Kunst in Rumänien: Auszug der bösen Geister
In Bukarest eröffnet ein privates Museum für zeitgenössische Kunst – in der rekonstruierten Villa der ersten rumänischen Außenministerin.
Wer in Bukarest den Boulevard Primaverii im gleichnamigen Villenviertel – womöglich auf der Suche nach Ceausescus einstigem Privatpalast – entlangspaziert, der stößt an einer ansonsten eher unauffälligen Straßenecke auf eine Phantom-Architektur. Zumindest auf den ersten Blick will es so scheinen. Auf einem gläsernen Foyer erhebt sich über mehrere Stockwerke ein Haus aus schwarzem Backstein. Bis ins Detail ahmt es die Silhouette des Vorgängerbaus nach, nur dass auch die Fenster vermauert sind. Ein gespenstischer Anblick, wäre da nicht das transluzente Untergeschoss, auf dem dieses wie ausradierte und doch rekonstruierte Haus aufgesetzt ist.
Dem libanesischen Architekten Youssef Tohme, der einst für Jean Nouvel die Neugestaltung des Louvre in Paris betreute, ist mit dieser ungewöhnlichen Formfindung für ein Kunstmuseum ein Coup gelungen. Sein Entwurf erinnert auf unheimliche Weise an die einstige Bewohnerin und bezeugt doch den Willen, die finstere Vergangenheit mit Licht, mit neuen Inhalten zu durchbrechen.
Das Muzeul de Arta Recenta, kurz MARe genannt, logiert im einstigen Domizil von Ana Pauker, der gefürchteten ersten Außenministerin Rumäniens – zumindest der Adresse und den Umrissen des früheren Hauses nach. Madame Stalin, wie Ana Pauker auch genannt wurde, ging mit Schauprozessen brutal gegen die Gegner des Systems vor. Nachdem die kompromisslose Stalinistin selbst in Ungnade fiel, lebte sie unter Hausarrest sieben Jahre lang bis zu ihrem Tod 1960 in der prachtvollen Villa, umgeben von der Nomenklatura. Ihr persönlicher Bunker befindet sich noch heute im Keller.
Das erste Privatmuseum seit 80 Jahren
Diesen Geist galt es zu bannen. Es gehört zu den merkwürdigen Wendungen der Geschichte Rumäniens, dass sich ein weiterer Exil-Libanese diese Aufgabe vorgenommen hat. Der Unternehmer Roger El Akoury fand in Bukarest seit Anfang der 90er Jahre sein geschäftliches Glück, indem er das Medikament Paracetamol einführte und eine Apothekenkette mit über 700 Filialen gründete. Davon will er dem Land nun etwas zurückgeben und macht seine Sammlung rumänischer Kunst öffentlich zugänglich – im ersten privaten Museum seit 80 Jahren.
Von den 550 Werken der Sammlung Akoury sind nun 127 ausgestellt. Das neue Museum erlaubt einen anderen Blick auf die zeitgenössische Kunst des Landes, die bislang nur im Parlamentspalast zu sehen war, dem zwischen 1984 und 1989 von Ceausescu mit viel Blut errichteten „Haus des Volkes“. Ausgerechnet, könnte man auch hier sagen, denn der gigantomanische Bau ist mehr noch als die einstige Villa Ana Paukers ein architektonisches Zeugnis der kommunistischen Zwangsherrschaft. Auch hier soll die Kunst die bösen Geister vertreiben.
Beim MARe geht das über einen starken Kaffee, der zunächst an einer Bar im gläsernen Foyer gereicht wird. Man kann ihn gebrauchen, denn das Schwarz der Außenhaut des Museums setzt sich im Inneren fort. Den Besucher erwartet kein White Cube, er erlebt treppauf, treppab über diverse Zwischengeschosse hinweg vornehmlich lichtlose Räume. Umso stärker entfalten darin die Bilder ihre Wirkung. Rumänien ist ein Malerland, das bis auf wenige Stars international kaum wahrgenommen wird – ähnlich in der Literatur, wie die Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr offenbarte. Das könnte sich für die Kunst nun ändern.
Umso mehr erstaunt, dass ausgerechnet die wenigen Positionen, die international bekannt sind – Geta Bratescu, die Grande Dame der Konzeptkunst Rumäniens, oder Victor Man und Adrian Ghenie, überhaupt die gehypte Schule von Cluj –, nicht vorkommen. Doch der Kurator der Sammlung, Erwin Kessler, hat anderes im Sinn. Er will eine eigene rumänische Kunstgeschichte schreiben, dafür braucht er diese westlichen Aufsteiger nicht, wie er grummelnd zu verstehen gibt. Ganz offensichtlich greifen die alten Abgrenzungsmuster weiterhin. Wie ein Kuriosum wirkt, dass ausgerechnet zwei Exil-Libanesen ihm den Rahmen dafür schaffen.
