zum Hauptinhalt
Hitler sells. Ein Blick in die bisher publikumsträchtigste Ausstellung des DHM, die an diesem Sonntag endet.
© picture alliance / dpa

Deutsches Historisches Museum: Auf der Suche nach einem Kopf

Hans Ottomeyer verlässt das Deutsche Historische Museum. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Und das Haus steckt in einer Krise.

Am kommenden Sonntag geht in Berlin nach viereinhalb Monaten die Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums (DHM) zu Ende. Bis jetzt wurden dafür rund 250 000 Tickets verkauft, ein Rekord für das Haus. Und zwei Wochen später, am 15. März, wird Hans Ottomeyer, seit September 2000 Chef der ursprünglich von Bundeskanzler Helmut Kohl ins Leben gerufenen Institution, von Kulturstaatsminister Bernd Neumann mit einem Festakt offiziell verabschiedet werden. Aber es gibt noch keinen Nachfolger.

Was bei einer so herausragenden Position im deutschen Kulturbetrieb überrascht. Und noch mehr verblüfft, dass die Suche nach einem Nachfolger für Ottomeyer, dessen Pensionierung mit 65 seit Jahr und Tag bekannt war, vom zuständigen Kulturstaatsminister überhaupt erst im Dezember 2010 eingeleitet wurde. Anders als bei Ottomeyers Berufung als Nachfolger des sehr abrupt aus eher privaten und nie erklärten Gründen ausgeschiedenen Gründungsdirektors Christoph Stölzl, ist die Stelle nicht ausgeschrieben worden. Stattdessen sucht nun eine von Neumanns Stellvertreterin Ingeborg Berggreen-Merkel angeführte achtköpfige Findungskommission, der neben Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse und Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz auch die Vorsitzenden des Wissenschaftlichen DHM-Beirats angehören: Horst Möller, Leiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, und der Berliner Historiker Etienne Francoise.

Trotz aller in personellen Erwägungen angebrachten Diskretion wirkt das Verfahren selbst sonderbar geheimnisvoll. Staatsminister Bernd Neumann weiß auswendig kaum die Zahl der Mitglieder seiner Findungskommission und trägt, zur Ottomeyer-Nachfolge befragt, eine Mischung aus Halbinformiertheit und Volloptimismus zur Schau. Man werde schon den oder die Richtige berufen, eine Vakanz von ein paar Monaten in der DHM-Leitung sei „kein Weltuntergang“, und „Qualität geht bei dieser Entscheidung vor Schnelligkeit“. Dennoch sagt er: „Ich gehe davon aus, dass bis zum 15. März, wenn Herr Ottomeyer verabschiedet wird, die Nachfolge feststeht.“

Der scheidende Direktor, der sich seit der Umwandlung des Museums in eine öffentlich-rechtliche Stiftung vor zwei Jahren Präsident nennt, zeigt sich über das Prozedere fast amüsiert: „Ich werde ja gebeten, den Raum zu verlassen, wenn in den Gremien von meiner Nachfolge die Rede ist. Das ist nur korrekt.“ Aber wie man in der Museumsszene einen „qualifizierten Kandidaten“ aus einer schon herausgehobenen Stellung und den damit verbundenen vertraglichen Verhältnissen so kurzfristig gewinnen will, das bleibe das „Geheimnis der hier Befugten“. Er selber habe dem Kulturstaatsminister, aus dessen Etat das jährliche 20-Millionen-Budget des DHM stammt, „drei Namen vorgeschlagen, mehr kann ich in der Sache nicht tun“.

Tatsächlich hat es vor gut drei Wochen in Berlin eine Vorstellungsrunde gegeben, bei der von den sieben Geladenen wohl nur vier vor der Findungskommission erschienen sind. Keiner (und keine) hatte dabei auf Anhieb schon so überzeugt, dass eine Entscheidung möglich gewesen wäre. Vorgestern tagte nun der Beirat, und man plant offenbar eine zweite Kandidatenrunde. Durch das DHM, wo es auch um die Zukunftserwartungen von 200 Mitarbeitern geht, geistern inzwischen die Namen von Museumsleuten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Hessen. Als einer in engerer Wahl gilt Matthias Puhle, der 56-jährige Direktor des Magdeburger Kulturhistorischen Museums.

Puhle, dessen Ambitionen in Fachkreisen nicht unbekannt sind, ist ein renommierter Experte vor allem für mittelalterliche Geschichte; sein mögliches Manko: In der neueren Zeitgeschichte, deren Erfahrungen auf aktuelle Ausstellungen mindestens rückstrahlen sollten, hat sich der Kandidat noch nicht ausgewiesen. Genau dies aber rührt an ein Grundproblem des Deutschen Historischen Museums – und der Hinterlassenschaft seines scheidenden Chefs. Eben hier besteht auch die Notwendigkeit einer öffentlichen Diskussion, die kein Arkan-Verfahren verschleiern darf.

