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Haifaa al Mansour, geboren 1974, studierte Literatur in Kairo sowie Regie und Filmwissenschaft in Sydney. Bekannt wurde sie mit der Dokumentation „Women Without Shadows“. „Das Mädchen Wadjda“, ihr Spielfilmdebüt, kommt am Donnerstag in die Kinos.
© dpa

Regisseurin Haifaa al Mansour: „Auch kleine Schritte muss man feiern“

Regisseurin Haifaa al Mansour über Saudi-Arabiens weiten Weg zu einer liberalen Gesellschaft.

Frau al Mansour, Ihr Film erzählt von einem saudischen Mädchen kurz vor der Pubertät, das sich die Erfüllung seines größten Wunsches erstreitet, ein Fahrrad. Wie sind Sie selber in Saudi-Arabien aufgewachsen?

Ich komme aus einer Familie mit zwölf Kindern, ich bin die Nummer acht. Wir lebten in einer Kleinstadt nahe der Küste, sie liegt in einer Oase, berühmt für die besten Datteln des Königreichs. Ich ging auf eine öffentliche Schule, und das ist gut: Da verstehst du, aus welchem Land du kommst, das schafft Identität. Andererseits ist es in so einer Kleinstadt auch langweilig, und so guckte ich schon früh eine Menge Filme, zu Hause.

Aus welchen Verhältnissen stammen Sie?

Konservative Mittelklasse, sehr traditionell. Meine Eltern sprechen kein Englisch, und sie sind auch nicht gerade reich. Andererseits – mein Vater ist Anwalt – hatte ich auch Zugang zu Zeitschriften, Büchern, Romanen. Meine Freunde sagten, da kriegst du nur korrupte Ideen mit, dafür wird Gott dich strafen. Als Teenager war ich wütend auf meine Eltern, weil ich sein wollte wie alle anderen. Jetzt bin ich dankbar für das, was meine Familie mir mitgegeben hat.

Sie sind sogar bis nach Sydney gekommen. Was braucht es dafür in Saudi-Arabien, besonders als Frau?

Man muss sich auf ein Ziel fokussieren, nicht darauf, wie andere einen sehen. Das ist überall schwer im Nahen Osten. Es gibt viele Hindernisse, die den individuellen Willen brechen. Aber erst einmal kam ich nach Kairo, da habe ich studiert, an der Amerikanischen Universität.

Auch nicht gerade der kürzeste Weg.

Zuerst war das der totale Schock. Ich dachte, ich kann Englisch, ich hatte ja gute Noten, aber in dieser Elite-Umgebung war ich plötzlich sehr zurück. Und erst der Erfolgsdruck! Meine Familie hatte große Opfer gebracht, damit ich dort studieren konnte, die Kosten waren eine enorme Belastung. Ich war erst auch ganz unselbstständig, für Frauen wird ja immer alles erledigt, damit sie bloß nicht mit der Welt in Kontakt treten, da mag das Elternhaus noch so liberal sein.

Inzwischen leben Sie in Bahrain. Eine echte Zickzack-Lebensreise.

Das hat auch mit meinem Mann zu tun. Er ist Amerikaner, er war Kulturattaché in der Botschaft, als ich dort meinen Dokumentarfilm „Women Without Shadows“ vorstellte. Wir verliebten uns, heirateten in Saudi-Arabien und gingen 2007 nach Sydney, wo ich meinen Master machte. Danach waren wir in Washington, aber ich fühlte mich zu weit weg von meiner Heimat und wollte, dass unsere Kinder auch meine Kultur kennenlernen. Die Insel Bahrain liegt ja direkt vor der saudischen Küste, mit dem Auto ist es nicht mal eine Stunde über den King-Fahd-Causeway.

Inwiefern ist das Leben in Bahrain für Frauen anders als in Saudi-Arabien?

In Saudi-Arabien müssen alle, auch westliche Frauen, die Abaya tragen, das ist Gesetz. Immerhin müssen wir nicht mehr unbedingt das Gesicht bedecken, nur die Haare. In Bahrain kann ich, so wie jetzt beim Interview, westlich gekleidet sein, auch ohne Kopftuch. Viele Frauen dort verhalten sich aber so konservativ wie die Saudis, obwohl sie die Wahl haben. Die Gesellschaften ähneln sich sehr.

Und wenn Sie in Saudi-Arabien zu Besuch sind?

