Kultur: Berlinale: Die Hamburg-Connection
Wie findet man einen Berlinale-Chef? Auf die Frage gibt es offenbar so viele Antworten wie Berlinale-Chefs.
Wie findet man einen Berlinale-Chef? Auf die Frage gibt es offenbar so viele Antworten wie Berlinale-Chefs. 1975 zum Beispiel, als Alfred Bauer in Rente ging, versuchte man es mit der guten, alten Zeitungsanzeige. Eine Findungskommission beugte sich über die eingegangenen 15 Bewerbungen. Keine behagte so recht, und doch präsentierte man der staunenden Öffentlichkeit alsbald einen strahlenden Sieger: einen der Findungskommissare selbst, der bei der Nicht-Auswahl der Kandidaten besonders gute Figur gemacht hatte - Wolf Donner.
Als Donner sich drei Jahre später Richtung "Spiegel" abmeldete, verzichtete man lieber aufs Inserieren. Das achtköpfige Kuratorium der Berliner Festspiele spielte selbst Headhunter, redete mit elf Kandidaten und verkündete nach einigen Wochen den neuen Namen selbst: Moritz de Hadeln (hinzu kam die gleichberechtigte Inthronisierung des langjährigen Forums-Chefs Ulrich Gregor). Der chronisch polyglotte De Hadeln erinnert sich heute amüsiert, akzentfreies Deutsch - kleiner Seitenhieb gegen den in dieser Hinsicht strengen Kulturstaatsminister Naumann - sei damals für die Einstellung nicht zwingend gewesen.
Und diesmal, nach der formal regelgerechten Kündigung de Hadelns im April, die freilich von manchen - so unmittelbar nach dem gelungenen Umzug des Festivals an den Potsdamer Platz - als stillos, ja, als "Putsch" betrachtet worden war? Auch wenn Naumann das Gegenteil behauptet: Eine Findungskommission ist nicht am Werk - jedenfalls keine, deren Mitglieder, so diskret sie auch agieren mögen und sollen, namentlich bekannt sind. Auch das Kuratorium ist damals - Kultursenator Stölzl war als Vorsitzender erst wenige Tage im Amt - von der Energie des den Bundesminister vertretenden Knut Nevermann glatt überrumpelt worden. Wer also entscheidet? Nennen wir es die Hamburg-Connection.
Da muss man nur eins und zwei zusammenzählen können. Dieter Kosslick, bislang einziger Kandidat und seit knapp zehn Jahren umtriebiger Chef der finanzstarken Filmförderung Nordrhein-Westfalen, arbeitete auch schon von 1983 bis 1992 in der Filmförderung - in Hamburg. Zuvor schrieb er unter anderem die Reden von Bürgermeister Klose. Minister Naumanns heutige rechte Hand Knut Nevermann, 56 Jahre alt und damit vier Jahre älter als Kosslick, war von 1988 bis 1994 Staatsrat in der hamburgischen Kulturbehörde. Die Verbindung Kosslick-Nevermann gilt als eng. Auch Michael Naumann, 58 Jahre alt, hatte in jenen Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Hamburg, als erst umstrittener, zuletzt erfolgreicher Chef bei Rowohlt (bis 1995).
Noch ist Kosslick, der in seinem jetzigen Job sehr gut verdient und sich dort ziemlich unentbehrlich gemacht hat, nicht gewählt. Das Kuratorium der Berliner Festspiele, das demnächst auch über die Nachfolge des Festspiele-Chefs selbst entscheiden muss, tagt erst am 17. Juli. Aber lässt das auch auf SPD-nahe Verbindung gründende Dreieck Kosslick-Nevermann-Naumann überhaupt noch eine Alternative zu?
Vorbehalte gibt es noch und noch - gegen die Person und gegen das Verfahren. Zwar wird Kosslick weithin als blendender Entertainer, als gewiefter Kommunikator, nun ja, vielleicht auch als "Kungler" für die gute Sache gerühmt - wenn es denn aber ins Cineastische geht und um das nötige Sitzfleisch für die Auswahl dessen, was es zu fördern (oder künftig: zu zeigen) gilt, dann verstummen die Hymnen. Passt so einer, der in knapp 20 Jahren Filmförderung eher als genialer Lobbyist denn als kreativer Wünschelrutengänger zum Begriff geworden ist, an die Spitze eines der drei weltgrößten Filmfestivals? Geht so einer, wenn er sich denn verändern will, nicht besser in die Politik?
