Kunst: Bild der Frau
Quotenfrauen bei der Arbeit haben die drei nicht gemalt, Powerfrauen indessen allemal. Wie Picasso, Beckmann und de Kooning ihre Gefährtinnen abbildeten: eine Ausstellung in München zeigt's.
Ob es dereinst zu einer Quotenregelung in der Kunst kommen wird? Was die Vermittlung von Kunst angeht, sind Kunstwissenschaftlerinnen bereits in der Mehrzahl, und dass sie vor höheren Rängen nicht zurückstehen müssen, beweist Carla Schulz-Hoffmann, die nach 37 Jahren Tätigkeit bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen als deren stellvertretende Generaldirektorin in den Ruhestand geht. Offiziell wurde sie bereits im vergangenen Herbst verabschiedet, aber wie das so ist: Es gibt ein großes Thema, und das will noch bearbeitet werden.
Bei Schulz-Hoffmann, die die dritte der Münchner Gemäldesammlungen, die Pinakothek der Moderne geleitet und sich insbesondere mit dem Werk des in München exzellent vertretenen Max Beckmann beschäftigt hat, lautet das Thema schlicht: „Frauen“. Dreimal prangt das Wort auf dem Umschlag des Katalogs zu der Ausstellung, die Schulz-Hoffmann erarbeitet hat, überall im Haus ist es zu lesen: „Frauen“ Und klein darunter: „Picasso, Beckmann, de Kooning“.
Drei Großmeister der Malerei also, die sich beim Gedanken an Quoten-Kunst geschüttelt hätten vor Lachen, drei Liebhaber der Kunst und mindestens ebenso der Weiblichkeit. Pablo Picasso (1881 –1973) wechselte seine Lebensgefährtin alle paar Jahre, im Katalog werden alle sechs ihren Biografien vorgestellt. Max Beckmann (1884 – 1950) gewann als zweite Ehefrau eine Gefährtin, die deutlich jünger war als er selbst. Nur Willem de Kooning (1904-1997) führte ein recht braves Privatleben, er war zweimal verheiratet. .
„Welche Fragen werfen diese Bilder auf?“, fragt Schulz-Hoffmann einleitend im Katalog, mit dem sie sich und dem Publikum ein bleibendes Geschenk gemacht hat, denn nach dreieinhalb Monaten müssen die 90 hochklassigen Gemälde, die großzügig auf die Räume der Pinakothek verteilt sind, wieder in ihre jeweiligen Museen zurück. Schulz-Hoffman hat aus dem Vollen geschöpft. Allein schon die Vielzahl von Werken de Koonings so kurz nach der (allzu) umfangreichen Retrospektive im New Yorker MoMA belegt, wie gut ihr Netzwerk geknüpft ist.
„Treffen sie heute einen Nerv, sind sie provokant oder in ihrer Haltung hoffnungslos altmodisch, überholt und lediglich männliche Projektionen? Entsprechen sie traditionellen, längst überwunden geglaubten Klischees von Weiblichkeit, oder begegnen uns hier selbstbewusste und selbstbestimmte Frauen, die von ihrem Gegenüber ernst genommen werden?“ Spätestens beim zweiten Lesen merkt man, dass hier Scheingegensätze aufgebaut werden. Natürlich kann eine Frau traditionelle Weiblichkeit ausstrahlen und gleichzeitig selbstbewusst sein.
Wer wüsste das besser als Carla Schulz-Hoffmann aus der Beschäftigung mit Beckmann, der ein großer homme à femmes war, der seine zärtlich „Quappi“ genannte Ehefrau immer wieder im traditionellen Akt darstellte und dennoch – oder gerade deshalb – ihre Eigenständigkeit bewunderte! Überhaupt die Akte: Es gibt sie konventionell in der Pose, auf Bett oder Sofa liegend, avantgardistisch in der Darstellung, bei Picasso kubistisch zergliedert und wieder zusammengeflickt.
