Art Basel: Basel: Kapitale der Kunst
Kleiner als der Grunewald, cooler als Berlin-Mitte: Basel ist ein Nest – und gleichzeitig Heimat der wichtigsten Kunstmesse der Welt. Ein Besuch bei den Machern der Art Basel.
Basel ist, man muss es so sagen, ein Nest. Eine Stadt, in der 170 000 Schweizer hautnah an der Grenze zu Deutschland und Frankreich leben, ohne eine Chance zur geografischen Ausdehnung und ohne weltstädtische Flaniermeilen. Über dem Rhein thront das spätmittelalterliche Stadtzentrum, Münster, Fachwerkhäuser, Postkartenidylle. Trams zuckeln durch die Stadt, die „Basler Zeitung“ hält jedoch den Flug nach Berlin und den Zug nach Zürich für die wichtigsten Verkehrsanbindungen. Die Botschaft hinter der Spitze: Wer hier lebt, will raus.
Das stimmt nicht ganz. Spätestens diese Woche sind die Basler stolze Gastgeber, wenn Tausende Besucher aus der ganzen Welt in die Stadt pilgern. Dann macht der internationale Kunstzirkus auf dem Messegelände Halt. Die Art Basel öffnet am 15. Juni ihre Pforten, sie ist die wichtigste Kunstmesse der Welt, laut „New York Times“ eine „Olympiade der Kunst“, im vergangenen Jahr lockte sie 62 000 Besucher an. Und dann entdeckt die Kunstschickeria wieder, dass dieses Nest es in sich hat. Denn Basel bündelt auf einer Fläche, die ein bisschen kleiner ist als der Grunewald, so viel Kunst wie kaum eine andere Stadt.
Über 30 Museen gibt es hier, private wie öffentliche. Mehr als ein Dutzend bedeutende Sammler leben und wirken am Rhein. In Privathäusern hängen Kunstwerke von Hieronymus Bosch über René Magritte bis Jeff Koons, Roststahl-Skulpturen von Richard Serra schmücken den öffentlichen Raum, und der beliebteste Treffpunkt der Basler ist der Brunnen von Jean Tinguely – ein Ungetüm, an dem wild gewordene Feuerwehrspritzen Wasser umherschleudern. Basel ist die heimliche Kunsthauptstadt Europas, so heimlich, dass es mancher Bewohner des Restkontinents noch nicht mitbekommen hat.
„Das ist typisch“, sagt Ulla Dreyfus-Best, die seit mehr als 45 Jahren in der Stadt lebt. „Wir Basler sind keine Show-Macher, wir sind lieber diskret.“ Die gebürtige Kölnerin ist Sammlerin, reich an Einfluss und Vermögen, sie wohnt im Vorort Binningen, sitzt unter anderem im Aufsichtsrat der venezianischen Peggy-Guggenheim-Sammlung und des Londoner Auktionärs Sotheby’s. Jetzt gerade allerdings sitzt sie im Café der Fondation Beyeler und schiebt die Kondensmilch im stillosen Plastikdöschen weit von sich. Die Kellnerin räumt sie blitzschnell ab. Und die Sammlerin, wieder ganz bei sich, sagt: „Unter den Kleinstädten ist Basel die Top-Kunststadt.“
Jeder Besucher sieht das hier, in der Fondation, einem 1997 eröffneten Privatmuseum im Stadtteil Riehen, das aus der Sammlung des 2010 verstorbenen Galeristen und Sammlers Ernst Beyeler hervorging. Es ist mit etwa 350 000 Besuchern pro Jahr eines der meistbesuchten Museen der Schweiz, ein gläserner Kastenbau auf der grünen Wiese, entworfen von Star-Architekt Renzo Piano. Drinnen hängen Claude Monet, Pablo Picasso, Mark Rothko und andere Größen der Kunstgeschichte.
Ulla Dreyfus-Best telefoniert kurz. Es geht um ein Bild aus ihrer Sammlung, das sie an ein Museum in Mailand ausgeliehen hat. Sie sucht einen Lieferschein in den Unterlagen, findet stattdessen ein Originalschreiben von Salvador Dalí und erzählt nebenbei, dass Jeff Koons vorgestern angerufen habe. Von dem amerikanischen Künstler hat sie zu Hause eine Installation, drei Jahre musste sie warten, bis der „Wrecking Ball“ geliefert wurde. Nicht ungewöhnlich im Kunstbetrieb.