Die Frage ist unbequem - vor allem für die, die soeben noch den Abschied vom kauzig-grummeligen de Hadeln bejubelten. Entsprechend lau die Antworten. Nun gut, sagen manche, so ein Berlinale-Chef muss nicht unbedingt selbst cinephil sein. Hauptsache, er ist klug genug, sich mit einem fähigen Auswahlgremium zu umgeben. Andere schlagen vor, neben Oberchef Kosslick, wenn er sich denn politisch schon nicht verhindern lässt, einen künstlerischen Leiter einzusetzen, der sich um die Filme kümmert. Nur reißt das die Debatte um einen kompetenten Kandidaten von neuem auf. Zudem: Wenn es im Konkurrenzverhältnis der Festivals brenzlig wird, hat es erfahrungsgemäß keinen Sinn, einen nachgeordneten Schöngeist in der Welt herumzuschicken, da muss der Chef schon selbst ran. Oder man stellt - nach dem Modell Cannes - einen brillanten Fachmenschen ein, der seinem Vorgesetzten die Show stiehlt, so wie dies jahrzehntelang Gilles Jacob mit Pierre Viot gemacht hat, in schönster Kanzler-Präsidenten-Harmonie. Fraglich nur, ob Kosslick, selbst ein Schau-Steller par excellence, so etwas mit sich machen ließe.
Andere wundern sich überhaupt über die Eile, mit der der Generalist und Kommunikator Naumann den Generalisten und Kommunikator Kosslick durchdrücken will. Zum Beispiel das Auswahlgremium für die letzte De-Hadeln-Berlinale 2001: Vergangene Woche - gut drei Wochen vor dem vermuteten Kosslick-D-Day - plädierte es seelenruhig für die Einsetzung einer "kompetenten Findungskommission"; schließlich müsse der neue Chef erst die Berlinale 2002 inhaltlich bestreiten.
In der Tat, es ist keineswegs zu spät. Ursprünglich hatten auch die im Kuratorium vertretenen Bundes-Ministerialen an diese Art der Kandidaten-Kür gedacht, wie sie nicht nur der besonnene Leiter der Stiftung Deutsche Kinemathek, Hans Helmut Prinzler, für "normal" hält. Auch dem im Raum stehenden Vorwurf der Kungelei könne eine unabhängige Kommission - gerade bei ähnlichem Resultat - "regulierend" begegnen. Schließlich gehe es um ein enorm wichtiges öffentliches Amt. Und, trotz aller Notwendigkeit zur Diskretion in der heißen Kandidaten-Phase: Wer diese Personalie wie eine privatwirtschaftliche Verschlusssache behandele, sagt Prinzler, sei "auf dem Holzweg".
Völlig unklar ist auch, für welche Konzepte Kosslick einsteht. Von Leuten, die seine fröhlich rheinischen Aktivitäten auf Berlin interpolieren, wird ihm eine Popularisierung, Versponsorisierung, ja Trivialisierung des Festivals angedichtet - er selbst hat sich verständlicherweise noch nicht geäußert. Andererseits: Müsste nicht gerade jetzt eine Debatte über die Strukturen der Berlinale geführt werden, bevor also man sich auf einen Namen festlegt - ein Verfahren, wie es etwa der Chef der berlin-brandenburgischen Filmförderung, Klaus Keil, anregt? Schließlich haben sich in 20 Jahren Berlinale mit den immergleichen Gesichtern an der Spitze auch Verkrustungen gebildet, die man beim Namen nennen muss.
Braucht etwa das Festival neben einem konzentrierteren Wettbewerb, dem es vielleicht eine deutlicher getrennte, starbestückte Sonder-Schiene nach einstigem Venedig-Vorbild ("Nacht und Sterne") hinzufügen könnte, noch das Panorama, wie es in der heutigen aufgeblähten Form existiert? Würden nicht maximal 25 Zusatzfilme - wie im "Certain regard" von Cannes - genügen für das, was auch noch ein offizielles Plätzchen bekommen soll? Wäre es zudem nicht ehrlicher, den schwullesbischen Panorama-Schwerpunkt, eine Spezialität der Berlinale, offen herauszustellen? Sollte nicht schließlich auch das unabhängige Forum, durch manche verständliche, in Jahrzehnten gewachsene Autoren-Treue in der Programmierung beengt, sich wieder mehr auf das Neue, das Wagnis, das Junge besinnen - und trotz Bekenntnisses zum Publikumsfestival in der Millionenstadt Berlin ebenfalls mehr Programm-Ökonomie betreiben, die am Ende der Aufmerksamkeit für den einzenen Film zugute kommt?
Zur Zeit gibt es wohl nur einen in der Stadt, der mit einiger Gelassenheit über all diesen Fragen steht: der Geschasste selbst, Moritz de Hadeln. Die Nachfolge-Diskussion will er nicht kommentieren - und merkt nur an, dass sich die, die heute am großen Rad drehen, wohl keine Vorstellung von seiner "job description" machen. Zur Einarbeitung anderer, ergänzt er, habe er nun ohnehin leider keine Zeit mehr. Und kümmert sich, bevor es mit Schwung an die letzte eigene Berlinale geht, erst einmal um eigene Angelegenheiten. Letzte Woche hatte er einen Termin beim Arbeitsgericht. Eine Abfindung sollte sich - Vertrag hin, Vertrag her - doch herausverhandeln lassen.
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