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Arbeiten von Wolfgang Tillmans in den Museen Dahlem.
© Biennale/Anders Sune Berg

Die 8. Berlin-Biennale: Auf großer Reise ins Dorf

In Dahlem steht die Denk-Werkstatt der Biennale. Hier muss sich zeigen, ob das Konzept aufgeht, zeitgenössische Kunst mit den ethnologischen Sammlungen zu konfrontieren.

Die Berlin-Biennale hat sie alle schon einmal gehabt, die Museumstanker der Stadt: den Mies van der Rohe-Bau, die Alte Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof, Martin-Gropius-Bau. Und sie ist immer auch dahin gegangen, wo es kaputt, pittoresk, bizarr war: in leere Wohnungen, auf Friedhöfe, Fabrikgelände, in verlassene Kaufhäuser. Mit jeder neuen Berlinale steigt die Not, originelle, neue Schauplätze zu finden.

Die achte Biennale macht es sich zugleich einfach und schwer. Mit ihrem wichtigsten Ausstellungsort kehrt sie in den Schoß der großen Berliner Museen zurück und schießt sich zugleich ans äußere Ende der Welt, zumindest fast. Das gilt für die zentralistische Berliner Sicht als auch die europäische Perspektive, für die urbane aktuelle Kunst schon gar: Dahlem, wo die U-Bahn-Station durch den namentlichen Annex „Dorf“ markiert ist – war da was? Die Museen dort hatte wohl niemand mehr recht auf dem Plan, so gut wie vergessen am Rand, nur noch auf Abruf für den Umzug in die Mitte der Stadt. Ihre hervorragenden Sammlungen sorgten in den letzten Jahren weniger durch ihre Ausstellungen als durch die Auseinandersetzung um das Humboldtforum für Gesprächsstoff.

Einer solch abgehängte Adresse zur angesagten Location des Kunstvolks zu erheben, darin eine Bühne zu erkennen, dafür braucht es einen frischen, einen anderen Blick – den von außen eben, wie ihn der kanadisch-kolumbianische Kurator Juan Gaitán mitbringt. Die Findungskommission war von ihm sehr schnell überzeugt, zumal als auch noch Wilhelm und Alexander von Humboldt in seinem Ausstellungskonzept vorkam. Ein Weltbürger der Gegenwart kombiniert mit Preußens klügstem Brüderpaar, das Bildung und Forschung par excellence repräsentiert, das musste etwas werden für eine Berlin-Biennale, die alle zwei Jahre mit Hilfe der zeitgenössischen Kunst die Stadt und ihre Befindlichkeiten sondiert.

Dahlem bildet den Schwerpunkt der achten Berlin-Biennale, dort sind die meisten Arbeiten der insgesamt 53 Künstler zu sehen. Und doch sollte der Besucher den Parcours mit dem Haus am Waldsee als erster Station beginnen, so die Empfehlung des Kurators, denn dort ist die Kunst ganz bei sich. Die einstmalige Fabrikantenvilla, noch weiter in Zehlendorf gelegen, widmet sich Werken, die das Sammeln von Kunst, das Betrachten als privaten Vorgang zum Thema haben. In den Kunst-Werken dagegen als Stammhaus der Biennale im Zentrum der Stadt wird der White Cube zelebriert, das öffentliche Ausstellen eigens vorgeführt.

Dahlem aber ist die Denk-Werkstatt der Biennale, hier wird in den verschachtelt angelegten Sammlungen interveniert, ganze Säle sind dafür frei geräumt. Die Biennale-Kunst biedert sich jedoch nicht an, sondern sie versucht eine Auseinandersetzung mit den ökonomischen und historischen Bedingungen einer globalisierten Welt. Dahlem bietet dafür den perfekten Rahmen. Dem bislang eher vor sich hindümpelnden Humboldt-Lab, das noch genauer eine Verbindung aus Ethnologie und zeitgenössischer Kunst herzustellen versucht, werden plötzlich Beine gemacht. Die Biennale wirft den Motor für Mitte an, endlich passiert etwas.

Das „Empfangszimmer“ der in Berlin lebenden Iranerin Nairy Baghramian gleich im Eingang veranschaulicht die Strategie der Biennale im Nukleus: Das Werk besteht aus einer Fotografie, die von einer Betonplatte teilweise überdeckt wird. Der abgebildete Raum mit den drei schweren roten Sesseln ist nur halb zu sehen, angeblich ließ sich der Schah von Persien hier mit Mao Tse Tung, Kemal Atatürk und Adenauer neben einem Bild von Hitler fotografieren. Die Geschichte ist nicht belegt, das Bild eine Inszenierung, doch die Sensibilität für vermeintliche Tatsachen ist geweckt, dass nicht alles stimmt, wie es in den Geschichtsbüchern steht und auch im Museum erzählt wird. Gerade für Dahlem ist dies ein wichtiger Punkt, wurden doch in den Ethnologischen Sammlungen über Jahrzehnte Weltbilder des Kolonialismus in Beton gegossen, die nur mühsam wieder aufgebrochen werden können.