„Die Kunst ist mein Leben“, sagt sie. Mithalten kann da nur noch ihre Liebe zur Natur. Mitte der 70er Jahre saß Dreyfus-Best mit dem Sammler Beyeler in Kaiseraugst, um erfolgreich gegen das geplante Atomkraftwerk zu protestieren. Begeistert erzählt sie von einem Schwarz-Weiß-Bild des amerikanischen Newcomers Rob Pruitt, das sie kürzlich ersteigert hat. Darauf zu sehen ist zwischen Bambus und Gras verborgen ein Pandabär. „Ich bin eine schlimme Grüne, aber keine Rote!“
Rosa leuchtet das Jackett-Innenfutter. Die Sammlerin trägt einen braun-weiß gestreiften Hosenanzug, eine pinkfarbene Haarspange als Brosche am Revers und eine Handtasche im passenden Braunton. Sehr elegant, auch wenn der Anzug pures Plastik sei, wie sie zugibt, weil sie dachte, es werde regnen. Ihre langen weißen Haare fallen offen über den Rücken, sie wirkt in der Aufmachung alterslos, und enigmatisch verrät sie nur, dass sie um das Kriegsende herum geboren sei.
1965 kam Dreyfus-Best an das städtische Kunstmuseum, um unter Direktor Franz Meier und Restaurator Paolo Cadorin zu arbeiten – beiden eilte ein exzellenter Ruf voraus. Die junge Frau lernte den Bankier Dreyfus kennen, natürlich über die Kunst, er war bereits passionierter Sammler und ständiger Besucher im Museum. 1970 heirateten sie. Ihr Engagement für die Kunst hatte da bereits eine Feuerprobe erlebt, und wenn Ulla Dreyfus-Best davon erzählt, vom sogenannten Bettlerfest im November 1967, dann geht ein Ruck durch ihren Körper. „Sensationell war das“, sagt sie und haut mit der flachen Hand auf den Tisch.
Damals hingen Gemälde aus der Privatsammlung des Unternehmers Peter Staechelin im städtischen Kunstmuseum. Als ein Flugzeug seiner Charterlinie Globe Air über Zypern abstürzte, geriet der Mäzen in Finanznot, er musste verkaufen, unter anderem zwei Gemälde von Picasso. Das Museum und die Stadt beschlossen, das Geld für den Kauf selbst aufzutreiben. Picasso sollte bleiben.
„Da hat sich plötzlich ein Malermeister, Herr Lachenmeier, aufgeregt, dass Steuergelder für Kunstwerke ausgegeben würden“, erinnert sich Dreyfus-Best. Er sammelte 10 000 Unterschriften und erwirkte einen Volksentscheid. Das stachelte die Kunstsinnigen erst recht an – und sie organisierten das Bettlerfest. „Wir haben die Trams mit Drucken von Picasso beklebt. Wenn die Basler an diesem Tag mit ihr fuhren, mussten sie fünf anstatt einen Franken zahlen, vier gingen in einen Topf für die Bilder. Und die Tram war voll!“
Im Innenhof des Museums standen Buden, an denen schenkte die junge Restauratorin bis spätnachts Bier aus, es wurden Würstchen verkauft und alte Bücher. „Wer besondere Druckgrafiken besaß, riss sie aus Büchern heraus, rahmte und verkaufte sie.“ Die Bevölkerung wurde sensibilisiert und entschied sich beim Volksentscheid für die Picassos – ein bis dahin einmaliger Vorgang. Als der spanische Künstler davon erfuhr, schenkte er der Stadt noch drei Werke, und Maja Sacher, eine Basler Sammlerin und Mäzenin, stiftete im Rausch der Kunstseligkeit auch noch eines dazu.
Ulla Dreyfus-Best glaubt, die humanistische Tradition der Stadt beflügele ihre Haltung. Erasmus von Rotterdam wirkte im Basel des frühen 16. Jahrhunderts. Einer der ersten Verleger, Johann Froben, druckte seine Schriften hier – und Hans Holbein der Jüngere, der 1520 Basler Bürger wurde, illustrierte sie. Das aufstrebende Bürgertum investierte in Kunst. Die erste städtische Kunstsammlung Europas wurde 1662 gegründet – der Grundstock für das Kunstmuseum, das nun im Besitz diverser Picassos ist.
