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Bundeskanzlerin Angela Merkel, (geborene Kasner) mit ihren Schulfreunden aus der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule Templin/Brandenburg (2. Reihe, Mitte, leicht verdeckt).
© dpa

Die DDR-Jugend der Angela Merkel: Auch ich war Agitator

Jetzt kommt's ans Licht: Angela Merkel war in der FDJ und für Agitation zuständig. Das war unser Autor auch - und er wünscht der Kanzlerin viel Erfolg bei der Erinnerungsarbeit

Wenn ich einmal Kanzler bin, dann darf mir das auf keinen Fall passieren. Keine Enthüllungen, die ich nicht längst entkräftet habe. Keine Interviews mit Weggefährten, die Dinge offenbaren, die ich nicht lange zuvor eingeordnet hätte. Jetzt, da das unserer Kanzlerin passiert, da ihr die Mitgliedschaft in der FDJ, der DSF und dem FDGB um die Ohren fliegt, da es heißt, sie sei in ihrer FDJ-Grundorganisation nicht nur für die Kultur zuständig gewesen, sondern für Agitation und Propaganda, jetzt ist es Zeit, dass ein jeder, dessen Herkunft makelhaft, also ostdeutsch ist und der noch etwas werden will, die Karten auf den Tisch packt.

Hier sind meine: 1975 trat ich der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ bei und ließ mir im Kreiskulturhaus Oberspree ein blaues Halstuch umbinden. Bei der Wahl der Pionierleitung ernannte man mich zum Mitglied dieses Repressionsgremiums. Ich wurde nicht Vorsitzender, nicht stellvertretender Vorsitzender, auch nicht Kassierer, sondern: Agitator. Ich war sieben Jahre alt.

Wahrscheinlich gibt es keine Akten, die meine frühe Verstrickung dokumentieren, dennoch will ich sie, so weit erinnerlich, benennen. Unsicher bin ich, wie lange ich das Amt innehatte. Sicher weiß ich, dass ich nicht wusste, worin die Aufgabe des Agitators bestand. Ich erinnere mich an die ratlosen Blicke meiner Eltern, als ich ihnen stolz von meiner neuen Funktion erzählte und sie fragte, was ich nun zu tun hätte. Den Aufgabenbereich eines Agitators überblickten auch sie nicht. Verantwortungslos strichen sie mir nur über den Kopf und sagten: Du machst das schon.

Ich kann nicht ausschließen, dass ich zentrale Punkte meines systemstabilisierenden Verhaltens verdränge, dass sie im Unbewussten schlummern. Daher möchte ich die folgenden Aussagen unter Vorbehalt treffen. Mir ist keine Situation erinnerlich, in welcher ich in meiner Funktion als Agitator ein Mitglied meiner oder einer anderen Pioniergruppe zu bekenntnishaftem, sozialistisch-solidarischem oder anderweitig regimekonformem Verhalten aufgefordert oder gar gezwungen hätte. Ich erinnere mich, wie die Pionierleiterin meiner Schule mir zu verstehen gab, dass die zentrale Aufgabe des Agitators im Erstellen von Wandzeitungen bestand. Hierzu waren Bilder zu malen sowie Artikel und Fotos aus Presseerzeugnissen der DDR auszuschneiden und in sinnvoller Anordnung auf einer rot oder blau grundierten Pappe zu befestigen. Ich erinnere mich an eine Wandzeitung anlässlich des 30. Geburtstags der DDR. Hierfür malte ich eine gelbe (!) Sonne mit 30 Strahlen. Da meiner Klasse genau 30 Schüler angehörten, schrieb ich an jeden Strahl einen Namen. An weitere ideologische Aussagen dieses Machwerkes erinnere ich mich nicht, distanziere mich aber von möglichen in vollem Umfang.

Später war ich Mitglied der FDJ (Freie Deutsche Jugend) und auch der DSF (Deutsch-sowjetische Freundschaft). Die Mitgliedsbeiträge bezahlte ich regelmäßig bis zum Ausscheiden aus der Erweiterten Oberschule im Jahr 1987. Danach hatte ich zu keinem Kassierer der genannten Organisationen weiteren Kontakt. Es existiert kein formeller Austrittsbescheid, ich kann also nicht ausschließen, in fortexistierenden Mitgliederverzeichnissen aufgeführt zu sein. Vorsorglich bzw. rückwirkend möchte ich hiermit meinen Austritt aus Pionierorganisation, FDJ und DSF erklären und versichere, dass ich spätestens seit dem Beitritt meiner alten Heimat DDR zu meiner neuen Heimat Bundesrepublik in keiner der genannten Organisationen aktive Mitarbeit geleistet hätte. Dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) habe ich nie angehört.

Über die Verstrickung der Kanzlerin möchte ich mir kein Urteil anmaßen. Ich wünsche ihr viel Erfolg in der Erinnerungsarbeit und in ihrer weiteren beruflichen Laufbahn. Alle ehemaligen oder derzeitigen Mitglieder der Pfadfinder, der Jungen Union, Jungen Liberalen oder Jungsozialisten beglückwünsche ich zum richtigen Ort und Zeitpunkt ihrer Geburt und zu ihrer Selbstgewissheit, stets auf der richtigen Seite gestanden und der richtigen Sache gedient zu haben.

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