Der größte Verdienst der Biennale: Dass sie überhaupt nach Dahlem führt

Gruß an Ost-Berlin. Bodenornament von Olaf Nicolai.
Gruß an Ost-Berlin. Bodenornament von Olaf Nicolai.
© Biennale/Anders Sune Berg

Umso heiterer stimmt Olaf Nicolais Bodenornament im Foyer, das er einer Lichtenberger Shopping Mall entnommen hat. Dieser kleine Gruß an den Osten der Stadt, das gefällige Muster aus weiß gemalten Rechtecken und Quadraten auf den marmornen Platten besitzt nicht nur anekdotischen Charakter, dass die Berlin-Biennale ursprünglich auch dort gerne einen Ausstellungsort gehabt hätte. Wie schon bei seiner Kunst am Bau für die wieder errichteten Meisterhäuser des Dessauer Bauhauses beschäftigt sich Nicolai auch hier mit dem Vokabular der Moderne, das sowohl in der Zweckarchitektur eines Kaufhauses als auch eines Museums wiederkehrt.

Gerade darin besteht der größte Verdienst dieser Biennale, dass sie überhaupt nach Dahlem führt und den Blick für das Ensemble in seiner Gänze weitet: die Sammlungen selbst, die Architektur, die Ausstellungsdisplays. Hier sind unter einem Dach die verschiedenen Präsentationsformen vereint – etwa der große lichte Saal mit den steinernen Artefakten der mesoamerikanischen Archäologie in Glasvitrinen oder das um die Kunst Südostasiens erbaute Labyrinth aus Rigipswänden. Die Biennale schickt den Besucher nicht nur auf eine Reise zu anderen Kulturen, anderen Zeiten, sondern führt auch Kuratorenmoden vor: mal Holz, mal Stein, mal Stahl, mal Glas.

Um eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Gezeigten, mit den Dahlemer Sammlungen selbst geht es dabei gar nicht mal so sehr. Die außereuropäischen Sammlungen bieten das Setting, der Besucher streift die Abteilungen en passant, läuft an einem türkischen Teeservice vorbei, stößt auf eine venezianische Gondel, begegnet überraschend der Malerei von Eskimos. Das macht einerseits viel Spaß, denn endlich kommt man wieder mal hier vorbei, wo sich offensichtlich kaum noch jemand hin verirrt. Zugleich aber birgt diese Attitüde eine ungeheure Arroganz gegenüber den großartigen Beständen, die mehr oder weniger zu Requisiten werden.

Diese Haltung wird an Werken klar, die sich vor allem der exotischen Reize der Artefakte bedienen wie Carsten Höller mit seiner Installation „7,8 Hz“. Im abgedunkelten Raum mit den präkolumbianischen Goldantiquitäten hat der Künstler das Beleuchtungssystem manipuliert und setzt die Schätze einem staccatohaft an- und ausgehenden Stroboskoplicht aus. Darin eine Reflexion über die doppelte Ökonomie zu sehen, „durch welche künstlerische Arbeit und museale Objekte mit der Aufmerksamkeitsökonomie und mit Repräsentationsstrukturen verbunden sind“, wirft vor allem ein Spotlight auf die kuratorischen Überhöhungstechniken einer eher banalen Idee.

Die Biennale ist vor allem dort stark, wenn sie nicht mit dem Setting kokettiert wie es etwa Alberto Baraya macht, dessen „Comparative Studies, Herbarium for Artificial Plants“ in veralteten Vitrinen präsentiert werden. Der kolumbianische Künstler kombiniert höchst geschickt Pflanzenzeichnungen des 18. und 19. Jahrhunderts mit künstlichen Blumen, wie sie heute in Balkonkästen und Schaufenstern zu finden sind. Nüchterne Präsenz hätte seiner feinen Zivilisationskritik weitaus mehr Aussagekraft verliehen, wie es etwa Carolina Caycedos Projekt „Yuma, or the land of friends“ gelingt.

Die Londonerin beschäftigt sich mit dem El-Quimbo-Staudamm in Kolumbien, für den zahllose Bauern und Fischer der Region umgesiedelt werden müssen. Zu sehen sind zwei übereinander gelegte Luftaufnahmen, die eine Ahnung von den Flussläufen, den bebauten Feldern, dem Ressourcen geben. Auf den ersten Blick scheint es sich um eine braun-grünes Abstraktion zu handeln, groß und schön wie die Porphyrplatten im van der Rohe-Bau, wo die Drucke perfekt hinpassen würden. Erst auf den zweiten Blick ist das verlorene Land zu erkennen. In Dahlem aber lässt sich die Spur aufnehmen.

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