Viele Künstler verließen das Land
Dennoch lohnt ein Besuch, nicht nur wegen der Architektur, in der sich Vergangenheit und Zukunft kurzschließen sollen. Erwin Kesslers Zeitrechnung setzt mit dem Jahr 1965 ein, mit dem Beginn der Ceausescu-Ära, als für die Kunst eine neue Losung ausgegeben wurde. Der sozialistische Realismus war nicht mehr Doktrin. Freiheit bedeutete das dennoch nicht, denn die schönen Künste sollten dem Staat weiterhin dienen.
Ceausescu wollte seine eigene Kunstelite prägen. Das Ergebnis: Viele Künstler verließen das Land, wie Paul Neagu, der Ende der 60er Jahre nach Großbritannien emigrierte und am Royal College of Art in London unterrichtete. Von ihm stammt eine Art hölzerner Pflug, „Mittelalterliche Brücke“ genannt. Die Verbindung zum ländlichen Leben, zur Volkskunst gehört zu den wiederkehrenden Elementen der rumänischen Kunst. Gerade dahinter kann sich aber Widerstand verbergen.
Kreuze und Märtyrer allenthalben
Die Zeichnung einer schlichten Apfelblüte feiert zwar das Unpolitische, doch Mihai Sârbulescu transportiert darin bereits die nächste Ideologie. Gemeinsam mit vier weiteren Malern gründete er die Gruppe Prolog, eine Art Bruderschaft, die sich in den 80er Jahren der orthodoxen christlichen Werte erinnerte. So gehört es zu den erstaunlichsten Erkenntnissen, wie viele religiöse Motive in der Ausstellung auftauchen: Kreuze in Landschaftsbildern, Brot und Trauben als Stillleben, Märtyrer allenthalben.
Was früher für künstlerischen Eigensinn stand, erlebt heute größten Zulauf: In unmittelbarer Nachbarschaft von Ceausescus einstigem Volkspalast, in dem heute das Parlament tagt, entsteht gerade ein orthodoxes Gotteshaus von der Dimension einer Kathedrale. Typisch für Rumänien aber sind eigentlich die kleinen Kirchen, die sich in die Straßenzeilen drücken. So verwundert es auch nicht, dass die anlässlich der Museumseröffnung präsentierte Sonderausstellung im Keller und der obersten Etage des Hauses den Titel „Hell’s Heaven“ trägt. Für eine gewisse Erleichterung sorgen jene Beiträge, die den religiösen Wahn ironisch brechen, wie Suzana Dans Schublade mit 36 Fingern aus Silikon, die angeblich sämtlich von Stephan dem Großen stammen sollen. Auch Alina Buga spießt die neue Heiligenverehrung auf. Ihr Schwert der großen rumänischen Nationalfigur besteht aus türkischem Honig. Das Original befindet sich in Istanbul im Topkapi-Museum, was bei den Feierlichkeiten in Bukarest zum 500. Todestag 2004 jedoch unterschlagen wurde. Die Menschen huldigten einer Kopie.
24 Stunden wurde ohne Pause gemalt
Rumänische Künstler treibt das Existenzielle um, lässt sich resümieren – ob sie nun zu religiösen Eiferern werden oder sich darüber mokieren, ob sie den Konsum kritisieren oder gerade den Exzess kultivieren. Zu den großen Entdeckungen gehört Ion Bârladeanu, ein Autodidakt, der konsequent auf der Straße lebt und trotzdem seit den 70er Jahren Collagen in Popart-Manier schafft, in denen Salamiwürste einen Kindermund verstopfen, Luis de Funès zwischen übergroßen Weinflaschen und den Beinen einer Frau im Minirock erscheint und Fidel Castro den Papst mit erhobenem Finger belehrt.
Genauso begeistert Nicolae Comanescu, der mit seiner Neo-Dada-Gruppe „Rostopasca“ Ende der 90er Jahre die Aktion „Non-Stop Painting“ organisierte. 24 Stunden wurde ohne Pause gemalt. Wild hingeworfene Köpfe und Texte auf Umzugskartons blieben als Dokumente dieses ausufernden Kreativitätsschubs.
EU-Sterne auf dem moldawischen Pass
Höchste Zeit, dass diese Künstler auch im Westen stärker rezipiert werden. Von diesem Wunsch zeugt auch Pavel Brailas Pass der Republik Moldavien, dem er die gelben Sterne der EU einfach aufgeklebt hat, obwohl das Land nicht Mitglied ist.
Braila lebt heute übrigens in Berlin. Kein Zufall. In Berlin unterhält die Galeria Plan B eine Dependance. Sie repräsentiert die Künstler der Schule von Cluj und vertritt sie höchst erfolgreich auf internationalen Messen. Adrian Ghenies Bilder bringen auf Auktionen inzwischen Millionen ein. Im Neuen Berliner Kunstverein ist derweil die letzte Ausstellung von Geta Bratescu zu sehen, die die Künstlerin bis kurz vor ihrem Tod mit 92 Jahren Ende Oktober noch selbst vorbereitete. Der mit ihr anlässlich der Ausstellung gedrehte Film ist ein Lob der Bescheidenheit.
MARe, Primaverii Boulevard No. 15, Bukarest. Galeria Plan B, Potsdamer Str. 77-87. Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128-129, Ausstellung Geta Bratescu bis 25.1.2019
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