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Die Neuköllner Oper.
© dpa

"Didi und Stulle" in der Neuköllner Oper: Berliner Schnauze im Belcanto

Schon 2011 gab es in der Neuköllner Oper die Adaption eines Comics. Die neue Aufführung von „Didi und Stulle“ lässt anfangs das Schlimmste befürchten, überzeugt aber doch mit ihrer konsequent durchgeführten Absurdität.

Sie haben es wieder getan: 2011 wagten sich an der Neuköllner Oper Librettistin Anita Augustin, Regisseur Eike Hannemann und Komponist Matthias Herrmann an die Opernfassung des Comic- Klassikers „Das Ding aus dem Sumpf“. Ob es der Erfolg der damaligen Produktion oder andere Drogen waren – irgendwelche bewusstseinserweiternden Stimulanzien haben dazu geführt, dass das Team nun auch Fils „Didi & Stulle“ als Helden einer „Barockoper“ singend auf jene Bretter gehen lässt, die die Welt bedeuten (weitere Aufführungen bis 20. Juli). Nachdem der zur Lautsprecherstimme entmaterialisierte Fil jede Mitwirkung an der Adaption geleugnet und die Zuschauer zum Einschalten ihrer Handys ermuntert hat, scheinen sich die schlimmsten Befürchtungen auch sofort zu bewahrheiten: Zu den Klängen einer barockisierenden Ouvertüre mit Streichquartett, Gitarre und Schlagzeug treten Lars Feistkorn als Didi und Fabiano Martino als Stulle mit Reifrock und umgebundener Schweinsnase vor den sehr roten Vorhang und beginnen, einen typischen Dialog der Prolls aus dem Märkischen Viertel zu trällern.

Das Stockholm-Syndrom lässt grüßen

Innerlich gibt man dem Team nun maximal fünf Minuten, um den unwürdigen Klamauk mit einem rettenden neuen Einfall zu beenden. Vergeblich. Was dann passiert, lässt sich wohl nur mit dem Stockholm-Syndrom erklären: Weil sich die Darsteller (zu denen drei weitere Sängerinnen treten) mit professioneller Hartnäckigkeit weigern, das Scheitern des Experiments anzuerkennen und fortfahren, Szenen auf wild wechselnden, aber im Kern ernsthaft ausgeführten musikalischen Stilebenen nachzustellen, setzt bei den Zuhörern ein schleichender Solidarisierungseffekt mit den Peinigern ein.

Am Ende ist man dann nicht nur bereit, Feistkorn Bewunderung dafür zu zollen, mit welch ungerührter Selbstverständlichkeit er den Berliner Dialekt samt der dazugehörigen leicht angefressen wirkenden Intonation in den Belcanto rettet. Nein, man könnte sich sogar dazu hinreißen lassen, Fils Dialogen unkaputtbare Klassizität zuzusprechen und die Form der Oper in ihrer konsequent durchgeführten Absurdität als eine ihnen angemessene Wiedergabemöglichkeit zu akzeptieren. Was umgekehrt bedeutet, dass der Traum, mit dem Aufdecken von Verwandtschaftsbeziehungen zum neuen Leitmedium Comic auch das Genre der Oper aus alten selbstauferlegten Zwängen zu erlösen, weitergeträumt werden kann.

Carsten Niemann

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