Zum musealen Glanz kam ab 1970 die Messe Art Basel hinzu, der Ritterschlag der zeitgenössischen Galeristen. Aus der ersten kleinen Messe wurde eine Veranstaltung mit über 300 ausgewählten Galerien, die mehr als 2500 Kunstwerke präsentiert und inzwischen einen Ableger in Miami hat und mit der Art Hongkong kooperiert. Dreyfus-Best erinnert sich: „Unser Haus stand von Beginn an offen, wir luden Künstler, Galeristen, Museumsdirektoren und Sammler zu uns ein.“ Der britische Star Francis Bacon wurde auf dem Weg von London nach Italien kurzerhand per Telefon umgeleitet. „Der saß dann auf unserem Balkon, mit seinem Freund George Dyer, und ließ sich volllaufen.“
Damit die Kunst nicht nur im Fachbiotop gedeiht, wagt die Art Basel den Schritt in den öffentlichen Raum. Namhafte Kuratoren stellen an gesondertem Ort moderne Künstler aus, Art Parcours heißt die Nebenreihe, dieses Jahr wird Jens Hoffmann vom CCA Wattis Institute San Francisco das St.-Alban-Tal verschönern, eine abschüssige Altstadtgegend am Rheinufer. „Viele unserer internationalen Gäste haben bis auf die Museen nie wirklich die Stadt erkundet“, erklärt Messedirektor Marc Spiegler den Schritt nach draußen. Ko-Direktorin Annette Schönholzer listet einige der spektakulären Arbeiten auf: „Janett Cardiff und George Miller zeigen eine Licht- und Sound-Installation in einem Wasserreservoir, Kris Martin streut tausende bronzene Konfetti in die serbisch-orthodoxe Kirche.“ Das wird, man kann es vermuten, Aufsehen erregen.
So wie jedes Jahr die Führung mit ausgesuchten Gästen durch das Haus Dreyfus-Best. Die gemeinsame Sammlung führt sie mittlerweile alleine fort, ihr Mann verstarb vor sieben Jahren. Besichtigungen erlaubt sie wenigen Kunstfreunden, das Haus der Mäzenin ist gerüchteweise sagenhaft. Samuel Keller nennt es „die Wunderkammer“. Der 45-Jährige hat bis vor vier Jahren die Art Basel geleitet und steht nun der Fondation Beyeler als Direktor vor. Wenn das Netzwerk für zeitgenössische Kunst sich irgendwo in Basel bündelt, dann in seiner Hand. Die „Le Monde“ nannte ihn den „Mann mit den 60 000 Freunden“, die „Süddeutsche Zeitung“ hält ihn für den „Puff Daddy der Kunstszene“. Er hat der Art Basel zu ungeahnter Popularität verholfen und den Boom der zeitgenössischen Kunst stark gefördert. Keller schätzt die Kunststadt Basel so ein: „Wir können es nicht mit der Quantität in Berlin oder London aufnehmen. Aber mit der Qualität.“
Es ist früher Abend, Keller trinkt ein Bier im Restaurant Kunsthalle, vor der Tür sprudelt der Tinguely-Brunnen, drinnen hängen dunkle Wandgemälde des Symbolisten Arnold Böcklin, auch ein Sohn der Stadt. „In Basel ist hohe bildende Kunst auch immer Volkskunst“, sagt Samuel Keller. Und meint nicht Folklore, sondern von der breiten Masse anerkannte und, ja, manchmal benutzte Kunst.
Als Keller 15 war, da veranstaltete Ernst Beyeler in Riehen eine große Skulpturenausstellung – in dem Park, in dem Keller und seine Freunde Fußball spielten und Mädchen knutschten. „Noch nie hatte ich solche Kunstwerke gesehen“, erinnert sich Keller. Zum ersten Mal lernte er die hageren Skulpturen von Giacometti kennen. Er lungerte mit Freunden auf rostigen Quadern von Richard Serra herum, und eines Nachts wollten übermütige Mitschüler die Würfel vergraben. Aus dem Lausbubenscherz wurde ein Feuerwehreinsatz, weil zwar der erste Würfel in die Grube hineinrutschte, aber einen der Schüler einklemmte. Schwer verletzt wurde zum Glück niemand.
