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Kuckuck. Nic Alufs Porträt von Sophie Taeuber mit Dada-Kopf, 1920.
© Nachlass Nic Aluf

Ausstellung zum "Dadaglobe" in Zürich: Aus tausend Splittern die Granate

Der "Dadaglobe" von Tristan Tzara zählte zum Legendenschatz der revolutionären Kunstbewegung. Nun ist er erstmalig in einer Ausstellungsarbeit im Kunsthaus Zürich zu sehen.

Hätten die Dadaisten vor 100 Jahren geahnt, mit welcher Akribie ihr Tun und Treiben einmal erfasst werden würde, sie hätten sogleich eine Aktion gegen die Bewahrungsmaschine Museum gestartet. So ist es nun dahin gekommen, wie ein beteiligter Künstler einmal pikiert gesagt hat, dass eine explodierte Granate aus ihren Splittern wieder zusammengesetzt werden soll.

Nirgends gelingt diese Rekonstruktionsarbeit besser als in Zürich, dort, wo am 5. Februar 1916 Dada mit einer Soirée im Cabaret Voltaire in die Welt trat. Erstaunlich viel vom Aufbruch inmitten der vom Weltkrieg unbehelligten Schweiz hat sich erhalten oder wurde mit nimmermüdem Spürsinn zusammengetragen. Eigentlich ist längst alles ausgestellt und veröffentlicht worden; die Veranstaltungen zur Zentenarfeier können kaum noch etwas hinzufügen. Das Kunsthaus Zürich versucht es mit der Rekonstruktion dessen, was niemals das Licht der Welt erblickte – ein sehr dadaistisches Konzept! –, nämlich der erstmaligen Zusammenstellung der Publikation „Dadaglobe“, die Tristan Tzara Ende 1920 aus Beiträgen der weltweit verstreuten Mitstreiter zwischen zwei Buchdeckel fassen wollte. Daraus wurde nichts, und „Dadaglobe“ zählte fortan zum Legendenschatz der Bewegung, bei der Dichtung und Wahrheit ohnehin nie zu unterscheiden waren.

Ein deutscher Dadaidst hebt jede Quittung auf

Das Kunsthaus Zürich besitzt eine vorzügliche Dada-Sammlung, über Jahrzehnte hinweg aufgebaut, „dank einem kleinen Kreis eingeschworener Helfer, ziemlich viel Geld und der Präzision eines Schweizer Uhrwerks“, wie Direktor Christoph Becker schreibt. Dazu gibt es seit 1985 den Sammlungskatalog „Dada in Zürich“. Daran arbeitete federführend der junge Dada-Enthusiast Raimund Meyer mit, der 1994 im Kunsthaus die Ausstellung „Dada global“ samt enormem, 470 Seiten starken Katalog erstellte. Was konnte es danach noch geben? Nun, eben die Rekonstruktion des Projekt gebliebenen „Dadaglobe“, der schon beim Titel der 94er-Ausstellung Pate gestanden hatte. Federführend war jetzt Adrian Sudhalter, der seit einer Ausstellung im New Yorker MoMA vor knapp zehn Jahren zusammenklaubte, was immer er von Tzaras von einem Tag auf den anderen beendeten Projekt finden konnte. Ausgestellt sind die Fundsachen im Graphischen Kabinett des Kunsthauses, räumlich sehr überschaubar, aber in kleinen und kleinsten Briefen, Zetteln, Fotografien ein Zeugnis für die Akribie der Dadaisten, die so ganz im Gegensatz steht zu ihrem sonstigen Hang zur großen Aktion.

Es begann mit 27 gleichlautenden Anschreiben auf blassblauem Briefpapier mit Aufdruck „Mouvement Dada“, die der rumänische Emigrant in Paris, der monokeltragende Tzara (1896–1963), im November 1920 in alle Welt verschickte. An die deutschen Künstler gerichtet, liest es sich höchst förmlich: „Sie werden hiermit höflichst eingeladen, an diesem Werk mitzuarbeiten. Wollen Sie bitte 3 bis 4 schwarz-weiße Zeichnungen einsenden und 2 bis 3 Photos nach Werken von Ihnen.“ In Zürich zu sehen ist unter anderem derjenige an George Grosz, der wiederum den Einlieferungsschein seiner per Einschreiben geschickten Antwort verwahrte. Ein deutscher Dadaist hebt jede Quittung auf.

Aus Splittern wieder zusammengefügt

Die meisten Künstler antworteten fristgemäß über den Jahreswechsel hin; Tzara legte währenddessen bereits ein kompliziertes Schema für die Verteilung der Seiten und Abbildungen fest. Dieses Schema sollte die größtmögliche Überraschung beim Durchblättern des „Dadaglobe“ hervorrufen. Doch wurde unterdessen die französische Polizei in Zeiten des aufgeheizten Nationalismus misstrauisch und witterte eine Verschwörung. Jedenfalls distanzierte sich Tzara mit einem Mal von seinem Buchprojekt, auch dürfte der Pariser Verleger einen Rückzieher gemacht haben. Ursächlich waren allerdings wohl der interne Zwist zwischen Tzara und seinem Kollegen Francis Picabia wie auch die Kampagnen, die gegen Tzaras anmaßende Vereinnahmung der Dada-Bewegung in Gang kamen. Jedenfalls wurde die Idee des „Dadaglobe“ von Mai 1921 an – der angestrebte Erscheinungstermin des Buches war bereits verstrichen – von allen Beteiligten mit Schweigen übergangen.

Tzara schickte in den Folgejahren immer wieder Partien der erhaltenen Beiträge an andere Avantgarde-Zeitschriften; so verstreute sich sein Bestand allmählich in alle Welt. Nun ist er, erst- und sicher einmalig, im Kunsthaus Zürich zu sehen. Deutlicher als bei anderen Jubiläumsausstellungen dieses Jahres kommt bei der „Dadaglobe“-Rekonstruktion die Verschmelzung von Kunst und Dichtung zum Vorschein, die den Dadaismus kennzeichnet, das Jonglieren mit Worten, Bildern und Bedeutungen. Zahllose Museen und Archive liehen für die Ausstellung kleinste, kostbare Objekte her; die Ausstellung mit ihren in zahllosen Vitrinen angeordneten Papierchen muss der Albtraum eines jeden Depotverwalters sein.

Den bleibenden Ertrag jedoch bildet der Katalog, der sich dem annähert, was 1921 nicht zustande kam: das Buch namens „Dadaglobe“, hier nur mehr 160 statt geplanter 300 Seiten stark, doch ergänzt um gesondert eingebundene, unverzichtbare 144 Seiten Beschreibung, Chronologie und Werkverzeichnis. „Die damals nicht erschienene Publikation liegt endlich vor“, verkündet das Kunsthaus stolz. Nach dieser Zürcher Fleißarbeit gibt es wohl tatsächlich nichts mehr zu entdecken. Die Dada-Granate ist aus tausenden Splittern wieder zusammengefügt.

Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, bis 1. Mai. Katalog im Verlag Scheidegger & Spiess, 66 Fr., im hiesigen Buchhandel 58 €.

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