaft, ohne dass man angesichts der Kongruenzen versucht wäre, die einen mit den anderen zu verwechseln. Handke war stets, selbst wo er in „Wunschloses Unglück“ vom Selbstmord seiner Mutter erzählte, ein diskreter Autor, und zugleich einer, der sich mit Haut und Haaren in den Dienst des Schreibens stellte. Sowenig es für ihn ein Leben außerhalb der Literatur gibt, sowenig traut er einer Poesie des frei Erfundenen.

In sieben umfangreichen, ab den 60er Jahren nach Dekaden und darin wiederum nach Werken gegliederten Kapiteln verfolgt der Band Handkes Entwicklung vom Provokateur mit Popstarqualitäten zum altersmilden Epiker der Pariser Vorstadt. Kurze Essays widmen sich dem Filmemacher und Theaterautor, dem Übersetzer oder dem Balkanreisenden. Und auch der Blick in die legendären Notizbücher kommt nicht zu kurz. Für Handke-Leser und alle, die es werden wollen, gehört dieser Prachtband ab sofort zur Grundausstattung

Das Sonderbarste zum Jubiläum ist „Der Holunderkönig“ (Haymon, 200 Seiten, 19,90 €), ein Buch des 1951 geborenen Kölner Künstlers und Autors Rolf Steiner, der Bericht vom langen Aufbruch und kurzen Besuch eines Jüngers beim Meister in Chaville. Durchsetzt mit Handke-Zitaten und getragen von einem fast lächerlichen Willen zur Mimikry, erzählt es von einer Verzückung, die erst spät, mit dem „Versuch über den geglückten Tag“ (1991) einsetzte, seitdem aber ohne ein Minimum an kritischer Distanz wächst und wächst.

Begleitet von einer authentischen, wenn auch mehr als ungleichgewichtigen Korrespondenz zwischen Bewunderer und Bewundertem, legt Steiner Zeugnis von einer ebenso unterwürfigen wie koketten Beziehung ab. Denn während sich der Nusszüchter Steiner dem Pilznarren Handke gewissermaßen von Experte zu Experte nähert, tritt ansonsten ein Kleingärtner einem Weltenbauer gegenüber. Dennoch fühlt er sich bemüßigt, sein Licht nicht völlig unter den Scheffel zu stellen: „Der eine ist berühmt, der andere bestenfalls ein Geheimtipp.“ So wird es wohl bleiben.

Weniger als ein schlechter Witz ist dagegen der „Versuch über das Nichtschreiben“ (Solibro, 96 Seiten, 16,80 €) eines zu Peter Hanke verballhornten pseudonymen Autors. Mit einer Handvoll von Handke-Versatzstücken und vielen leeren Seiten gefällt sich dieses schreib- und denkfaule Büchlein in einer parodistischen Überlegenheit, die man sich gerade bei Handke sorgfältig erarbeiten müsste: Niemand wird sich in dieser Hinsicht gefährlicher als er selbst.

Von der Entfremdung zur Friedensfeier

Weitaus inspirierender ist ein Band des Münchner Kritikers Peter Hamm, der in 13 Rezensionen und Essays aus fast fünf Jahrzehnten die „Stationen einer Annäherung“ (Wallstein, 163 Seiten, 20 €) dokumentiert. Von der wütenden Attacke auf den noch mit sprachkritischen Exerzitien beschäftigten Handke, den er 1969 in der linken „Konkret“ als „neuesten Fall von deutscher Innerlichkeit“ abfertigt, bis zur Lobpreisung des Romans „Der Bildverlust“ als Weltliteratur im Jahr 2002 bietet er klar formulierte Verständnishilfen.

Vor allem wird deutlich, dass sich Hamm nicht einfach bekehren ließ. Handke kam ihm entgegen, erst mit den Entfremdungselegien, wie sie „Die linkshändige Frau“ zelebriert, dann mit den poetischen Friedensfeiern, wie sie seit „Langsame Heimkehr“ üblich wurden.

Man mag beklagen, dass Hamm und Handke darüber – und über das gemeinsame Engagement beim Petrarca-Preis – enge Freunde wurden. In anderen Fällen trübt eine solche Zuneigung vielleicht den Blick. Bei einem so komplexen Autor wie Handke, dem man mit dem üblichen Meinungsgesums von Hymnen und Verrissen nicht beikommt, ist sie eine Voraussetzung dafür, diese Literatur angemessen zu vermitteln.

Wenn Peter Hamm am „Chinesen des Schmerzes“ (1983) hervorhebt, dass es sich um ein „philosophisches Schreiben“ in dem Sinne handle, „dass Gedachtes nicht als Denken vorgeführt wird, sondern wiederum in die bedachten Dinge eingegangen ist – als ihre Erwärmung oder auch ihre Erleuchtung“, dann gilt das noch für Handkes soeben erschienenen Roman „Die Obstdiebin“.

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