Film-Thriller aus Ungarn: "Underdog": Aufstand der Hunde
Faszinierend vielseitig: Der ungarische Thriller "Underdog" des Filmregisseurs Kornél Mundruczó ist politisch, poetisch und philosophisch.
Eine Nachricht vom Dienstag: Ungarn will Flüchtlinge, die in Ungarn einen Asylantrag gestellt haben und innerhalb Europa weitergereist sind, nicht zurücknehmen. Dass man damit gegen EU-Verpflichtungen verstößt? Egal. Das Boot sei „voll“ und Platz im ganzen Land nur für 3000 Flüchtlinge. Zum Vergleich: Das sind etwa so viele Menschen, wie sich bei einem kleineren Stadtfest in der Puszta binnen einiger Nachmittagsstunden versammeln.
Ein Leitartikel in der regierungsnahen Budapester Zeitung „Magyar Hírlap“ von 2013: Zsolt Bayer, einer der Weggefährten des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und Mitgründer der Regierungspartei Fidesz, äußert sich darin zur „Zigeunerfrage“. Das klingt so: „Ein bedeutender Teil der Zigeuner ist nicht geeignet, unter Menschen zu leben. Sie sind Tiere. Diese Tiere sollen nicht sein dürfen. In keiner Weise. Das muss gelöst werden – sofort und egal wie.“
Leitartikler hetzen gegen Minderheiten
Diese Politik Ungarns gegenüber Migranten und diese – im Pressematerial zum Film dokumentierte – Hetze gegen Minderheiten bilden nicht ausdrücklich den Hintergrund von Kornél Mundruczós „Underdog“, wohl aber stehen sie für ein Klima, das sich in den keineswegs dystopischen Bildern dieser zwei Kinostunden mühelos mitlesen lässt. Im Interview ergänzt der Regisseur, sein Film kritisiere das „ehemalige und zukünftige Ungarn, in dem eine kleine Schicht über eine große Masse herrscht“. Und: Eines Tages werden sich „die Massen gegen ihre Meister erheben“.
250 Hunde sind es, die sich in „Underdog“ aus einer als Tierheim getarnten Tötungsfabrik befreien, ihre Peiniger niederstrecken und ganz Budapest in Angst und Schrecken versetzen. Im Film ist das Halten von Mischlingshunden – also: von nicht „reinrassigen“ – mit einer derart hohen Steuer belegt, dass die Menschen ihre Tiere zu Zehntausenden aussetzen. Die ungarische Realität sieht nicht wesentlich anders aus: Hundehalter müssen 25 Euro für die Kennzeichnung der Tiere per Mikrochip und eine Tollwutimpfung aufbringen – bei im Schnitt 400 Euro Monatseinkommen eine hohe Summe.
Die zwölfjährige Lili verliert ihren Hund
In vergleichsweise schmalem Rahmen hebt „Underdog“ an, als Familien-Minidrama. Die zwölfjährige Lili (Zsófia Psotta) wird, weil Mama mit neuem Partner für ein paar Monate nach Australien reist, zum Papa (Sándor Zsótér) abgeschoben, einem eigentümlich degradierten „Professor“, der als Lebensmittelprüfer im Schlachthof arbeitet. Lili hat ihre geliebte Promenadenmischung namens Hagen dabei. Der Vater aber, ein nervöser Einzelgänger, hasst Hunde, und nach einem heftigen Streit mit der Tochter im Auto setzt er Hagen am grau zersiedelten Stadtrand Budapests aus.
Fortan verläuft Lilis Story zwar aufregend – Krach mit dem Schulorchesterleiter, nächtliche Touren durch Clubs mit Festnahme durch die Polizei –, weitaus dramatischer aber gestaltet sich Hagens Schicksal. Auf der Dauerflucht vor den Hundefängern gerät er an einen Hundekampftrainer, der ihn mittels Nahrungsentzug, Anabolikapillen und Abschleifen des Zahnfleischs für die Todesbeißereien zurichtet. Ihm entflieht Hagen, wird dnn zwar amtlich eingefangen, aber bald ist der Ausbruch so unvermeidlich wie die Hunderevolution.
Die Tiere: perfekt trainierte Mimen
Wer Filme mit niedlichen kleinen Mädchen und süßen Tieren mag, kommt in „Underdog“ nur bedingt auf seine Kosten. Lili ist ein imponierend widerborstiges Menschenkind, und die zwei Hunde, die Hagen verkörpern, erweisen sich zwar als mimisch beeindruckend trainierte Schauspieler, aber lecken auch gewaltig Blut. So wandelt sich dieser Film mit seinem ganz und gar ungewöhnlichen Sujet zeitweise zum Killer-Thriller und final in ein großes, metaphorisches Panorama – poetisch, philosophisch und politisch zugleich.
Letzte Nachricht vom Mittwoch: Ungarn rudert in Sachen Flüchtlingssperre nach Druck seitens der EU und Deutschlands zurück. Oder hat jemand aus dem Hause Orbán etwa „Underdog“ gesehen?
In Berlin in den Kinos Filmtheater am Friedrichshain, Kant und Passage
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