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Spiel mit dem Überwachungsstaat. Eine von einem Demonstranten gelenkte Drohne fliegt in Berlin während eines Protest-„Spaziergangs“ vor dem Neubau des Bundesnachrichtendienstes. Zu der Demo hatten diese Woche Netzaktivisten aufgerufen.
© dpa

NSA, Drohnen, Cyberkrieg: Barack Obama, der Doppelmoralist

Wie die USA zur sicherheitspolitischen Weltmacht aufrüstet – ausgerechnet unter dem liberalen Präsidenten Barack Obama.

Nach seinem Amtsantritt 2009 plädierte Präsident Barack Obama für eine neue Offenheit in der Politik und würdigte ausdrücklich die Verdienste der Whistleblower. Oft seien sie die beste Quelle, um Missbrauch, Betrug und Schlamperei in der Regierung aufzudecken. Wie sich später herausstellte, war Obama in seiner Zeit als Senator vom Geheimdienst der Vorgängerregierung persönlich ausgespäht worden. Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Russell Tice erklärte: „Im Sommer 2004 betraf eines der Papiere, die durch meine Hände gingen, eine Reihe von Telefonnummern, die in Verbindung mit einem aufsteigenden Senator aus Illinois um die 40 standen. Raten Sie mal, wo der Kerl heute lebt? In einem großen Weißen Haus in Washington D. C. Der, dem sie damals hinterherspionierten, ist heute amtierender Präsident der Vereinigten Staaten.“

Lange schien es undenkbar, dass Präsident Obama illegale Geheimdienstpraktiken dulden und Enthüllungen durch Whistleblower verurteilen würde. Doch der Skandal um die NSA zeigt: Obama ist mittlerweile ganz im Gegenteil Protagonist eines verwanzten Sicherheitsstaats. Geheimdienstmitarbeiter, die angesichts von Prism Skrupel hegen, fühlen sich, „als ob ich in dem Land lebe, das jahrelang mein Arbeitsgebiet war, um es zu besiegen, die Sowjetunion. Wir sind auf dem Weg zum Polizeistaat.“ Ähnlich besorgt äußerte sich der frühere Präsident Jimmy Carter: „Die USA haben keine funktionierende Demokratie mehr und befinden sich auf dem Weg zum Überwachungsstaat.“

Die Devise „Alles wissen und alles speichern“ ist zur Maxime der Geheimdienste geworden. Unter Obamas Ägide wird ein Big-Brother-System ausgebaut, in dem knapp drei Millionen Menschen als Geheimnisträger arbeiten, höchste elektronische Überwachung von Millionen Menschen stattfindet, Individualrechte ausgehebelt werden und die Regierung mit knapp 100 Unternehmen und etwa vier Telekommunikationsbetrieben Geheimverträge unterhält. Mittlerweile ist die Antiterrorindustrie zum mächtigsten Lobbyisten in Washington aufgestiegen. Seit der Tötung Osama bin Ladens ist offensichtlich, dass der Kampf gegen den Terror intelligenter, konsequenter und effizienter geführt wird als unter Bush.

Obamas Bild eines weltoffenen Präsidenten wackelt

Hinzu kommt, dass die Regierung Obama mit den unbemannten, bewaffneten Drohnen ein schlagkräftiges militärisches Instrument und neues Machtmonopol besitzt. Allerdings eines, das schwerwiegende politische, rechtliche und ethische Fragen aufwirft. Auch hier praktiziert Obama statt innenpolitischer Transparenz höchste Geheimhaltung bei der gezielten Tötung mittels Drohnen in Afghanistan, Pakistan, Jemen, Somalia oder Irak. Und drittens bauen die USA den Cyberkrieg gegen Iran und China aus – auch dies lässt sich mit dem Bild eines weltoffenen Präsidenten immer weniger in Einklang bringen.

