Im Kino: "Play": Auf dünnem Eis
Wenn Jugendliche auf Raubzug gehen: „Play“ von Ruben Östlund spielt mit der Frage, ob hier Stereotype bedient oder geschickt umgangen werden.
Es ist immer der gleiche Trick. Die fünf Jungs in den dunklen Hip-Hop-Klamotten, so zwischen zwölf und 14 Jahre alt, nähern sich ihren gleichaltrigen Opfern mitten im Einkaufszentrum. Sie geben vor, einem ihrer Brüder sei kürzlich das Mobiltelefon geklaut worden. Sie bitten die angesprochenen Jungen, einen Blick auf ihre Handys werfen zu dürfen. Dann drängen sie die Opfer, sie zu dem bestohlenen Bruder zu begleiten – um sie auf dem Weg auszurauben. Alles ist abgesprochen. Der eine spielt den Aggressiven, ein anderer den Beschwichtigenden. Ein Dritter sorgt dafür, das niemand abhaut. Jeder schlüpft in die zuvor ausgeknobelte Rolle. Für die fünf Jungen ist es ein Zeitvertreib: ein lustvolles Spiel des Dominierens und der Macht.
Über eine Länge von fast zwei Stunden beobachtet „Play“ des schwedische Regisseurs Ruben Östlund, wie Anas, Yannick, Abdi, Nana und Kevin ihre Opfer Sebastian, Alex und John quer durch die Stadt und auf die grüne Wiese treiben: zu Fuß, mit der Tram, per Bus. Eine Odyssee durch das städtische Niemandsland von Göteborg. Dabei wirft er einen genauen Blick auf die Regeln dieses Spiels: wie sich die Opfer beinahe wehrlos ergeben. Und wie untätig die Zeugen in den Geschäften oder in der Tram meist bleiben.
Östlund begibt sich dabei auf dünnes Eis. Die Täter sind dunkelhäutige Migrantenkinder; die Opfer kommen fast alle aus der weißen Mittelschicht. Nun mag es zwar stimmen, dass der Film auf wahren Begebenheiten beruht: Zwischen 2006 und 2008 beging eine Gruppe schwarzer Teenager etwa 50 solcher Überfälle. Wer einen sozialen Konflikt dieser Art in einen Film packen will, der muss entweder blind für die Gefahren vorurteilsbefeuernden Kinos sein – oder besonders durchdacht vorgehen.
Östlund lässt sein Publikum bewusst lange im Unklaren darüber, ob er rassistische Stereotypen bedient oder sie klug umgeht. Für das Siegel des einwandfrei politisch Korrekten stellt er seine fünf Einwandererjungen jedenfalls viel zu brutal, bedrohlich und durchtrieben dar. Damit entgeht er aber zugleich der Gefahr des positiven Rassismus. Auch die Schwarzen denken in viel zu engen Rastern. Gleichzeitig zeigt Östlund, Jahrgang 1974, in seinem dritten Spielfilm eine Kultur, in der das stereotype Denken so weit geht, dass sich dunkelhäutige Migranten die Vorurteile zum eigenen Vorteil machen können – und das, obwohl hier milchweiße Männer rötliche Rastalocken tragen und Reggae hören oder blasse Teenagerinnen in der Schule afrikanische Tänze aufführen.
Der Regisseur und sein Kameramann Marius Dybwad Brandrud halten die Handlung dabei meist in langen Totalen fest. Nahaufnahmen gibt es kaum. Die Kamera bewegt sich nur selten. Oft steht sie starr abseits und blickt aus der Ferne durch Glastüren auf das Geschehen. In diesem Film spielt sich fast ebenso viel im Off ab wie im Bild selbst: hinter Türrahmen, Mauervorsprüngen oder schlicht außerhalb des Rahmens. Trotz dieser Distanzierungsstrategien hält der Film den Zuschauer von Anfang bis Ende in Bann, ja, er verbreitet eine manchmal kaum erträgliche Anspannung.
Die aggressive, mitten aus dem Großstadtleben gegriffene Handlung dieses Films, der die üblichen Konventionen des Genrekinos zu vermeiden versucht, überwindet spielend jede Distanz. Und doch – und das ist eine weitere Überraschung dieses Films – bleibt dem Zuschauer stets Raum zur Reflektion. Östlund gelingt ein beinahe paradoxes Kunststück: Er erzeugt Spannung und Kontemplation zugleich.
In Berlin im Central am Hackeschen Markt und fsk am Oranienplatz (beide OmU)
Julian Hanich
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