"Komödie der Irrungen" bei den Salzburger Festspielen: Auch Shakespeare schätzt Soufflé
Theaterglück: Henry Mason inszeniert die „Komödie der Irrungen“ bei den Festspielen in Salzburg mit entwaffnendem Wortwitz und feinstem englischen Humor.
„Verurteilt mich, führt meinen Tod herbei, und sprecht mich so von allen Sorgen frei.“ Was für ein Anfang für eine Komödie! Der junge William Shakespeare legt diese Worte Egeon von Syrakus in den Mund, in einem seiner ersten Werke, entstanden um 1585. Seit sieben Jahren irrt der Kaufmann durch die Welt, auf der Suche nach seinem Sohn, der seinerseits nach dem verlorenen Bruder fahndet. Ahnungslos landet Egeon in Ephesus, das in der Zwischenzeit eine Fehde mit seiner Heimatstadt begonnen hat, und wird sofort in Haft genommen. Erst fünf Akte später rettet eine Äbtissin sein Leben – weil sie im Delinquenten ihren Ehemann erkennt, von dem sie ein Vierteljahrhundert zuvor bei einem Sturm getrennt wurde: Auch ihre Zwillingssöhne samt ihren ebenfalls eineiigen Sklaven wurden damals mit ins Unglück gerissen, denn dass Schiff brach just so entzwei, dass auch die Familie zweigeteilt wurde. Von Fischern gerettet, kamen die einen nach Syrakus, die anderen nach Ephesus.
Noch abstruser lässt sich keine Versuchsanordnung für eine Bühnenfarce ausdenken – und doch gelingt es Shakespeare bereits in diesem Frühwerk, Heiterkeit und Düsteres zu mischen, den Klamauk stets am Rande der Tragödie anzusiedeln. Antipholus und Dromio, die Zwillingspaare, die auch noch identische Namen tragen, begegnen einander erst ganz am Ende – werden dafür aber ständig von ihren Ehefrauen, Geschäftspartnern oder öffentlichen Ordnungskräften für die jeweils anderen gehalten, sodass sie in eine ernsthafte Identitätskrise geraten.
„Die Leute in diesem Stück sind rührend naiv“, analysiert Regisseur Henry Mason, der nach einem umjubelten „Sommernachtstraum“ von 2013 jetzt mit der „Komödie der Irrungen“ seine zweite Inszenierung bei den Salzburger Festspielen realisieren konnte. „Alle sind ganz ehrlich miteinander und trotzdem passieren ständig die wunderlichsten Verwirrungen, weil keiner nachfragt. Wenn nämlich einer nachfragen würde, fiele alles in sich zusammen.“ Genau darin liegt auch die Schwierigkeit jeder Inszenierung: Stimmen Timing und Balance nicht, zerfließt das szenische Soufflé ganz schnell zu einem Quatschmatsch.
Durch die zauberhafte Optik entsteht sofort eine Atmosphäre der Leichtigkeit
Mason aber macht alles richtig auf der Pernerinsel, der idyllisch gelegenen Nebenspielstätte des Edelfestivals. 20 Kilometer außerhalb, in Hallein, findet man das von der Salzach umflossene Eiland, auf dem seit 1992 Theater geboten wird, in einer ehemaligen Saline, die Peter Stein in seiner Zeit als Salzburger Schauspielchef entdeckte. In die hohe Industriehalle wiederum hat sich Mason jetzt von Bühnenbildnerin Michaela Mandel seine Spielinsel bauen lassen, umgeben von 80 000 Liter Wasser in einem 18 Zentimeter tiefen Becken. Schummriges Licht empfängt die Besucher, ein Trio spielt Bar-Jazz. Im Hintergrund türmen sich Holzstühle zu einem begehbaren Gebirge, manchmal schweben Schaukeln von der Decke herab, alle weiteren Requisiten werden im fliegenden Wechsel von elfenflinken Helfern herbeigeschafft.
Durch diese zauberhafte, von Jan Meier mit eleganten Kostümen im Modegeschmack der frühen sechziger Jahre bereicherte Optik entsteht sofort eine Atmosphäre der Leichtigkeit. Die von den Akteuren mühelos aufgegriffen wird: In den Proben sind sie zum eingeschworenen Ensemble geworden, die Dialoge sitzen passgenau, Rede und Gegenrede fliegen blitzschnell hin und her wie in der besten Screwball-Comedy. Und das, obwohl sich alles im Korsett des festgelegten Versmaßes abspielt. Henry Mason hat eine neue Übersetzung geschaffen, bei der sich manche Zeile reimt, die beim Silbenzählen aber vor allem auf die Poesie von Melodie und Rhythmus bedacht ist.
Als zusätzlichen Kick wollte der Regisseur die Zwillingspaare je nur mit einem Schauspieler besetzen – was die Darsteller zwingt, eigene Facetten für die äußerlich identischen Figuren zu finden. Erstaunlich feine Nuancen gelingen Thomas Wodianka und Florian Teichtmeister da im extrem körperbetonten Wer-ist-gerade-wer?-Getümmel. Selbstbewusst und herrisch tritt der eine Antipholus Wodiankas auf, während der andere fast an sich verzweifelt. Teichtmeisters Dromios wiederum haben den Naturburschen- Charme eines Papageno, hier mit einem deutlichen Schlag ins Kumpelhafte, da mit der Unterwürfigkeit eines klassenbewussten Dieners.
Herrlich wienerisch-schmierig
Meike Droste gibt als eifersüchtige Ehefrau die Drama-Queen so überdreht, dass ihre Adriana trotzdem Fallhöhe bekommt und darum anrühren kann, wenn für einen Moment hinter der Furienfassade die tief in ihrer treuen Seele Gekränkte aufscheint, die nicht versteht, warum der, den sie für ihren Mann hält, plötzlich ihren Namen noch nie gehört haben will. Hinreißend virtuos agiert diese Truppe, bis in die kleinste Nebenrolle: Herrlich wienerisch-schmierig ist Alexander Jagschs Goldschmied, lustvoll hinlangend Claudia Kottals Kurtisane, mitleiderregend deppert Reinhold Moritz‘ Wachtmeister. Und daneben ist da ebenso Raum für die weltenthobene, wie innerlich leuchtende Äbtissin der Barbara de Koy oder auch für einen Mimen alter Schule wie Roland Renner, der dem todgeweihten Egeon Würde verleiht und die haarsträubende Vorgeschichte so packend-pathetisch zu deklamieren weiß, dass man sie wirklich glauben möchte.
Jede Szene ein Sketch, Situationskomik, die niemals derb wird, entwaffnender Wortwitz und feinster englischer Humor, Evergreens wie „Baby, won’t you please come home“ oder „Stranger in paradise“, die der Pianist Patrick Lammer mit seinen Schlagzeug- und Kontrabass-Kompagnons so selbstverständlich einfließen lässt, als seien sie extra für diesen Abend komponiert worden, Figuren, in denen sich das befreit auflachende Publikum selber wiedererkennt – so sieht das perfekte Komödienglück aus.
Zehn Aufführungen bis 22. August, Infos unter www.salzburgfestival.at