Pop: Atzenmusik, na klar!
Sie wollen hoch hinaus, aber nicht nach Berlin: Kraftklub aus Chemnitz bringen Punkrock und Hip-Hop zusammen und sind die Band der Stunde.
Aufzuhalten sind sie nicht. Es passt einfach vieles zu gut. Und sie wollen auch nicht aufgehalten werden. Fünf Burschen Anfang 20, die sich Kraftklub nennen und alle in den gleichen schwarz-weißen Baseball-Jacken auftreten. Die eine Berlin-Hymne geschrieben haben, die eine Anti-Hymne sein soll. Die ihre E-Gitarren wie die Strokes in ein hartes Stakkato kippen lassen, aber so viel Text im Kopf haben, dass er in hastigen Rap-Zeilen aus ihnen heraussprudelt. Punk-Rock und Hip-Hop zusammenzubringen, das wird diese Band in andere Sphären katapultieren als die stickigen Clubs, mit denen sie es jetzt noch überwiegend zu tun haben.
Aber es ist ein langer Weg dorthin. Und an einem Donnerstagabend Anfang Januar versperren ihn einige hundert geladene Gäste in einem Gewerbehof in Berlin Weißensee. Auch Kameraleute haben sich unter das Publikum gemischt. Es soll eine Live-Show werden, zu sehen im Internet. Zwei mannshohe Kühlschränke stehen im Raum. Man darf sich bedienen, nachgefüllt wird immer. Später wird Kraftklub-Sänger Felix Kummer der Menge erstaunt mitteilen, dass die Bandgarderobe einem riesigen Bierlager gleiche. Da hat er noch nicht begriffen, dass sie genau das ist: die Vorratskammer, aus der Mitarbeiter der Produktionsfirma immerfort Nachschub für die Kühlschränke herankarren.
Zum Singen kommt Felix Kummer zunächst nicht. Nach jedem Song stürzt ein bebrillter Bursche auf ihn zu, um ihn auszufragen. Das gehört zur Show. Auf die Wände werden Fragen aus Chat-Foren projiziert. Und es gibt auch ein Webcam-Roulette. Das Publikum ist in diesem Moment in zwei Hälften geteilt. Die eine steht der Band leibhaftig gegenüber, tobt und schwitzt. Die andere sitzt irgendwo vor dem Computer und wird plötzlich dazugeschaltet. „Janine...“, sagt der Bebrillte. „Ja!“ „Hallo!...Du kannst jetzt Deine Frage stellen“. „Hallo Kraftklub, kommt ihr bald nach Leverkusen?“
Darauf weiß Felix Kummer erstmal keine Antwort, er redet trotzdem munter drauf los. Vielleicht hat er sich die Sache mit dem Ruhm ein bisschen anders vorgestellt als dieses Community-Dings. Vielleicht aber auch nicht. Auf ihrem am Freitag erscheinenden Debütalbum „Mit K“ tun Kraftklub jedenfalls so, als würde sie der Erfolg total überrumpeln. „Kredibilität liegt immer noch in weiter Ferne“, heißt es im Auftaktsong „Eure Mädchen“, „wir sind nicht Tocotronic / und wir sind auch nicht Die Sterne“. Dafür überholen sie sich selbst in ihrem Echtzeit-Universum, und das geht so: „Jetzt sind wir Kommerz,/ dank Medienpräsenz./ Uns schlottern die Knie/ und wir reden mit den Fans.“ Es ist immer gut, zu jeder Gelegenheit den passenden Song zu haben.
Geht es nach der Plattenfirma, ist das Erste, was man von dieser Band wissen muss: „Kraftklub kommen aus dem Osten.“ Dieser Satz auf einem kunstvoll gefalzten PR-Leporello springt einen wie eine Warnung an. Also vielmehr wie eine Verheißung. Der Osten soll der neue Westen sein. Was der Westen an Willen zur großen Geste und an hybrider Pop- Revolte verloren hat, flammt im Osten der Republik nun wieder auf. Die Art, sich zu kleiden, zu reden und sich in eine Rolle hineinzufantasieren ist hier noch nicht von überkomplexen Distinktionsdiskursen abgeschliffen. So zumindest lautet die Botschaft, die Felix, seinem Bruder Till, der Bass spielt, und ihren drei Freunden Karl, Steffen und Max an Gitarren und Schlagzeug den Weg in die Charts ebnen soll. Das Lifestyle-Modell Provinz bekommt durch sie gewaltig Auftrieb.
