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Richtig gut gelaunt. AnnenMayKantereit, das sind Christopher Annen, Malte Huck, Severin Kantereit und Henning May (von links).
© promo

AnnenMayKantereit in der Zitadelle: Barfuß in Spandau

Die Band der Stunde lädt zum Freiluftspektakel in der Zitadelle. Das ausverkaufte Konzert von AnnenMayKantereit ist eine Gute-Laune-Show ohne Ecken und Kanten - doch das macht nichts. Mittendrin ein herausragender Sänger und eine Überraschung aus Österreich.

Natürlich kehrt für AnnenMayKantereit der Sommer zurück. Wenn es läuft, dann läuft es eben. Und wenn die Band der Stunde zum Freiluftspektakel lädt, dann versteht es sich von selbst, dass der Regen sich auf die Nacht vertagt und Spandau erstmal mit schönstem Open-Air-Wetter aufwartete. Der Gerade-mal-Ex-Schülerband aus Köln scheint momentan einfach alles zu gelingen. Debütalbum Nummer eins, restlos ausverkaufte Tour, schwindelerregende Lobshymnen von allen Seiten… man kommt nicht daran vorbei, die Band mit dem sperrigen Namen, den man sich erst nicht merken kann und dann nie wieder vergisst, irgendwie, irgendwo, irgendwann schon mal gehört zu haben. Also hinein in die Zitadelle, Sommerabend, 17 Uhr, 26 Grad.

AnnenMayKantereit und Freunde steht auf den Plakaten, die den Weg in die Renaissancefestung am Stadtrand säumen. Freunde haben sie viele, wurden kürzlich ausgezeichnet von BAPs Wolfgang Niedecken, waren mit Clueso und den Beatsteaks auf Tour - wer nun aber mit ihnen auf die Bühne sollte, darum wurde im Vorfeld ein großes Geheimnis gemacht.

Coup gelungen, muss man dann sagen, als sich um kurz nach 20 Uhr die ersten Akkorde von „Willkommen im Dschungel“ erklingen und Maurice Ernst, der Frontmann von Bilderbuch, seinen blondierten Schopf von der Bühne streckt und in schönstem Wiener Schmäh "Überraschung" ruft. Bilderbuch, das ist eine dieser schwer angesagten österreichischen Bands und eigentlich ein bisschen zu erfolgreich, um als Vorband aufzutreten, aber wenn AnnenMayKantereit anruft… Es ist jedenfalls ein ziemlich schlauer Schachzug, schließlich hat die Hauptattraktion erst ein Album vorzuweisen und da kann so ein Abend, so lau er auch sein mag, schnell recht kurz geraten. Als das Bilderbuch sich nach 45 Minuten wieder schließt, ist das Publikum schon mal gut vorbereitet, leicht angetrunken, die meisten Stände rund um den Konzerthof haben ihr Angebot zwischen Indian Streetfood und Schnitzelburger ausverkauft, als sie plötzlich dastehen, diese vier Jungs aus Köln, die in ihren ranzigen T-Shirts, immer irgendwie aussehen, als müsste jemand hinter ihnen das Licht in der Aula ausknipsen.

Es ist allein Henning Mays Stimme, die einen herausreißt aus dieser Abistreich-Romantik, als er die ersten Sätze ihres ersten Hits „Wohin du gehst“ ins Mikro krächzt mit diesem unverwechselbaren Timbre, das so verlebt klingt, nach Tom Waits, nach viel zu viel Whisky und durchzechten Nächten. Doch dann steht da dieser Milchbubi, der in Interviews auch noch sagt, Alkohol sei Gift für die Stimme, gerade mal Anfang 20 und so brav, dass der größte Hit eine Liebeserklärung an den Papa ist, doch bis dahin dauert es noch eine gute Stunde.