Offensichtlich strebt Obama in der Sicherheitspolitik eine neue technologische Überlegenheit Amerikas an. Ein grundsätzlich verständliches Bestreben, das auch dem Interesse der restlichen freien Welt dient. Doch die illegalen Aspekte, die mangelnde Transparenz, die Negierung ethisch-rechtlicher Fragen legen den beunruhigenden Gedanken nahe, dass Obama eine bislang untypische Machtbesessenheit an den Tag legt. Sie raubt den eigenen Bürgern einen Teil ihrer Freiheitsrechte und zwingt die politischen Verbündeten zu Abhängigkeit und problematischer Gefolgschaft. Auch stellt sich die Frage nach mittel- und langfristigen Folgen: Das gezielte Töten durch Drohnen verbilligt und optimiert kurzfristig den Antiterrorkrieg, die Cyberkriegsführung mag den Gegner kurzfristig lähmen und Atomprogramme des Iran stören – aber Wut und Widerstandswille des Feindes dürfte all das nur steigern.

Deutschland ist in den Augen Washingtons unzuverlässig geworden

Obamas „Yes, we can“ verballhornt auf dem Plakat eines Demonstranten in Frankfurt am Main.
Obamas „Yes, we can“ verballhornt auf dem Plakat eines Demonstranten in Frankfurt am Main.
© REUTERS

Gleichwohl beeindrucken die neuen technologischen Fähigkeiten der Geheimdienste, der Waffentechnologie und des Cyber War: Die USA befinden sich heute in einer ähnlichen Ausnahmesituation wie zwischen 1945 bis 1947, als sie das globale Nuklearmonopol besaßen; sicherheitspolitisch sind sie jetzt wieder ohne Konkurrenz. Das jüngst entdeckte Fracking zur Erdöl- und Erdgasgewinnung aus tiefsten Gesteinsschichten verschafft Amerika zudem die Chance auf energiepolitische Unabhängigkeit.

Es sieht so aus, als ob Präsident Obama dieses Monopol für den Ausbau einer globalen Vormachtstellung nutzen will. Die Interessen anderer und der Rat befreundeter Staaten verlieren jedenfalls an Bedeutung. Die Neigung zu echter Partnerschaft schwindet, Konkurrenten und mögliche Rivalen werden mithilfe der neuen Techniken auf Distanz gehalten. Edward Snowden hat es öffentlich gemacht: Wenn es um die Geheimdienste geht, verlassen sich die USA nur noch auf die Angelsachsen, auf Großbritannien, Australien, Neuseeland.

Zur rücksichtsloseren weltpolitischen Selbstbehauptung und Machtbesessenheit der Regierung Obama gesellt sich die Machtvergessenheit der Europäer. Finanz-, Wirtschafts- und Euro-Krise machen den alten Kontinent – frei nach Gottfried Benn – zum Nasenpopel der Weltpolitik. Die Kette gut gemeinter, aber problematischer humanitärer Interventionen übersteigt die Kräfte des Westens und Amerikas schon seit zwei Jahrzehnten. Aber anstatt zusammenzustehen, driften die Partner auseinander. Amerika scheint seine zivilisatorische Vorbildrolle zunehmend abzustreifen, zum Vorschein kommen Arroganz und Geheimniskrämerei, wie man sie aus der Ära von George W. Bush kennt. Vorerst bleibt es ein Rätsel, warum der anfangs so klug und besonnen wirkende Obama seinen liberalen Maximen nun zuwider handelt, die eigenen Parteigänger vor den Kopf stößt, um die Zustimmung der politischen Gegner auf der Rechten buhlt und die Verbündeten weltweit verwirrt, indem er sich nicht für mehr Kontrolle und Transparenz der neuen Sicherheitstechniken starkmacht.