Nein, Quotenfrauen bei der Arbeit haben die drei nicht gemalt, Powerfrauen indessen allemal. Vor allem de Kooning malte die formatfüllenden, vor Körperlichkeit nur so strotzenden Frauen geradezu obsessiv. Da kann sich jeder Freud- Adept an die Arbeit machen. Die Schriftstellerin Siri Hustvedt entdeckt in ihrem Katalogaufsatz bei de Koonings Frauen prompt schwarze Penisse und rätselt, ob der Maler dergestalt einen „Anflug von Homoerotik“ abwehrt. Auf späteren Bildern ist genau das erneut zu erkennen, etwa bei „Untitled (Woman)“ von 1966. Aber zu der Zeit, heißt es beschwichtigend, ging es dem Maler nur noch um reine Malerei.
An Genitalien hatte auch Picasso seine Freude, mit zunehmendem Alter umso mehr: Die „Umarmung“ von 1972, ein Spätestwerk, bezaubert durch ihre komischen Verrenkungen, und mit einem Mal erweist sich die spät- oder postkubistische Sichtweise als wahrhaftiger als der fotografischste Naturalismus. Max Beckmann malt seinem „Liegenden Akt“ 1929 pampelmusengroße Brüste, wenn das mal keine „männliche Projektion“ ist! Wie auch das „Atelier (Olympia)“ von 1946, wo der liegenden, langhaarigen Kurtisane ein schwarzer, männlicher Torso gegenübergestellt ist, dem noch dazu am erhobenen rechten Arm die Hand fehlt. Die Unfähigkeit zu malen, die Unmöglichkeit zu lieben – wie gesagt, Doktor Freud könnte in dieser Ausstellung etliche Fallbeispiele sammeln.
Doch sind es zuallererst großartige Kunstwerke, die Schulz-Hoffmann versammelt hat und denen der Ehrgeiz nichts anhaben kann, diesen drei so verschiedenen Künstlern ähnliche Aussagen zum Frausein abzulauschen. Max Beckmann lässt seine Figuren in unterschiedlichste Rollen schlüpfen, als Herrin wie als „Kriechende“ – so der Titel eines Bildes von 1930. Oder als „Damenkapelle“ im Jahr 1940, als er bereits im Amsterdamer Exil lebte und von den Vergnügungen träumte, denen er sich zuvor so gerne hingegeben hatte. Ein Erinnerungsbild, mehr nicht.
Picasso ist der Stilvirtuose, der eben noch die „Große Badende“ im Neoklassizismus kurz nach 1918 darstellt, dann 1923 seine Olga Kokhlova in langweiligstem Naturalismus konterfeit und vier Jahre später die geradezu parodistische Dekonstruktion der „Frau im Lehnstuhl“ wagt. Die Katalogthese, Picasso spiegele in seine Frauenfiguren die Zeitgeschichte, klingt gewichtig. Aber würde man der „Weinenden Frau“ tatsächlich eine solche Bedeutung zumessen, wenn man nicht wüsste, dass das Bild 1937 im Umfeld von „Guernica“ entstand?
De Kooning schließlich, der zum Abstrakten Expressionismus der New York School gerechnet wird, obgleich er doch gerade zu dessen Blütezeit an der Figuration festgehalten hat, verfolgt das malerische Problem der Farbe und ihrer Wirkung, er schmiert und schliert sie schließlich auf die Leinwand. Was für ein Weg von der großartigen „Woman II“ von 1952 zu „Untitled II“ von 1979, wo ihn die künstlerischen Fähigkeiten erkennbar verlassen haben.
Am Ende nimmt Carla Schulz-Hoffmann ihre eigene These zurück. Denn im eher sinnlich-opulent aufgemachten Katalog schreibt sie quasi nebenbei, „dass es um die Selbstinszenierung der Künstler in ihrem Bild von Frauen geht“. In der Tat. Es handelt sich beim Trio Picasso, Beckmann und de Kooning um drei großartige Künstler, drei Persönlichkeiten. Was in München zu sehen ist, ist Kunst, nicht Gesinnung. Wie die Bilder zu verstehen sind, lässt sich mit einer einzigen These ohnehin nicht erfassen. Zum Glück für den Betrachter, der seinen eigenen Augen vertrauen darf.
München, Pinakothek der Moderne, bis 15. Juli. Katalog bei Hatje Cantz, 39,90 €.
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