Ich zeige immer mein Gesicht. Wenn eine Frau ihr Gesicht verschleiert, dann versteckt sie ihre Identität. Das ist falsch. Frauen sollten stolz auf sich selber sein. Ich respektiere es zwar, wenn Frauen sich aus Bescheidenheit oder aus religiösen Gründen verschleiern, aber es beunruhigt mich trotzdem, für sie. Manche verzichten sogar auf einen Ausweis, nur weil der mit einem Passfoto verbunden ist! Dabei braucht man ihn für vieles – um ein Konto zu eröffnen oder zu reisen.

In Ihrem Film fährt die kleine Wadjda mit dem Rad hinaus in die Nachbarschaft. Neuerdings dürfen saudische Frauen Fahrrad fahren, wenn auch nur in männlicher Begleitung. Ist das eine Folge Ihres Films?

Ja, das denke ich. Der Film wird in SaudiArabien viel diskutiert und hat ein neues Gemeinschaftsgefühl geschaffen.

Dabei kann man ihn dort noch gar nicht sehen.

Aber die Presse berichtet ausführlich. Er hat Preise gewonnen, und darauf sind die Saudis stolz. Das mit dem Fahrradfahren ist nur eine kleine Veränderung. Aber eine konkrete. Sie ändert die Denkweise der Menschen. Es ist wichtig, auch kleine Schritte zu feiern. Sie bereiten die größeren vor.

Welche Modernisierungsperspektive sehen Sie generell für Ihre Heimat?

Saudi-Arabien ändert sich, unwiderruflich. Viele begabte junge Menschen werden jetzt mit staatlichen Stipendien ins Ausland geschickt, nach Amerika, England oder auch Deutschland. Wenn sie zurückkommen, sind sie definitiv verändert. Überhaupt werden die Menschen toleranter, sogar in den Kleinstädten. Das Internet bringt viel in Bewegung. Sexuelle Inhalte etwa werden zensiert, aber der Zugang zu den Social Media ist frei.

Andererseits gibt es in der Viermillionenmetropole Riad kein einziges Kino.

Das hat mit dem sehr konservativen öffentlichen Leben zu tun, da wird die Religion besonders strikt ausgelegt. Videos gibt es überall, aber Filme in Kinos zu zeigen ist verboten. Darüber wird zwischen Konservativen und Liberalen heftig gestritten. Denkbar wäre wohl höchstens: ein Kinosaal für Frauen, einer für Männer. Beide Geschlechter zusammen, noch dazu in einem dunklen Raum – unmöglich.

Ihre Filmheldin heißt Wadjda. Hat der Vorname eine besondere Bedeutung?

„Wadjda“ ist eine Ableitung des arabischen Worts für „Liebe“. Es ist ein poetisches Wort für Sehnsucht und Verlangen.

Ihr Film ist eine deutsch-saudische Koproduktion. Wie verlief die Drehbucharbeit?

Erst wollte ich unbedingt, dass die Mutter im Verlauf der Handlung stirbt, da war ich stur. Die Welt sollte erfahren, wie die saudischen Frauen leiden! Als aber die Einwände nicht aufhörten und bei einem Wettbewerb in Sundance 100 000 Dollar ausgesetzt waren, schrieb ich die Geschichte kurzerhand um und fand sie plötzlich selber besser so und auch bewegender. Und dann habe ich auch noch den Wettbewerb gewonnen!

Und der Dreh in Saudi-Arabien?

Wir hatten Geld- und Zeitprobleme, und dann kamen sogar Sandstürme hinzu. Natürlich war es auch sonst nicht einfach, das Land ist noch nicht reif dafür. Bei den Außendrehs zum Beispiel musste ich meine Anweisungen aus einem Kleinbus heraus geben, per Walkie-Talkie.

Wann können die Saudis Ihren Film sehen?

Zunächst zeigen wir ihn in den Kinos der Nachbarstaaten, in Bahrain, Katar, Kuwait und Dubai. Da sehen ihn auch Saudis – viele fahren gern übers Wochenende nach Bahrain, um ins Kino zu gehen. Später soll die DVD herauskommen, und danach wird der Film auch im saudischen Fernsehen gezeigt. Wenn ich da an die Anfänge zurückdenke, als ich gemeinsam mit meiner Berliner Produktionsfirma verzweifelt nach Partnern im Nahen Osten gesucht habe! Niemand glaubte an die Story.

Warum denn nicht?

Viel zu harmlos, hieß es, bloß dieses kleine Mädchen und das Fahrrad. Aber dann kamen die saudischen Rotana-Studios an Bord – und jetzt ist es ganz mein Film, in dem ich deutlich sage, was ich über meine Welt sagen will. Nur schockieren will ich die Zuschauer nicht. Ich will sie auf eine Reise mitnehmen.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

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