Deutschland, wie wir seit WikiLeaks wissen und nun durch Snowden erneut erfahren, ist in den Augen Washingtons zum unzuverlässigen Partner herabgesunken. Doch die Taktik von Bundeskanzlerin Merkel, die rechtlichen Grundsätze der Bundesrepublik zu betonen und Kritik an den USA nur vorsichtig zu formulieren, um die Zusammenarbeit der deutschen Dienste mit der NSA nicht zu gefährden, erscheint nicht gerade heroisch, geschweige denn souverän. Dennoch ist sie nicht unklug. Als sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer mit eingebauter Feigheit braucht Deutschland die USA als Sicherheitsgarant, wenn es um harte Machtfragen geht. Gleichzeitig muss Berlin seine eigene – in der Welt zunehmend geschätzte – zivilisatorische Vorbildrolle nicht unter den Scheffel stellen. Die USA wiederum brauchen die Kooperation mit Deutschland als führendem Euro-Land und drittstärkster Wirtschaftsmacht der Welt.

Obama gibt den illegalen NSA-Praktiken seine vorbehaltlose Rückendeckung

Die NSA-Krise sollte also mit Blick auf die Weltpolitik betrachtet werden. Obama hat durch seine vorbehaltlose Rückendeckung der illegalen NSA-Praktiken dem Ansehen der USA in der Welt und dem seiner Regierung im eigenen Land sowie der (notwendigen) Arbeit der Geheimdienste einen Bärendienst erwiesen. Hätte er sich zum Fürsprecher effektiverer und demokratisch kontrollierter Dienste gemacht, wäre die gesellschaftlich notwendige Legitimation der Geheimdienste gestärkt, seine führende Rolle im Land und in der Welt gefestigt. So aber mutiert die moralische Seite von Obamas Außenpolitik zur Doppelmoral, auch die ethische Grundlage der NSA ist untergraben.

Eigentlich soll der Geheimdienst ja die eigene freiheitliche Gesellschaft vor Ausspähung durch Geheimdienste autoritärer Mächte schützen. Diese Aufgabe und die Bekämpfung von Wirtschafts-, Wissenschafts-, Militär- und politischer Spionage müssen wieder in den Vordergrund rücken, als zielorientierte, punktuell ausgerichtete Arbeit. Anstelle der Quantität – der strukturellen Kompletterfassung von Prism – ist Qualität der Dienste wieder vonnöten. Zudem sollte das NSA-Fiasko personelle, materielle und organisatorische Konsequenzen nach sich ziehen, neue Kontrollmechanismen oder Gesetze. Vor allem der Kongress ist hier gefragt. Ebenso notwendig: eine neue Moral beim Führungspersonal der Geheimdienste. Wer wie der NSA-Chef das Ziel formuliert, „im Namen des Herrn“ möglichst alles über alle Personen in der eigenen Bevölkerung und der Welt ausspähen zu wollen, leidet an Wahnvorstellungen, die nur in den Büchern von John Le Carré, Len Deighton oder Eric Ambler für Spannung sorgen.

Die USA müssen ihr demokratisches Wesen durch Prozesse der Selbstkorrektur unter Beweis stellen

Klar, wer die Transparenz der Geheimdienste fordert, formuliert ein Paradox. Geheimdienste sind in Demokratien zur Sicherung der eigenen Werte und Interessen unverzichtbar, es geht nicht um ihre Abschaffung. Sondern um das Ende einer Fehlentwicklung und die Garantie demokratischer Kontrolle. Die kritischen Stimmen im Kongress bei Republikanern und Demokraten wie auch in der amerikanischen Öffentlichkeit machen immerhin Hoffnung auf Wandel. Der wird nicht von heute auf morgen eintreten, aber die Geschichte der illegalen Übergriffe amerikanischer Geheimdienste beweist auch deren Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Etwa mit dem Church Committee 1975 nach Watergate, der Tower-Kommission 1987 nach der Iran-Contra-Affäre oder der Schlesinger-Kommission 2004 zur Aufklärung von Abu Ghraib. Amerika hat sein demokratisches Wesen immer wieder durch solche Prozesse der Selbstkorrektur unter Beweis gestellt. Es wird Zeit, dass Obama und seine Regierung einen solchen Prozess wieder in Gang setzen.

Christian Hacke, 70, lehrte bis 2008 Politikwissenschaft an der Uni Bonn. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und des International Institute for Strategic Studies.

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