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Islamkritik: Auf der Suche nach dem inneren Feind

In seinem jüngsten Buch analysiert der Migrationsforscher Klaus J. Bade auch, warum der NSU-Schock schon wieder abebbt

Ein Innenminister lässt „verdachtsunabhängig“ Moscheegänger beobachten, doch ein Trupp durchaus verdächtiger junger Nazis kann jahrelang unbeobachtet deutsche Türken ermorden. Islamistische Hassseiten werden indiziert, ihre Hinterleute verfolgt. Doch wer auf islamophoben Seiten zum Abschuss freigegeben wird, erfährt vom Staatsschutz, da sei nun einmal nichts zu machen.

Das ist auch Klaus J. Bade widerfahren. Zeitweise habe er sich vogelfrei gefühlt, schreibt er. Und musste hören, Hasstexte führten nicht gleich zur Tat. Zu den Gründen hat Bade Antworten, die wohl wenige andere geben könnten. Der Historiker hat Einwanderung nicht nur als einer der ersten deutschen Akademiker beforscht, sondern immer wieder Politikberatung zu diesem Thema gemacht. Er ist also ein ziemlich guter Kenner der Ämter, Ministerien, Sicherheitsbehörden, die derart mit zweierlei Maß messen.

Bade erklärt dies plausibel mit ihrer Fixierung auf ein Konzept von innerer Sicherheit, das noch aus dem Kalten Krieg stamme und – so könnte man ergänzen – den (inneren) Feind braucht. Da haben „Islamkritiker“ wie die Soziologin Necla Kelek oder Berlins Exsenator Thilo Sarrazin kaum noch mehr zu tun, als die fertigen Muster zu bestätigen und zu festigen. Bade zitiert einen Referatsleiter im Stuttgarter Innenministerium mit den Worten, Kelek habe ihn immer wieder darin bestärkt, „auf dem richtigen Weg zu sein“. Nicht Kelek solle man angreifen, sagte der Ethnologe Werner Schiffauer, „sondern die deutsche Öffentlichkeit, die nur auf so jemanden wie Kelek gewartet hat, der all das bestätigt, was sie schon immer über Muslime gedacht hat“.

Bade zitiert ihn zustimmend, hält sich aber leider nicht an Schiffauers Rat. Mit manchmal wütender Ausführlichkeit attackiert er die Leitfigur des (ein schönes Bade-Wort) islamophagen „Agitationskartells“ bis in ihre akademischen Anfänge hinein. Das gerät ihm oft unnötig hämisch. Spannend dagegen, wie er nachzeichnet, warum diese „ethnische Unternehmerin“ (Coskun Canan) so lange einen so dankbaren Markt fand. Bade spürt die strukturelle Gewalt gegen „Andere“ auf, die von noch immer zu vielen deutschen Institutionen ausgeht. Die Ermittler, die den Familien der NSU-Opfer verschlagenes Schweigen oder lügenhafte Aussagen unterstellten, brauchten dazu nicht erst die – viel spätere – Debatte über den angeblich verschlagenen Muslim. Dabei thematisiert Bade auch die Rolle der Medien, am Beispiel der „FAZ“. Was bürgerliche Medien, keineswegs nur konservative, in der Islamdebatte antrieb, wird vielleicht einmal von Soziologen geklärt werden.

Mehr als ein Jahr nach Entdeckung der NSU-Morde scheinen sich die Institutionen, wie der Stuttgarter Beamte, weiter auf dem richtigen Weg zu sehen: In den Parlamenten dünnt der Schock in unspektakuläre Ausschussarbeit aus, und die versprochene Reform der Sicherheitsbehörden, schreibt Bade, „ist vorzugsweise technisch-organisatorischer Natur“, das Bundesinnenministerium nach wie vor „erkennbar überfordert mit der Gestaltung von Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik“.

Wenn Deutschland sich endlich der Wirklichkeit einer Einwanderungsgesellschaft stellen wolle, dürfe Integration aber nicht mehr die „nebenamtliche Spielwiese“ des Innenressorts bleiben, fordert Bade. Und sie müsse alle Bürger, auch die alteingesessenen, mit allem ausrüsten, was nötig ist, sich in ihr zurechtzufinden – von der Schule bis hin zur kultursensiblen Altenpflege. Zugleich müsse das populäre Eindreschen auf Minderheiten aufhören. Dass das im Volk längst weniger populär ist als die Politik glaubt, weiß Bade, Gründungschef des „Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Migration und Integration“ aus eigenen Untersuchungen. Minderheiten nicht zu schützen, sei für die ganze Gesellschaft „eine Lebensgefahr“.

– Klaus J. Bade:

Kritik und Gewalt.

Sarrazin-Debatte,

„Islamkritik“ und

Terror in der Einwanderungsgesellschaft. Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts. 2012. 400 Seiten, 22 Euro.

Andrea Dernbach

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