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Cleopatra, gespielt von Valentina Farcas, in "Giulio Cesare in Egitto".
© Lukas Schulze / dpa

„Giulio Cesare“ an der Komischen Oper: Beim Stiefel der Kleopatra

Gewaltiges Bühnenbild, dürftige Musik: Mit ungewohnt wenig Inspiration bringt Lydia Steier in der Komischen Oper „Giulio Cesare in Egitto“ auf die Bühne.

Vor 20 Jahren fällt in München auf offener Bühne ein Dinosaurier um – und verändert unsere Opernwelt mit einem Schlag. Richard Jones’ Inszenierung von Händels „Giulio Cesare in Egitto“ leitet die Eroberung deutscher Spielpläne durch die Barockoper ein. Plötzlich wollen Menschen freiwillig vier Stunden lang Da-capo- Arien hören, in denen die Sänger einsam um ihren Schmerz und ihre Wut kreisen wie fremde, ferne Himmelskörper – entrückt, ganz bei sich. Noch einen anderen wunderbaren Effekt hat die Barockisierung des Repertoires: In der auf die Spitze getriebenen Artistik liegt auch die Chance, auszubrechen aus einem mühsam behaupteten, ermüdenden Bühnenrealismus. Händel ist immer eine Gelegenheit, Herz und Hirn zu befreien.

Diese auch zu nutzen, traut man der Komischen Oper ohne Weiteres zu. Zumal sie mit Lydia Steier eine junge Regisseurin verpflichtet, die das Haus als Assistentin kennengelernt hat, dann loszog, um selber zu inszenieren und nach Erfolgen zurückkehrt: zunächst mit der wunderbar knallbunten Kinderoper „Des Kaisers neue Kleider“ – und nun mit „Giulio Cesare“. Ambitionen sind sofort zu erkennen, der Willen hier eine eigene Sicht zu präsentieren und sich zugleich einzuschreiben in diese verrückten 20 Jahre Barockopernexpedition. Mit seiner abblätternden Decke erinnert Cleopatras Palast an das verlassene Kino, in dem David Alden 2004 „Alcina“ in Szene setzte. Und die mächtigen Krokodile, die in ihren Glasvitrinen grinsen, sind gewiss Nachfahren des Initial-Dinos von München.

Die hohe Kunst des Folterns

Eines jedenfalls sei gleich mal klargestellt: Cleopatra wird als Kind von ihrem noch jüngeren Bruder Tolomeo mit Zuneigung bedrängt. Sie lacht ihn aus, beide kommen aber aus der gegenseitigen Fixierung nicht mehr heraus. Da ist es eigentlich auch egal, welcher Römer gerade Tribut fordern will. Am Nil, wo es aussieht wie auf einem britischen Adelssitz der Opernentstehungszeit, blüht die Perversion. Aber auch sich wehzutun, ist eine Kunst. Und man muss feststellen: An der Komischen Oper wurde schon auf höherem Niveau gefoltert. Wenn dann noch das abgeschlagene Haupt des Pompeo in einer Art Sektkübel vor sich hin glimmt, raucht dem Zuschauer der Kopf: Was um Himmels willen mag hinter dem manischen Bohren in toten Körpern stecken? Wozu muss, an einem Abend, der selbst reichlich Musik mitbringt und diese auch noch durcheinanderschüttelt, Tolemeo unbedingt zu Takten des „Messiah“ aus dem Leben geschnitten werden?

Kein Glanz, keine Funken

Der Aufwand, den die Regisseurin und ihre Bühnenbildnerin Katharina Schlipf treiben, ist gewaltig: parallel verschiebbare Gemächer, mächtige Gelage, Goldlamé. Später wird das faule Gehäuse dann noch dekonstruktivistisch auseinandergezogen. Doch der Ertrag bleibt verstörend dürftig. Weder das Spektakel will recht Fahrt aufnehmen, noch ein Blick in die Figuren gelingt. Deren Darsteller eiern durch den Abend, wie man es an der gut geölten Komischen Oper gar nicht mehr für möglich gehalten hätte.

Das liegt auch an der grundsoliden, diesmal aber wenig inspirierenden musikalischen Leitung von Konrad Junghänel, der aus Händels prachtvollster Opernpartitur nur wenig Funken zu schlagen weiß. In Cäsars Bravourarie muss der Held mühsam zum Jagen getragen werden. Als Bariton hat Dominik Köninger eigentlich auch keine Chance, der Titelpartie Glanz abzuringen. Über seine Koloraturversuche muss man hinweghören.

Günter Papendell als verliebter Folterknecht Achilla und Theresa Kronthaler als rachsüchtiger Knabe Sesto sind die stimmlichen Aktivposten der Produktion. Valentina Farcas schlägt sich wacker unter ihrer Liz-Taylor-Perücke, sollte als heillose Verführerin aber mehr zu bieten haben als Pornostiefelchen. Herz und Hirn? Liegen nach diesem „Giulio Cesare“ in Essig.

Wieder am 6., 11., 14., 27. Juni sowie am 4. und 9. Juli.

Ulrich Amling

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