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Das Solistenensemble Kaleidoskop spielt mit viel Körpereinsatz.
© Adam Berry

Solistenensemble Kaleidoskop: Aus der Schublade gefallen

Dem Solistenensemble Kaleidoskop wird trotz erfolgreicher Arbeit die Förderung gestrichen. Ein Krisengespräch vor der „Orfeo“-Premiere.

Viel bewegen muss sich der Besucher nicht, um das Organisationsteam des Solistenensembles Kaleidoskop kennenzulernen. Kaum hat man den Eingang zur Hochparterrewohnung in der Raabestraße durchschritten, genügen eine Wendung zur rechten Tür, eine Wendung zu linken Tür und dann noch ein paar kurze Schritte durch Flur und Teeküche in das kleine Bürozimmer von Manager Volker Hormann – und schon hat man allen drei Vollzeitmitarbeitern die Hand geschüttelt, die sich dafür auch ihrerseits dafür nicht weit von ihren Stühlen bewegen müssen.

Von diesem kleinen Reich in Prenzlauer Berg aus nimmt das Ensemble Kontakt nach Berlin und in die Welt auf, um die nächsten Auftritte zu planen: Mal sind es die Wiener Festwochen, mal das Sydney Festival, das Brussels International Music Festival, die Berliner Musikfestspiele und natürlich auch das Radialsystem, wo die 15 Musiker offizielles Hausensemble sind. Es sind normale Arbeitsbedingungen, möchte man meinen, um die bis zu 70 Auftritte eines der innovativsten Musikensembles Berlins zu koordinieren. Doch damit könnte es schnell vorbei sein, sagt Volker Hormann frustriert: Trotz des offensichtlichen Erfolges ist die Arbeit des Solistenensembles nun bedroht.

Begonnen hatte das Drama bereits im Mai 2014, erzählt der junge Manager. Ausgerechnet während ihres Debüts bei den Wiener Festwochen ereilte die Musiker die Nachricht, dass die Jury des Berliner Senats im Bereich Darstellende Künste vorgeschlagen habe, ihnen die Basisförderung zu entziehen. Eine Entscheidung, die auswärts niemand verstanden habe, erinnert sich Hormann. Und die wohl auch niemand nachvollziehen kann, der die Berliner Fördermechanismen nicht kennt.

Diese scheinen auf ein künstlerisches und organisatorisches Erfolgsmodell, wie es das Solistenensemble Kaleidoskop entwickelt hat, nicht genügend vorbereitet zu sein. Zum Verhängnis wurde Kaleidoskop ausgerechnet sein einzigartiges künstlerisches Profil, mit dem es sich fördertechnisch zwischen alle Stühle setzte. Denn nicht die musikalische Exzellenz ist es, die eine weitere Basisförderung erschwert, sondern der Umstand, dass sich das Ensemble nicht problemlos in die Schubladen der Darstellenden Kunst oder der reinen Neuen Musik einordnen lassen lässt.

Dabei gehören Grenzüberschreitungen schon zum Alltag der Musiker, seit sich das Ensemble um den Cellisten und heutigen künstlerischen Leiter Michael Rauter 2006 formierte. Schnell verstanden sie, dass es ihnen nicht genügte, eine Uraufführung, ein Werk der Fluxus-Bewegung der sechziger Jahre oder eine Sinfonie von Carl Philipp Emanuel Bach mit der gleichen Virtuosität zu beherrschen. Vielmehr kann für Kaleidoskop grundsätzlich jeder Parameter, der bei einer Aufführung zum Tragen kommt, auch Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung werden: Ob Licht, ob Raum oder die Körper der Musiker selbst – nichts hat lediglich einer Partitur zu dienen, sondern bekommt das Recht zugestanden, als eigenständiger Part in die Gestaltung einer Aufführung miteinbezogen zu werden.

Sie spielen auch im Dunkeln oder in der U-Bahn

Selbst Projekte in kompletter Dunkelheit oder 16 Stunden Wagner, komprimiert aus dem Klavierauszug, haben die Musiker schon gestemmt. Dazu kommen Guerillauftritte auf Straßen und in U-Bahnen mit Verstärker auf dem Rücken und demnächst sogar ein Experiment mit Musik und Hypnose. Auch das aktuelle Projekt „Orfeo. Nach Claudio Monteverdi. Eine Sterbeübung“ unter der Regie von Susanne Kennedy fällt aus dem Rahmen: Die Ensemblemitglieder werden im Gropiusbau auf gleicher ästhetischer Ebene mit den Darstellern acht Stunden lang mit Masken in einer Kunstwelt ausgestellt sein, erläutert Hormann. Diese synthetische Ästhetik müssen sie teilweise auch auf das Spiel mit Bruchstücken aus Monteverdis Oper „Orfeo“ übertragen.

Dirk von Lowtzow gehört zu den Fürsprechern des Solistenensembles Kaleidoskop

Dass Projekte wie diese weder Oper noch Konzert noch im puristischen Sinne Neue Musik sind, stört weder das junge Stammpublikum von Kaleidoskop noch die Festivalveranstalter und Vertreter der festen Institutionen des Musikbetriebs: Schließlich zeigt hier eine Generation, auf deren Smartphones Musikstile kaleidoskopartig gemischt sind, wie man Schwellenängste und ästhetische Grenzziehungen überwinden könnte. Doch während Volker Hormann auf prominente Fürsprecher wie Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow oder Festspieleintendant Thomas Oberender verweisen kann und sich auch Sir Simon Rattle beeindruckt von der Arbeit des Ensembles zeigte, fehlt es in der Berliner Kulturpolitik bisher an einem klaren Bekenntnis zu Kaleidoskop. Dies wäre aber nötig, betont Hormann: Zwar konnte das Wegbrechen der Basisförderung mit Mitteln der Lottostiftung für das Jahr 2015 teilweise ausgeglichen werden. Doch ohne seinen festen Organisationsbetrieb, den das Ensemble mithilfe seiner ersten Basisförderung aufgebaut hatte und dessen Kosten Hormann auf 270 000 € im Jahr beziffert, sei das Ensemble in seiner Existenz gefährdet.

Letzte Hoffnung: City Tax

Im aktuellen Haushaltsentwurf ist Kaleidoskop allerdings nicht berücksichtigt. Die letzte Hoffnung des Ensembles beruht auf einer Grundfinanzierung aus den bisher noch nicht definierten Mitteln der City Tax. Es wäre sicherlich kein falscher Fördertopf für ein Ensemble, das sich zu Recht als Aushängeschild der Berliner Kultur versteht. Und eine Botschaft, dass man hier trotz musikalischer Sterbeübungen nicht an seinem Erfolg zugrunde gehen muss.

Martin-Gropius-Bau: „Orfeo. Nach Claudio Monteverdi. Eine Sterbeübung“, Premiere 18.9., 10–19 Uhr, Einlass für jeweils 8 Personen alle 10 Min., letzter Einlass 17.40 Uhr.
www.berlinerfestspiele.de

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