Techno: Bäuche, Hirne, Mutationen
Krass Bass: Dem Berliner Duo Modeselektor ist mit „Monkeytown“ ein hervorragendes Techno-Album gelungen. Ein Studiobesuch
Ordentlich sieht es aus, das Studio von Modeselektor. Die Drum-Machines und Synthesizer sind sicher auf Regalbrettern verstaut, die Kabel nach Farben sortiert. Die Spuren des Kampfes, der hier, im zwölften Stock des ehemaligen „Haus des Reisens“ am Alexanderplatz, stattgefunden hat, sind beseitigt. Monatelang währte dieser Kampf zwischen der Musik auf der einen Seite und Gernot Bronsert und Sebastian Szary auf der anderen. Gewonnen haben am Ende die beiden Berliner. Nicht „Stadtaffe“ wie bei Peter Fox, sondern Affenstadt, „Monkeytown“ heißt ihr drittes Album.
Ein Interview mit Modeselektor, die sich vor 15 Jahren nach dem Funktionsschalter eines Echo-Effekt-Gerätes benannten, läuft normalerweise so ab: Gernot Bronsert redet sehr viel, Sebastian Szary sehr wenig. Bronsert spricht von „diesem krassen Kreativ-Block“, den er hatte. Von hundert Ideen, die zusammen kein Album ergaben. Von seiner Familie, die sein Jammern über die Blockade irgendwann nicht mehr ertragen konnte. Er spricht von der Platte, die sie „beinahe in den Wahnsinn“ trieb. Szary spricht davon, wie er alleine im Studio saß und wartete. Und wie sich dann, nur zweieinhalb Monate vor Abgabetermin, alles fügte. „Wir sind sehr chaotisch und planlos und haben jetzt wirklich Leute, die wir dafür bezahlen, dass sie uns Deadlines geben.“ Den besten Tipp aber bekam Gernot nicht von diesen Leuten, sondern von Radiohead-Frontmann Thom Yorke, mit dem Modeselektor seit Jahren befreundet sind: „Mach mal keine Musik! Und wenn du das nicht schaffst, keine Musik zu machen, dann nimm dir vor, nur eine Stunde am Tag Musik zu machen!“ Das Ergebnis ist die wahrscheinlich beste Platte, die Modeselektor bis jetzt gemacht haben. Wie gehabt tief im Bass verwurzelt, springen die beiden von Stil zu Stil, wechseln Sounds und Geschwindigkeit. Es gibt wummernde Techno-Bretter und sanfte Tracks, vertrackten Elektro und einen sehr amerikanisch wirkenden R’n’B-Song mit Gastsängerin Miss Platnum. Andere Musiker hätten dieses Lied vielleicht „California“ genannt, Modeselektor nennen es „Berlin“: „Wir wollten eigentlich einfach auf die Platte schreiben: Produced in L.A. Aber die Platte ist jetzt nicht so quatschkopfmäßig geworden, deshalb haben wir es gelassen.“
„Monkeytown“ ist ein echtes Berlin-Album geworden und trotz der stilistischen Sprünge wie aus einem Guss: Sehr elektronisch und so wie in der Stadt selbst tummeln sich auf der Platte Gäste aus aller Welt. Neben Miss Platnum, der „Queen of Balkan Soul“, erzählt der amerikanische Extremmusiker Otto von Schirach vom „Evil Twin“. Die australische Experimentalband PVT ist mit dabei, aus dem amerikanischen HipHop kommen Busdriver und das Antipop Consortium. Thom Yorke, der schon seit Jahren erzählt, wie großartig er Modeselektor findet, ist der prominenteste Gast, seine Stimme wird dabei von Gernot und Szary in ihre Einzelteile zerlegt. Und es gibt einen gemeinsamen Song mit Sascha Ring alias Apparat, mit dem Modeselektor vor zweieinhalb Jahren auf Albumlänge zu dem Projekt Moderat verschmolzen: „Lauter kann man irgendwann nicht mehr werden. Wir haben aber durch diese Moderat-Zeit gelernt, nicht dran zu denken, wie das live sein wird.“
Modeselektor kennen die Techno-Kultur der Stadt, sind hier tief verwurzelt, haben aber im Gegensatz zu Musikern wie Techno-Star Paul Kalkbrenner etwas Neues geschaffen. Wenn es stimmt, dass Tradition nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers ist, wie Komponistenkollege Gustav Mahler vor über hundert Jahren behauptete, sind Modeselektor erbitterte Traditionalisten, die eine ganz eigene Mutation der elektronischen Tanzmusik geschaffen haben, einen tief im Groove wuchernden Hybriden aus Beats und Brain, aus Bauch und Kopf, „Made in Berlin“, im hoch gelegenen Studio direkt neben dem Weekend- Club. Die einzigen Gesetze, die im Modeselektor-Universum zu herrschen scheinen, sind selbst gemacht, es gehe in erster Linie nicht um den Markt, sondern darum, erfinderisch und kreativ zu sein: „Ich finde es wichtig, dass so eine Platte aus Berlin kommt, damit die Kids aus der westlichen Welt, die diesen Berlin-Hype geil finden, sehen, dass Berlin nicht nur Minimal Techno oder Berghain ist, sondern dass es auch was anderes gibt.“
Groß geworden sind Modeselektor beim Berliner Plattenlabel Bpitch Control von Ellen Allien, also dort, wo auch Paul Kalkbrenner lange Zeit seine Musik veröffentlichte und wo man sich lange als große Technofamilie sah. Vor zwei Jahren machten Modeselektor den entscheidenden Schritt: Sie verließen Bpitch, nicht im Streit, aber mit dem Gefühl, dass aus dem „Gemeinschaftsding“ eine Zweckgemeinschaft geworden war. Sie gründeten ihr eigenes Label, nach dem jetzt auch das Album benannt wurde, Monkeytown: „Unser Universum ist immer weiter gewachsen. Wir hatten Lust, eigene Künstler zu fördern, und das konnten wir mit Bpitch nicht machen. Wir investieren viel Zeit und Mühe in andere Musiker. Das haben wir bei Bpitch gelernt“
Auch wenn Modeselektor in Berlin zu Hause sind und hier ebenfalls ihre Fans haben, feiern sie ihre größten Erfolge im Ausland. Vor allem in England ist die extreme Basslastigkeit ihrer Auftritte und DJ-Sets gefragt. Und Thom Yorkes Lobeshymnen dürften auch nicht geschadet haben. „Wir kennen da ja so einen Sänger, der seit 25 Jahren Musik macht“, bringt Gernot das Gespräch auf den zum Teil schon kultisch verehrten Radiohead-Musiker. „Die machen die Platten ja auch nicht, weil sie das Geld brauchen, sondern es geht darum, dass man sich nicht langweilt.“
Von anderen lernen, aber sich selbst dabei nicht kleinzumachen, das ist Teil des Modeselektor-Erfolgs. Ein anderer: sich wichtig zu nehmen, ohne sich wichtigzumachen: „Das Modeselektor-Kochbuch wird kommen, wenn uns keine Platten mehr einfallen“, versprechen die beiden am Schluss des Gesprächs.
„Monkeytown“ erscheint am 30.9. bei Monkeytown Records/Kobalt; Record Release Party: 29.9., 21 Uhr, Astra Kulturhaus
Martin Böttcher
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