Premiere: "Rigoletto": Auf der Buckelpiste
Zum Verdi-Jahr inszeniert Jan Bosse an der Deutschen Oper Berlin „Rigoletto“. Es ist eine Premiere, die unter keinem guten Stern steht.
In seiner Hofnarrenrolle ist Rigoletto ein gemeiner, hinterhältiger Kerl, zu jedem brutalen Spaß aufgelegt. Kaum aber hat er die Spaßmacher-Larve abgesetzt, wird er zum verletzlichen Charakter, der an der Bosheit der Welt leidet und nur ein Ziel hat: seine Tochter von den menschlichen Abgründen fernzuhalten.
Wenn Schauspielregisseur Jan Bosse Verdis Drama an der Deutschen Oper inszeniert, stülpt er dem Werk ebenfalls eine Maske über. Die altbekannte sozialkritische Bürgerschreck-Strumpfmaske nämlich. Bühnenbildner Stéphane Laimé hat ihm dafür den Zuschauerraum des Hauses nachgebaut. Die Tropenholzvertäfelung, die senfgelben Sessel schreien also am Sonntag das Premierenpublikum zwei Akte lang an: Auch ihr seid gemeint! Als Rigolettos Tochter Gilda dann einsehen muss, dass ihr geliebter Herzog ein promiskuitiver Tunichtgut ist, bricht die Welt zusammen – und die Dekoration auseinander. Nackte Bühnenwände werden sichtbar, Arbeiter drehen die Sitzreihen um 180 Grad. Später werden Menschen und Dekoration lautlos in der Versenkung verschwinden, das Finale zwischen Rigoletto und seiner sterbenden Tochter findet im kalten Neonlicht statt.
Wie oft haben Opernfans schon solche Traumweltdekonstruktionen mit ansehen müssen! Nur Jan Bosse offensichtlich nicht, denn er geht wohl eher selten ins Musiktheater. Zwei Barockopern hat er bislang inszeniert, jetzt durfte er das romantische melodramma für sich entdecken. Unter der Maske des vermeintlich Modernen steckt dabei Rumsitztheater der allerkonventionellsten Sorte. Da wird mit den Armen gerudert, da strecken sich Hände zum Himmel, kurz, da stört keine ordnende Regisseurshand die Sänger in ihrem gewohnten Bewegungsrepertoire, das sie abspulen, wenn sie kurzfristig in eine alte Repertoireinszenierung einspringen. Bei ihrer „Caro nome“-Arie steuert Gilda nach wenigen Takten einen Platz in der zweiten Reihe des Bühnenparketts an, steigt als Zeichen ihrer Backfisch-Erregung kurz auf die Sitzfläche, um dann schnell wieder eine Lehne zum Niederlassen zu suchen.
Dieser „Rigoletto“ ist nun also der Beitrag der Deutschen Oper zum Verdi-Jahr – und gleichzeitig der Ersatz für Hans Neuenfels’ legendäre Inszenierung von 1986. 94-mal ging der Vorhang für diese Produktion hoch, einer ganzen Generation haben sich die suggestiven Bilder eingeprägt: Das Palmeninselchen, auf dem Rigoletto seine Tochter unter Naturschutz zu stellen versucht, die Begegnung des Narren mit dem Auftragskiller, die vor einer Wand stattfindet, auf der „Am Ende einer dunklen Gasse“ geschrieben steht, die Entführungsszene mit den überdimensionalen Wetterfrosch-Gläsern, das Holzgestell schließlich, auf dem sich im dritten Akt alle Parallelhandlungen so gut sichtbar darstellen lassen.
Als der Theaterregisseur Stefan Bachmann Wagners „Tristan“ 2007 an der Staatsoper in den Sand gesetzt hat, unter tätiger Mithilfe der Architekten Herzog und de Meuron, erzwang Daniel Barenboim die Exhumierung der Vorgängerproduktion von Harry Kupfer. Hier und jetzt wünscht man sich Neuenfels zurück.
Einen Narren mit Wirbelsäulenverkrümmung bekommt das glanzvolle Premierenpublikum, darunter viel Politprominenz, nicht zu sehen – dafür fühlt sich der Abend musikalisch an wie die Landung auf einer Buckelpiste. Der ursprünglich vorgesehene Tenor war dem Opernhaus schon am Freitag abhandengekommen, wenige Stunden vor der Vorstellung blieb dann auch noch der Sopranistin die Stimme weg. Immerhin erklärte sich Lucy Crowe bereit, ihre Rolle zu spielen, während die aus Wien eingeflogene Olesya Golovneva von der Seite mädchenhaft-leidenschaftliche Töne liefert – und dafür vom Publikum dankbar gefeiert wird. Weniger gnädig geht man mit dem eingesprungenen Duca di Mantova um. Dabei beherrscht Eric Fennell die angemessene Machomimik für die Rolle, kann sowohl die knackengen Lederhosen wie später auch den pinkfarbenen Anzug tragen (Kostüme: Kathrin Plath). Sicher führt der Amerikaner seinen tenore di grazia, formt elegante Linien, auch die Höhen bereiten ihm kein Problem. An mittleren Häusern macht er damit zweifellos eine bella figura – für das zweitgrößte Opernhaus der Republik ist sein Organ einfach nicht durchschlagskräftig genug. Wenn die führende Stimme untergeht, fehlt der Oper ihr musikalischer Höhepunkt, das Quartett im 3. Akt.
Andrzej Dobber kann alles bieten, was ein Rigoletto braucht. Er ist ein Baum von einem Mann, auch vokal. Nur hat er vielleicht als Verdi-Sänger schon zu viele Jahresringe angesetzt. Im Interview gibt er zu, sich nach Wagner-Rollen zu sehnen. Er weiß ganz genau, wie er die verschiedenen Seelenzustände des Titelhelden gestalten muss, um Effekt zu machen. Und doch bleibt es am Sonntag beim puren Handwerk. Als Leidender vermag diese Figur bis zuletzt nicht zu berühren.
Als billiges Flittchen muss Clémentine Margaine die Mörderschwester Maddalena spielen – nur ihre Stimme verrät, wie raffiniert und mehrdeutig Sexappeal funktionieren kann. Schön schwarz lässt Albert Pesendorfer als Sparafucile seinen Bass raunen, für den Fluch des Verzweifelten Monterone geht Bastiaan Everink an seine vokalen Grenzen.
Bedenkt man, wie schwer es der junge Dirigent Pablo Heras-Casado hat, diesen unter ungünstigen Sternen stehenden Abend irgendwie zu retten, verdient er uneingeschränkt Respekt für seine Leistung. Die Koordination mit der Bühne funktioniert nahezu reibungslos, das Orchester folgt ihm rhythmisch präzise und dynamisch differenziert. Doch so etwas wie Atmosphäre, gar musikalischer Zauber will unter diesen Umständen nicht aufkommen. Selbst die Herren des von William Spaulding so phänomenal gecoachten Chores klingen rustikaler als gewohnt, können der Sturmszene keine bedrohlich-suggestive Note geben, scheinen sich fast am vielen Text zu verschlucken, wo sie sich als Mädchenentführer gegenseitig lachend zum Leisetreten ermahnen sollten.
Wieder am 24., 28. und 30. April.
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