„Ihr geht nicht!", ruft Henning May von der schlichten Bühne, die nur den Schriftzug der Band ziert, gebastelt aus den Nachnamen der drei Gründungsmitglieder, hinein in den Zitadellenhof, der genau für diese Momente gemacht zu sein scheint, geschmückt mit Sternen-Lichterketten und bunten Luftballons, von denen sich ab und zu einer losreißt in den Spandauer Himmel. „Schön, dass ihr da seid“, ruft May, „dass das Konzert schon lange ausverkauft ist, hat uns verrückt glücklich gemacht“

Passend dazu folgt „Es geht mir gut“. Ein leichter Geruch von Marihuana legt sich über die Zitadelle, das Publikum ist größtenteils im WG-fähigen Alter, mit doch erstaunlich vielen Ausreißern nach oben, deren Textsicherheit dafür spricht, dass sie nicht nur das Auto fahren mussten.

Nein, irgendwie scheint für jeden etwas dabei zu sein, was nicht nur wegen dieser Bubihaftigkeit überrascht, sondern auch wegen der erschreckend fehlenden Bühnenpräsenz vor allem Mays, der entweder lange an seiner Liam-Gallagher-Attitüde gearbeitet hat, oder sich einfach nicht schert um jegliche Art der Performance. „Sie machen Musik so wie sie ihnen gefällt“, heißt es in der Selbstbeschreibung der Band, „wütende Jugend trifft dabei auf einfühlsame Balladen“.

Nein, wütend ist das alles nicht so richtig, manchmal hat Henning May diese Melancholie in der Stimme, dann erinnert er tatsächlich ein wenig an Sven Regener von Element of Crime, nur ohne die Texte, die bei AnnenMayKantereit doch oft im WG-Alltag angesiedelt bleiben. Mit Rio Reiser wird er häufig verglichen, dem großen Musikpoeten-Rebell; anlässlich seines 20. Todestages an diesem Sonnabend wird seiner stadtweit gedacht.

Vielleicht ist es auch wieder nur die Stimme, die May rettet, denn Reiser, das war „Einzimmerwohnung mit Klo auf halber Treppe, ohne Dusche und Telefon" irgendwo in SO36. AnnenMayKantereit ist „Altbauwohnung, zwei Zimmer, Küche, Bad, und ein kleiner Balkon“, in der Graefestraße oder so. Dabei klingt es häufig so, als habe Henning May noch gar nicht richtig erfasst, was er da eigentlich für ein außergewöhnliches Instrument in seiner Kehle hat, denn häufig – und vor allem bei den Coversongs „Come together“ von den Beatles und dem Soul-Klassiker „Sunny“ – brüllt er mehr als dass er singt. Das ist dann doch mehr Schulaula als Stadion.

Und dennoch ist es nicht verwunderlich, dass all diese Menschen sich so früh ihre Tickets gesichert haben. „Pocahontas“, „Barfuß am Klavier“, das sind einfach starke Songs und natürlich „Oft gefragt“, diese großartige Hymne an den Vater, die es schafft, dass der ganze Zitadellenhof ein langgezogenes „Zuhauuuuuse“ mitbrüllt. Viele Bands wären schon froh, wenn sie eines dieser Lieder im Repertoire hätten. Christopher Annen traut sich viel Akustik-Gitarre, was ebenso ungewöhnlich ist, wie seine Mundharmonika und die Gastspiele des alten Schulkumpels Ferdinand Schwarz, der für einige Songs mit seiner Jazztrompete hinzukommt. Mehr davon, möchte man ihnen zurufen, doch es ist ja viel zu laut.

Zuhauuuuuse… summt man noch, als man kurz vor 23 Uhr auf der Zugbrücke den Wassergraben überquert. Alles gespielt, alle zufrieden, ein gelungener Sommerabend mit diesen wahnsinnig netten Jungs von Nebenan.

Gehen wir noch einen trinken? Kann ja auch mal nur 'ne Apfelschorle sein.

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