Kultur: Aufforderung zum Freispiel
„A L’Arme!“ heißt ein neues Festival, bei dem Jazzstars auf Talente treffen. Die Idee stammt von einem jungen Pianisten.
Was die Dichte und Vielfalt des Musikfestival-Angebots angeht, ist Berlin schwer zu übertreffen. Jazz, Rock, Klassik, Neue Musik – alles da. Alle Genres haben ihren festen Platz im jährlichen Festival-Curriculum. Dass dabei jede Szene mehr oder weniger in ihrer eigenen Suppe rührt, das fand der junge Berliner Pianist Louis Rastig öde. So entstand die Idee eines Festivals, das sich vom Jazz aus nach allen Richtungen öffnet. Fern von stilistischen Reinheitsgeboten ist es vor allem das Zeitgenössische, Gegenwärtige im Jazz, dem Rastig eine Plattform geben will – und damit allen, die den Jazz mit einem musikalischen „A L’Arme!“ aufrütteln wollen.
So verspricht es schon der Titel des Festivals, das in den kommenden vier Tagen das Radialsystem erschüttern dürfte: Vom Eröffnungsabend mit Größen wie Peter Evans, Neneh Cherry, Mats Gustafsson und Ken Vandermark bis zum Schlusskonzert mit Caspar Brötzmann, Marino Pliakas und Michael Wertmüller wartet das Line-Up mit einem für den Jazz hierzulande ungekannten stilistischen Weitblick auf. Nicht umsonst erinnert der Festivaltitel an die Freie-Musik- Bewegung der Nachkriegsgeneration, die in den sechziger und siebziger Jahren zum Aufbruch aufrief. West-Berlin mit dem Plattenlabel Free Music Productions (FMP), den legendären Total Music Meetings und dem Workshop Freie Musik unter dem Dach der Akademie der Künste war damals ein Dreh- und Angelpunkt dieser Bewegung in Europa. Einer der Hauptakteure war der Saxofonist Peter Brötzmann, der bei „A L’Arme“ in zwei stilistisch sehr unterschiedlichen Formationen auftritt, mit den Urgesteinen des Tokioter Jazz’ der siebziger Jahre, Masahiko Satoh und Takeo Moriyama, und erstmals in Deutschland mit dem radikalen „Noise“-Gitarristen Keiji Haino.
Auch mit Conny Bauer, Irène Schweizer und Han Bennink ist die Generation der Pioniere improvisierter Musik beim Festival gut vertreten, doch legt der künstlerische Leiter Rastig Wert auf Öffnung und Eigenständigkeit: „Natürlich ist die Musik dieser Aufbruchszeit eine große Inspirationsquelle für mich, aber ich würde mich dem nicht anbiedern wollen. Ich bin 25 und habe andere Sorgen, als man damals hatte.“
Diese Herangehensweise zeichnet sich auch in den Konstellationen ab, in denen Rastig als Pianist auftreten wird. Nebst der musikalischen Erstbegegnung mit Okkyung Lee und dem legendären Saxofonisten Ken Vandermark verfolgt er im Quartett mit jungen, noch wenig bekannten Musikerinnen wie Els Vandeweyer und Olga Nosova eine bestimmte Klangvorstellung: „Ich habe mir ein perkussiv orientiertes Quartett ohne Streich- oder Blasinstrumente gewünscht: Klavier, Analog-Synthesizer, Drums und Vibrafon. Das ist eine der noch nie da gewesenen Formationen, die ich präsentieren möchte."
„A L’Arme!“ kann man in der Tat rufen, denn die Existenz als junger, aufstrebender Musiker auf der Suche nach der eigenen stilistischen Sprache ist im Zeitalter des Überangebots und der Einschaltquote mehr denn je ein Kampf. Das weiß auch der in Berlin ansässige Schweizer Komponist und Schlagzeuger Michael Wertmüller: „Ich begreife die jungen Musiker, die heute mehr Existenzangst haben, als man es damals hatte. Heute gibt es viel mehr Stile, und es ist schwieriger, sich Gehör zu verschaffen. Man muss sich seinen Platz hart erkämpfen, aber jede Generation hat ihren eigenen Kampf zu kämpfen. Wenn du als Jazz-Musiker etwas erreichen willst, musst du deine eigene Stimme finden, entwickeln und auf Gedeih und Verderb dazu stehen. Du musst etwas zu erzählen haben, dann hören dir die Leute auch zu.“
Wenige Künstler verkörpern so sehr die Schrankenlosigkeit der Stile und Genres wie Michael Wertmüller. In fast allen Sparten der Berliner Festspiele tauchte er bereits auf, als Komponist bei der „Märzmusik“, als Schlagzeuger mit Peter Brötzmann beim Jazzfest, mit einer Schlingensief-Produktion beim Theatertreffen. Folgerichtig wirkt das Trio Caspar Brötzmann, Marino Pliakas und Michael Wertmüller auf interessante Weise zusammengewürfelt: „Pliakas und ich kommen von der Neuen Musik und spielen viel improvisierten Jazz, und Caspar Brötzmann spielt mit einem ganz einzigartigen Rockgestus. Da kommen Welten zusammen.“ In Rastigs Festivaldramaturgie bildet das Trio das Finale: „Was mit dem Solo von Peter Evans beginnt, endet mit diesem Trio in der Verdichtung von Jazz, Noise, Industrial und Neuer Musik".
Fragt sich nun, ob sich auch das Publikum mischen wird, denn das ist nicht so einfach zu erreichen. „Es ist längst an der Zeit umzudenken“, findet Wertmüller. „Das Kästchen-Denken sollte man nicht mehr kultivieren. Hier passiert genau so viel neue Musik wie bei einem Festival für Neue Musik, wenn nicht noch mehr.“
Berlin mag bekannt sein für die Vielfalt und Avanciertheit seiner freien Szene, aber in Wertmüllers Augen klafft im Jazz ein Loch: „Berlin hat viele kleine Orte, wo junge Musiker experimentieren, und das ist wunderbar. Aber die Zeit, als größere Clubs eine anständige Gage bezahlen konnten für größere Namen aus dem In- und Ausland, ist vorbei. Deshalb findet zu wenig Austausch zwischen der internationalen Szene und dem Nachwuchs statt. Umso großartiger ist es, dass ein junger Musiker wie Rastig sich einsetzt und eine Begegnungsplattform schafft.“
An jugendlicher Tatkraft gebricht es Louis Rastig auf keinen Fall. Und wichtiger noch: Er hat von Anfang an nicht klein gedacht. „Ich möchte ein Zeichen setzen für den modernen Jazz in Deutschland. Deshalb habe ich das Programm breit angelegt. Solche tonangebenden Veranstaltungen gibt es in Österreich, in New York, in Norwegen, Tokio. Und ich wünsche mir so etwas für Berlin.“ Ab Mittwoch erfüllt Rastig sich den Wunsch.
„A L’Arme“, 18. - 21. Juli, Radialsystem, Holzmarktstr. 33. Programminfos unter www.radialsystem.de
Barbara Eckle
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