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Nena beim Konzert im Berliner SO36.
© Britta Pedersen/dpa

Tourneeauftakt in Berlin-Kreuzberg: Bis ans Ende dieser Welt: Nena im SO36

Wer redet da von Comeback? Nena war nie weg. Und im ausverkauften Kreuzberger SO36, wo sie ihr Album "Oldschool" vorstellt, ist sie super präsent wie immer. Wer da nicht mitsingt, hat keine Stimme.

„Leuschtturm?“ - „Ey, Leuschtturm, oda?“ - „Leuschtturm!!“ Zwei Freundinnen, sie haben sich mühsam Reihe um Reihe vorwärts gezwängt, springen einander an wie Nationalspieler nach dem Finaltor. Unverwechselbares Keyboard-Plingplong, dann: „Ich geh mit dir, wohin du willst / Auch bis ans Ende dieser Welt / Am Meer, am Strand, wo Sonne scheint / Will ich mit dir alleine sein.“

Nena ist Schmidtchen Schleicher mit den elastischen Beinen und 54. Ins SO 36 ist sie eingezogen, einmal längs durch den Saal. Und das Ding mit dem Alter hat die dreifache Großmutter selbst angefangen: Auf ihren aktuellen Album „Oldschool“ gibt es kaum eine Sequenz, die das Voranschreiten der Zeit nicht bespricht. „Oldschool“ ist eine Art musikalische Matrjoschka – die Sängerin thematisiert singend und rappend ihre eigene Musik, den Release ihres Debüts anno 1983, wie sie zu Hause alte Platten auflegt und dabei durchs Haus tanzt. Ein Selbstzitat im Selbstzitat im Selbstzitat, produziert mit viel Elektroschnickschnack von Samy Deluxe. Und wenn irgendetwas klingelt, dann sicher dies: Bereits 2002 hat Nena mit Westbam „Oldschool, Baby“ veröffentlicht.

Es ist unmöglich, sich Nena, diesem schicksalsgläubigen Hagener Riesenherz auf Füßen, ausschließlich mit dem Kopf nähern. Wer keine undichte Stelle hat, dem wird so ein Abend nichts geben. Und diese Frau schafft es verlässlich, diese Stellen aufzuspüren, in Scheinwerferlicht zu tauchen und Nena-Liebe reinzuspülen. Wer als platter Schlauch ins SO 36 schlurfte, rollte als praller Reifen auf die Oranienstraße zurück.

Nena moderiert kaum, zwischen den Songs murmelt sie Sachen wie: „Da war noch was“, „Geil“, „Feuerzeuge. Ja“, „Mutti muss sich setzen“ oder „Hier hab' ich schon so viel erlebt“. Nun ist es ja nichts Neues, dass Nena irgendwie berührt ist. Eigentlich ist das, zumindest vor Publikum, ihr Normalzustand. Doch so konzentriert, bei sich, fast schon ergriffen und auf der Höhe ihrer Kunst war sie selten zu sehen. Nach den Jahren als Castingshow-Jurorin ist sie wieder im Kerngeschäft, und man muss ihr das „Gala“-Fotoshooting nachsehen, bei dem bis auf Sohn Samuel die ganze Familie mit Hunden und Haaren inmitten roter Pompoms posiert..

An den Wänden des SO werben schwarz-weiße Zettel für den nächsten Club-Abend. „Dancing with tears in your eyes – X-Bergs finest 80's Party“. Man wiegt sich in der Gewissheit: Feiner als jetzt kann es nicht werden. Sogar „Ecstasy“, einen Titel ihrer ersten Band The Stripes von 1979, kramt sie aus der Mottenkiste. Das macht NDW-Spaß, c'est fantastique, die Allermeisten schmettern jede einzelne Zeile mit. Selbst die neuen Songs sitzen schon, obwohl die Platte am Konzertabend erst seit zwei Tagen erhältlich ist. Ein paar Kracher sind darunter, ganz sicher potenzielle Hits. Wann wird man sich endlich abgewöhnen, im Zusammenhang mit Nena von Comebacks zu sprechen?

Nena wird von drei ihrer Kinder unterstützt

Mit Nena auf der Bühne stehen ihre superschönen Kinder Larissa, Sakias und Simeon. „Die machen das übrigens freiwillig“, sagt Nena mit Nena-Stimme, Blumenbukett im Kühlhaus. Die Kinder lächeln. In einem Interview hat sie erklärt, sie sei ganz sicher der Chef ihrer Band. Was sie sage, werde auch gemacht. Ungewohnt autoritäre Klänge der Gründerin der notenlosen New School „Neue Schule Hamburg“. Eine Idee, dass nicht alles Leichtigkeit, sondern auch Schweiß sein muss. Beim Konzert bleibt das Theorie.

Der Saal bebt gleichmäßig, auch vor atemloser Rührung, denn Nena singt nun in „Der Bruder“ erstmals über den Tod ihres ersten Sohnes Christopher, der mit elf Monaten starb. Die Scheinwerfer hinter der Bühne leuchten wie Feuerquallen. „Und ich sehe / Du lächelst auf uns herunter / Erinnerst uns / Jeder Tag ist ein Wunder“. Unheimlich, wie Nena diese Zeilen ohne Halskloß vorträgt. Man wartet auf ein Stolpern, Innehalten. Hier keine Moderation, sondern nahtloser Übergang zu „Wunder gescheh'n“, vielleicht um eine Reaktion des Publikums zu vermeiden.

Eine gute Idee, die neue Platte in kleinen Clubs zu testen – die Großarena am Ostbahnhof ist erst am 6. November dran. Ein Frevel. Lieber sollte sie einen Monat jeden Abend im SO 36 spielen, ihrem Ceasar's Palace. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Oder doch? Denn jetzt gibt es Zugaben.

Die Bühne ist in sanftes, cognacfarbenes Licht gehüllt, Nenas Gitarre ist dort, wo sie hingehört. Gekicher: „Was mach' ich jetzt? Fragezeichen?“ Die Kinder nicken. Larissas Locken wippen. Den Einsatz verpasst die Mutter, noch mal von vorne: „Den Kopf voller Dinge / Die man so schnell vergisst / …“ Keine Ahnung, wie oft Nena diesen Song wohl aufgeführt hat – in Japan, in den USA, in England, in der Hitparade, der Deutschlandhalle, den Ruinen des vergangenen Jahrtausends, wo auch immer. Heute Abend singt sie ihn zum ersten Mal.

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