Der Legende nach sollen sich Kraftklub am Neujahrstag 2010 in ihrer Heimatstadt Chemnitz formiert haben, aus Langeweile natürlich, was sonst? Seither reihen sich Erfolgsmeldungen aneinander. Sofort einen Nachwuchswettbewerb gewonnen, als Vorbands für Beatsteaks und Fettes Brot sich erste Muskeln erworben. Zwar unterlagen sie zuletzt beim Bundesvision Song Contest Tim Bendzko („Nur noch kurz die Welt retten“), aber ihre rasante Mischung aus Aggro-Rap und schneidigen Britpop-Riffs ist zu verlockend, als dass sie verpuffen dürfte.
Allerdings ist verdächtig, wie viel die Band in ihren Stücken über sich selber spricht - als PR-Berater in eigener Sache. Mit Sätzen wie: "Wir sind Deine Lieblingsband" oder "werdet jetzt unsere Fans, jetzt sind wir neu" setzen sie auf die selbst erfüllende Prophezeiung. Kraftklubs Aufruf an die künftige Gefolgschaft folgt dabei dem Impuls, den auch die britischen Kaiser Chiefs bemüht haben mit ihrem Krawall-Song "I Predict A Riot". Es fetzt natürlich, einer Band bei ihrer Selbstüberschätzung zuzusehen, vor allem auch, weil es amüsant ist, dass da ein paar halbwüchsige Bengel den eigenen Rock'n'Roll-Traum mit sozialer Gewalt verwechseln. Kraftklub aber lassen immerhin durchblicken, dass man es mit Weicheiern zutun hat, die die Pflanzen reden hören und nackt im Regen tanzen.
So raffiniert die Musik ist, die Haltung dahinter verleidet einem das Vergnügen. Sie offenbart einen bizarren Minderwertigkeitskomplex. Der passt so gar nicht zu der Kraftklub-Devise „Wir sind nicht kredibil, wir machen Popmusik!“ Das soll als Entschuldigung dafür dienen, dass es ihnen nicht um Kunst geht, sondern um Anerkennung. Denn etwas anderes könnten sie sich als Loser, in deren Pässen Karl-Marx-Stadt als Geburtsort steht, gar nicht leisten. „Atzen-Musik“ wollen sie machen, Musik, die prollig ist, kaputt, stumpf, wogegen nichts zu sagen wäre – wenn sie es nur täten! Aber sie arbeiten sich daran ab, dass das ja leider nichts wert ist in den Augen der „Indie-Polizei“. Ebenso gut könnten sie sagen: Wir sind die Größten, aber leider nicht so groß wie die, die wirklich groß sind.
Und da bekommt der ganze schöne Kraftklub-Zauber einen schalen Nachklang. Selten hat man eine deutsche Band die triste Lebenssituation der Jugend so energisch und glaubwürdig auf den Punkt bringen hören und mit dem Gestus des verspielt Rebellischen ausstatten sehen. Doch es ist ein schlapper Gestus. Der Angriff sieht wie eine Verteidigung aus. „Wir sind zu jung für Rock’n’Roll“, singen sie, auch das noch? Und Schuld an dieser Misere sind mal wieder andere, in diesem Fall die kiffenden Eltern.
Als Zeitdiagnose mag diese Gemütslage noch durchgehen. Sie ist ein Fall für den Therapeuten. Als Musik möchte man sie nicht erleben.
Das Kraftklub-Ego ist ein merkwürdig verkümmertes. Will man im Ernst von einer Band darüber aufgeklärt werden, dass sie Kraft aus einem Anti-Berlin- Trotz schöpft?
Es erinnert daran, dass die Kölner Punkband Angelika Express sich desselben Themas schon vor Jahren einmal angenommen hat. „Geh doch nach Berlin“, riefen sie damals, und stolz blieb ungesagt, welche Konsequenz sie für sich selbst daraus gezogen hatten: Wir bleiben hier!
Mit der Verweigerungshaltung spielt auch Kraftklubs bislang größter Hit, „Ich will nicht nach Berlin“. Der Song ist großartig. Wie Felix Kummer die Stadt als Zufluchtsort für Leute beschreibt, die megabeschäftigt tun, aber sagen: „Businessmäßig hab ich mich da noch nicht festgelegt“, das trifft es genau. Aber vielleicht wird das Kraftklub-Problem in diesem Berlin-Abgesang besonders deutlich. Ein großer Rock’n’Roll-Moment wird jedenfalls nicht daraus, einzugestehen: „Auch wenn andere Städte scheiße sind, ich will nicht nach Berlin.“ Im Kopf hängen bleibt das Bild einer Jungenstruppe, die gefangen in der Psychodynamik des Jammer-Rock sich auch noch darüber beklagt, dass sie eben unwillig ist, sich dem Treck in die Hauptstadt anzuschließen.
Es ist das Dilemma der Band, sich vorlaut und unabhängig geben zu wollen, aber nicht genug Mumm zu haben, das Leben in der Provinz als gloriose Alternative zu feiern. Die defensive Aggression geht ziemlich schnell auf die Nerven.
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