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Eine Szene aus der Serie, die im Berlin des Jahres 1929 spielt.
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Start in der ARD: "Babylon Berlin" – eine Serie von gestern für heute

Der Serienstart von "Babylon Berlin" wird ein Ereignis. Es stellen sich sofort Fragen nach der möglichen Aktualität. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Dr. Peter von Becker

Früher, als das Fernsehen noch unangefochten das gesellschaftliche Mittelpunktsmedium war, hätte sich an einem Sonntag wie diesem, unmittelbar nach der Tagesschau, "die Nation" vor den heimischen Schirmen versammelt. Inzwischen ist das nicht mehr so üblich. Aber wenn heute Abend "Babylon Berlin" zum ersten Mal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen läuft, dann wird das allemal zum Ereignis.

Sechzehn Folgen bis Anfang November, starke Darsteller, drei ingeniöse Regisseure, fast 300 Sprechrollen, ebenso viele Drehorte und rund 40 Millionen Euro Produktionskosten. Für insgesamt zwölf Stunden Film. Die im Berlin des Jahres 1929 spielende Krimiserie soll auch schon in 90 Länder verkauft sein.

Berlin als Weltstadt und Sündenbabel, zerrissen zwischen sozialen und politischen Spannungen, mit Straßenkämpfen, glamourösestem Nachtleben, Prostitution, Drogen, Waffenhandel, Mafiamachenschaften. Das ist die meist düster schillernde Oberfläche.

Aber das Fernsehen wird hier mit sehr kinofilmischen Mitteln vom Bildermedium auch zum zeitgeschichtlichen Bildungsmedium. Denn bei "Babylon Berlin" spielt die Symphonie der Großstadt am Ende der katzengoldenen Zwanziger Jahre: in der Dämmerung der Weimarer Republik.

Die einen tanzen noch wild, die anderen fallen schon

Die einen tanzen noch wild und wüst auf dem Vulkan, die anderen fallen schon – und die gerade ein Jahrzehnt alte erste deutsche Demokratie wankt beträchtlich. Bereits versehrt geboren aus dem Ersten Weltkrieg, der Urkatastrophe des Jahrhunderts, ist sie gezeichnet vom kalten, heißen Bürger-Krieg. Zwischen Kommunisten und Rechten, die beide die demokratische Republik nicht wollen.

Da beginnen sofort die Fragen nach der möglichen Aktualität. Nach Analogien zu heute, wo in Deutschland, in Europa manche alte Gespenster wieder auferstehen. Aber Berlin, die Berliner Bundesrepublik, ist nicht Weimar. Nach 1918 gab es kein verbreitetes Wirtschaftswunder, die materielle Not war unvergleichlich größer.

Und das Aufregendste, Unheimlichste in "Babylon Berlin" ist: die allmähliche Aufdeckung eines Staats im Staat. Im Militär, in der Justiz, bei der Polizei war das Gewaltmonopol der demokratischen Obrigkeit durch einen nationalistischen Untergrund ausgehöhlt, schon lange vor Hitlers Wahlerfolgen und den paramilitärischen Aktionen der Nazis und ihrer SA (die hier im Film erst spät, historisch eher zu spät auftauchen).

"Babylon Berlin" ist nur mit dem Erfolgsepos "Heimat" vergleichbar

Dieser Staat im Staate existiert heute nicht. Doch umso aufmerksamer muss man werden, wenn der Verfassungsschutz in dubiose Sphären gerät, wenn Haftbefehle gezielt durchgestochen werden. Wenn Polizei unterwandert wird.

"Babylon Berlin" folgt sehr frei einer Romanvorlage von Volker Kutscher. Diese zitiert als Anfangsmotto Walter Rathenau, den von Rechten ermordeten Außenminister der Weimarer Republik: "Spree-Athen ist tot, und Spree-Chicago wächst heran." Eine Pointe.

Heute trägt nun zur babylonischen Verwirrung, zum Klima gesellschaftlicher Verunsicherung bei, dass beide Varianten (Kultur und Unordnung) in Berlin und über Berlin hinaus gleichzeitig existieren. Wo aber findet sich in solcher Ungewissheit noch Heimat? Und ja, mit Edgar Reitz’ einstigem stillen Erfolgsepos "Heimat" ist "Babylon Berlin" wohl einzig vergleichbar. Als greller, unruhiger Kontrast. Als Erzählung von gestern und Werk für heute.

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