Schon Ottomeyers Zuneigung galt eher der Kunstgeschichte als der politischen Historie, seine Hauptinteressen reichten vom späten Mittelalter über Renaissance und Barock noch hin zum Klassizismus. Die lebendige Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart, über das museale Objekt hinaus, ist seine Sache nicht. So war Ottomeyer nie ein Inspirator und Inszenator, der etwa den räumlich begrenzten, aber architektonisch so reizvollen modernen Pei-Bau kühn und angemessen bespielt hätte. Man sieht das auch an der jüngsten Hitler-Ausstellung. Die ist zwar ein Publikumserfolg, Hitler sells – und Ottomeyers Stellvertreter Dieter Vorsteher merkt dazu an: „Wir hatten Glück, dass wir damit im Herbst eröffneten, da war bei den Schulklassen, die unsere Besucherzahlen mächtig nach oben getrieben haben, gerade das ,Dritte Reich‘ dran!“

Unter Historikern und Ausstellungsmachern gilt die Schau allerdings als zweitrangig. Tatsächlich hat sie kein erkennbares Konzept, zeigt sie keine analytische und visuelle Idee. Es ist eine eher spröde Nacherzählung der Biografie des Diktators, die Massenfaszination und (bestürzend moderne) inszenatorische Verführungskraft des NS-Regimes wird nicht deutlich und nirgends eine tiefere sozialpsychologische, ökonomische oder nationalkulturelle Begründung für das besondere Verhältnis zwischen „Hitler und den Deutschen“ versucht. Gerade jüngere Besucher erfahren auf die eingangs gestellte Frage „Wie war Hitler möglich?“ keine Antwort und kaum eine die eigene Vorstellungskraft beflügelnde Anregung. Topoi wie beispielsweise das Verhältnis von Wirtschaftseliten, Führerkult und NS-Bewegung oder die massenhafte „Arisierung“ jüdischen Vermögens bleiben mit Erwähnungen am Rande völlig unterbelichtet. Ebenso die Verbindung von Diktatur und einer über 1945 hinauswirkenden verbrämenden Unterhaltungskultur.

Die Mängel der Ausstellung gehen dabei bis ins schlampige Detail: Auch nach über vier Monaten ist da, wenn es zum Untergang kommt, auf einer Tafel zu lesen: „Von mir aus kann Göring ruhig die Kapitulationsverhandlungen führen.“ Nach einem verlorenen Krieg sei das „sowieso gleichgültig“ – so „Hitler über Göring am 23. April 1945 in Berchtesgaden“. Tatsächlich saß Hitler damals, wenige Tage vor seinem Selbstmord, nur noch eingeschlossenen in seinem Berliner Reichskanzleibunker, und Göring war es, der sich Richtung Obersalzberg und Berchtesgaden abgesetzt hatte. Das weiß natürlich auch jeder der beteiligten Ausstellungsmacher. Dennoch hat den Unsinn bis heute keiner korrigiert.

Hans Ottomeyer und auch sein Minister, sie halten zumindest die 2003 eröffnete Dauerausstellung des Museums im ehemaligen Zeughaus des Hohenzollernschlosses Unter den Linden für einen Coup. Man zählt jährlich 800 000 Besucher. Und die Beletage im ersten Stock wirkt auch äußerst repräsentativ, zumal man sich unter Bildnissen des Sonnenkönigs und Napoleons mit der angrenzenden Historie mitunter auch in einen Salon der Grande Nation versetzt fühlen darf. Umso irritierender erscheint, wie ärmlich und kläglich das 20. Jahrhundert, zumal die jüngste Geschichte der Bundesrepublik und der DDR im Erdgeschoss präsentiert wird. Auch dort finden sich seit fast acht Jahren fehlerhafte Bildlegenden, vor allem aber versagt jedes Gespür für das Zusammenspiel von Form und Inhalt, Information, Ästhetik und Aura.

Nur zum Exempel: Stölzl und Ottomeyer waren einst stolz, Objekte erworben zu haben wie etwa den (leeren) Kinderwagen, mit dem 1977 der Mercedes des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer von der RAF gestoppt worden war und so dessen mörderische Entführung begann. Heute steht das ominöse Original in einem grauen, kaum beleuchteten Kabuff, zwischen einer Schachtel der ersten deutschen Antibabypille und dem Trachtendirndl einer Olympiahostess von München 1972: eine „Inszenierung“ des damaligen Zeitgeistes?

Nein, die Stimmung innerhalb des bedeutendsten deutschen Geschichtsmuseums ist ziemlich verheerend. Der als autokratisch bezeichnete Direktor soll viele kreative Mitarbeiter verprellt haben. Ottomeyer, nach außen ein gebildeter, humorvoller Bonvivant, werden da zwei Gesichter nachgesagt. Auch das Verhältnis zum Ministerium gilt als gespannt, zumal nach Verschwendungsvorwürfen gegenüber dem DHM in einem Bericht des Bundesrechnungshofes vom Sommer 2009, der dem Tagesspiegel vorliegt. Ottomeyer wiederum verweist mit guten Argumenten auf bürokratische Korsetts, auch in dem neuen DHM-Stiftungsgesetz, das statt größerer Eigenständigkeit und Planungssicherheit die Museumsarbeit auch in Zukunft erschwere.

Ein renommierter Museumsdirektor, der für das DHM von sich aus wegen privater Gründe abgewunken hat und seinen Namen nicht „wie eine verdeckte Kandidatur“ in der Zeitung lesen möchte, meint dazu: Es gebe im DHM ein „ungeheures Potenzial“, wenn man nur mal „einen neuen Geist“ in dem Haus wehen lasse. Dieser Geist wird weiter gesucht.

Hans Ottomeyer, 65, kam im Jahr 2000

von den Staatlichen Museen Kassel nach Berlin und ist einem breiteren Publikum auch durch die TV-

Sendung „Kunst & Krempel“ bekannt.

Zur Startseite