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Tambourmajor. Dirigent Enoch zu Guttenberg und das Friedensorchester.
© Kai Bienert

Bilanz zu Young Euro Classic: Auch Schönheit ist Arbeit

Hohes Niveau, volle Häuser, man versteht einander: Zum Abschluss des Festivals Young Euro Classic.

Er präsentiert sich erst mal als Mann mit Humor: „Ihrem entspannten Beifall entnehme ich: Sie wissen, dass ich an diesem Abend weder singen noch musizieren werde“, sagt Frank-Walter Steinmeier, der Pate des diesjährigen Finalabends von Young Euro Classic. Schade nur, dass dem Bundesaußenminister danach doch nur die Platitüde einfällt von der Musik, die politischer Sprachlosigkeit eine andere Sprache entgegensetzt.

Recht hat er natürlich trotzdem. Miteinander zu reden, statt sich abzuschlachten, dürfte schon lange keine so ferne Vision mehr gewesen sein wie in diesen Zeiten, in denen der IS den Nahen Osten mit barbarischen und archaischen Methoden ins blutige Chaos stürzt, in denen ein unerklärter Krieg mit Russland die Ukraine innerlich aushöhlt und Hunderttausende auf der Flucht sind, übers Mittelmeer nach Europa. Das wiederum taumelt von einer Identitätskrise in die andere, weiß nicht, wie es die vielen aufnehmen soll, die kommen, kämpft mit der Solidarität seiner Mitgliedsstaaten und ist zugleich selbst Zielscheibe des Terrors, in Paris, in Kopenhagen, im Thalys-Zug.

Und jetzt das: Beethovens 9. Symphonie, das einzige Werk dieses Abschlussabends. Europahymne und Utopie. Alle Menschen werden Brüder. Gespielt vom Young Euro Classic Friedensorchester, das auf eine Idee von Festivalchefin Gabriele Minz zurückgeht. Mit Musiker aus Armenien, Deutschland, der Ukraine – und Russland. Dirigiert von Enoch zu Guttenberg. Wie würde das klingen, mit all den politischen Hintergrundinfos, die in unserem Bewusstsein brausen? 

Im schnellen Scherzo drücken alle noch mehr aufs Gas

Wollend. Trotzig. Drängend. Über das bei Beethoven sowieso übliche Maß hinaus. Wir haben keine Zeit, es brennt an allen Ecken und Enden. Schönheit ist Luxus, Friede und Brüderlichkeit nichts Selbstverständliches. Sondern ein Projekt, das unter Verzweiflung und Rückschlägen hart erarbeitet sein will. Auch Enoch zu Guttenberg weiß offenbar ziemlich genau, was die Stunde geschlagen hat. Tänzerisch, streng, auch mal verbissen schmeißt er sich in die Partitur, scheint jeden Takt mit dem Körper physisch abbilden zu wollen, wechselt die Gestik augenblicksweise, ist restlos „dabei“. Eine Kreuzung aus Schulmeister und Tambourmajor. Bei jedem Crescendo zittern seine Hände vor Aufregung. Dass auch das Tempo äußerst rasch und zügig gerät, braucht es noch erwähnt zu werden?

Im schnellen Scherzo – molto vivace – drücken alle noch mehr aufs Gas, manche Stimmen überholen schon mal die anderen. Dafür sackt die Spannung im langsamen dritten Satz abrupt ab. Hier ist der Ort, an dem das Orchester runterkommen, einige Erregungsstufen zurückschalten müsste. Dafür fehlt es offenbar noch an Flexibilität, oder der Adrenalinpegel ist zu hoch. Dann endlich: der vierte Satz, auf den das ganze Werk zuläuft. Der Satz, in dem Beethoven die Grenzen einreißt, indem er erstmals die menschliche Stimme ins musikalische Gewebe integriert. Zunächst aber ertönt das Freude- Thema in den Bässen und Celli. Dann die zweiten Geigen. Die ersten. Das Thema steigt auf, von der Tiefe in die Höhe, wird immer lichter und fülliger zugleich. Bevor mit dem Bassbariton Mischa Schelomanski der Mensch dazu kommt: „Oh Freunde, nicht diese Töne!“ Was das Orchester im Großen leistet, bildet das Solistenquartett im Kleinen ab. Tenor Alexander Schulz-Kulischenko kommt aus der Ukraine, die (leider kaum zu hörende) Altistin Seda Amir-Karayan aus Armenien, und Susanne Bernhard aus Deutschland schwebt mit ihrem glockenhellen Sopran über allem. Von toller Homogenität bei gleichzeitiger Farbvielfalt präsentiert sich der Chor der KlangVerwaltung. Als alles vorbei ist, steigt ein sichtlich erschöpfter zu Guttenberg durch die Reihen, tief ins Orchester hinein, dankt vielen Musikern einzeln.

25 000 Besucher in 18 Konzerten, also über 1000 pro Abend, sprechen eine recht deutliche Sprache

Als vielbeschäftigter Maestro war zu Guttenberg erst am Freitag zum Probenprozess gestoßen. Vorher haben die jungen Musiker zehn Tage in einer Berliner Turnhalle studiert und geprobt, gemeinsam gegessen, vielleicht Fußball gespielt und hoffentlich das Friedrichshainer und Kreuzberger Szeneleben gekostet. Es sind genau solch multinationalen Ensembles wie das Friedensorchester, in denen sich der völkerverständigende Geist von Young Euro Classic wirklich und handfest im Alltag ausprägen kann. Denn zum Festival reisen zwar viele Jugendorchester an – aber auch gleich wieder ab. Jeden Abend spielt ein anderes Ensemble. Zu tiefschürfenden Begegnungen kommt es da kaum. In den multinationalen Orchestern aber – neben dem Friedensorchester waren das dieses Jahr noch das deutsch-israelische Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar zur Eröffnung und das I, Culture Orchestra mit Musikern aus sechs osteuropäischen Ländern – besteht im mehrtägigen Probenprozess tatsächlich die Möglichkeit, dass junge Angehörige manchmal sogar verfeindeter Länder Bekanntschaft, wenn nicht Freundschaft schließen. Und vielleicht manches im Kleinen besser machen. Als Leitbild dient natürlich Daniel Barenboims West Eastern Divan Orchestra.

25 000 Besucher in 18 Konzerten, also über 1000 pro Abend, sprechen eine recht deutliche Sprache. Gefühlt war das Konzerthaus immer voll bis auf den letzten Sitz im zweiten Rang. Dass Young Euro Classic vergangenes Jahr wegen Renovierung in Philharmonie und Admiralspalast ausweichen musste – noch dazu mit einem Monat Pause dazwischen – hat die Popularität des Festivals dieses Jahr in seiner 16. Ausgabe offenbar nur gesteigert. Der ansonsten spielfreie August tut sein Weiteres dazu. Nicht immer war das Niveau gleich hoch, aber es hat sich gesteigert, fast wie eine Beethoven- Symphonie. Ausgerechnet das deutsch-israelische Orchester stieg schwach ein. Umso stärker jetzt der Abschluss.

Udo Badelt

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