Für den jungen Samuel war der Jungenstreich vielleicht der entscheidende Ansporn, Kunst zu studieren. Später schenkten Nachbarn ihm beim Umzug ein gebundenes Buch, in dem er Reproduktionen von van Gogh fand. „Die habe ich lange wie einen Schatz aufbewahrt.“ Weiter ging die künstlerische Erziehung, als der geplante Schulausflug eines Tages ins Wasser fiel und die Klasse kurzerhand in eine Ausstellung ging. Elf Jahre war Keller damals alt, er erinnert sich bis heute an die alte Fabrikhalle, an Künstler wie Jean Tinguely und Daniel Spoerri, Vertreter des Nouveau Realisme. „Das waren riesige Maschinen, die laut geklappert haben, das hat mich gepackt.“
Die Art Basel hat er als Student erlebt, Mitte der 80er Jahre, als er während der Messe illegale Bars eröffnete und für Kunstzeitschriften schrieb. 1995 wurde er Kommunikationsleiter der Messe, 2000 dann Direktor. Seine Leistung: Er schuf Plattformen für neue Medien wie Film, organisierte erste Projekte im öffentlichen Raum. Und er lud Künstler ein, wie den amerikanischen Konzeptkünstler John Baldessari. Den hat Keller in einer kubanischen Kneipe in Miami getroffen. „Er hat zu mir gesagt: Auf einer Messe, wo die eigenen Werke verkauft werden, fühlt sich ein Künstler wie ein Kind, das seine Eltern im Schlafzimmer beim Sex überrascht.“ Also hat Keller Buchvernissagen, Podiumsdiskussionen und Abendessen organisiert, ein Rundumprogramm – und dann ist auch Baldessari gekommen. So gut hat es ihm gefallen, dass er dieses Jahr wieder dabei sein wird und sogar seinen 80. Geburtstag in Basel feiert.
Was die Großen wie Koons an einer Kleinen wie Basel finden? Sam Keller vermutet: die Intimität, dass sie mal mit der Straßenbahn und nicht mit dem Chauffeur im Maybach fahren, dass es keine Paparazzi gibt – und die Bodenständigkeit. „Millionäre arbeiten hier im Garten, fahren mit dem Fahrrad und kaufen sich ein ganz normales Auto.“ Er selbst fährt einen alten Mercedes Kombi, „mein schwarzer Sarg“, wie er ihn nennt – und als er mit ihm vor einer dunklen Stahltür hinter der Kunsthalle hält, sagt er: „Dahinter versteckt sich eine der größten privaten Kunstsammlungen Europas.“ Natürlich verrät er nicht, von wem. Wir sind schließlich in der Schweiz.
Ja, die Diskretion. Die schreibt man sich groß auf die Fahnen, aber nicht jeder Besucher schätzt sie. „Vor drei Jahren kam Roman Abramowitsch auf die Art Basel“, erzählt Ulla Dreyfus-Best. „Der ist von Galerie zu Galerie gezogen und hat für 20 Millionen eingekauft. Das spricht sich natürlich herum.“ Süffisant ergänzt sie: „Natürlich ist das uns Baslern egal.“
Vielleicht, weil sie genug Kunst in der Stadt haben. Eines Tages könnte die Privatsammlung hinter der Stahltür öffentlich sein oder per Schenkung an ein Museum gehen. So kam Basel zum Schaulager, hervorgegangen aus der Laurenz-Stiftung, oder zum Tinguely-Museum, ein Geschenk der Basler Pharma-Familie La Roche. „Die Sammler in Basel kaufen Kunst nicht als Investition oder aus Spekulationsgründen“, erklärt Sam Keller. „Sie interessiert, wie man ein Bild richtig konserviert, nicht, wie viel es auf dem Markt bringt.“ Und dann sagt er den Satz, den Ulla Dreyfus-Best vorbehaltlos unterschreibt: „Verkaufen ist ein Tabu. Das macht man in Basel nicht, außer man steckt in einer Klemme.“ Wie schön: Das beschauliche Nest pflegt eiserne Regeln.
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