Darren Aronofskys "Noah" als Comic: Archetyp mit Wasserschaden
Diese Woche startete in deutschen Kinos der Monumentalfilm "Noah". Bereits zuvor hatte Regisseur Darren Aronofsky begonnen, seine Idee in Comicform umzusetzen – mit durchwachsenen Ergebnissen.
Im Jahr 2005 erschien der von Kent Williams gezeichnete Comic "The Fountain", der anschließend 2006 im Kino das Licht(-bild) der Welt erblickte. Wie beim gleichnamigen Film stammte das dazugehörige Script von Darren Aronofsky. Vor allem durch seine Filme "Black Swan" und "The Wrestler" erlangte der Regisseur einige Berühmtheit.
Eher berüchtigt ist Herr Aronofsky für seine ihm Nutzen bringende Wertschätzung der Kunstform Comic. Unschwer erkennbar ist dies an folgendem Satz, gesagt anlässlich seiner Vorgehensweise bei "The Fountain" im Februar 2005 in Montreal: "I knew it was a hard film to make and I said at least if Hollywood fucks me over at least I'll make a comic book out of it." „At least“ – Wenigstens. So weit, so schlecht. Beim soeben angelaufenen Blockbuster-Spektakel "Noah", der wohl die Wiederauferstehung des Bibel- beziehungsweise Sandalenfilms bedeutet – leider ohne Charlton Heston, dafür mit dem bereits in Gladiatorenkämpfen sandalenerprobten Russell Crowe – war eine ähnliche Verfahrensweise des während des Produktionsprozesses zum als „Movie Tie-In“ umdeklarierten Filmbegleitprodukts an der Tagesordnung.
Damit hier keine Verwirrung entsteht: "Noé", so der Originaltitel des in Belgien erstveröffentlichten Comicalbums, erschien bereits 2011. Warum? Sie ahnen es: Es basiert auf dem Erstentwurf des "Noah"-Drehbuchs, doch die Finanzierung eines derartigen Mammutprojekts durch ein Studio erschien Aronofsky, ähnlich wie bei "The Fountain", aussichtslos. Also beschloss er, in Zusammenarbeit mit Ari Handel, der ihm bereits bei den Filmprojekten "The Fountain'" "Black Swan" und "The Wrestler" assistierte, sowie dem Zeichner Niko Henrichon, bekannt durch den Vertigo-Titel "Die Löwen von Bagdad", eine Comicversion zu produzieren. Kurz nach dem Erscheinen des ersten Bandes bekam Aronofsky sein Filmprojekt aber doch noch finanziert.
Verschenkte Chancen
Diese Praxis, die man leicht als Variante des „graphic novel to movie business model“ bezeichneten Vorgehens missverstehen kann, wie sie beispielsweise von der Firma Radical Publishing praktiziert wird, führt dann mitunter schon mal dazu, dass, wie im Fall des Tom-Cruise-Science Fiction-Vehikels "Oblivion", gar keine vollständige Comicvorlage existiert.
Nun, ganz so schlimm geht Aronofsky nicht zu Werk – immerhin hat er in beiden Fällen einen kompletten Comic vorgelegt oder vorlegen lassen. Und im Fall von "The Fountain" gibt es sogar noch eine hübsch anzuschauende Bildergalerie beim "New Yorker" mit Beiträgen diverser renommierter Comickünstler wie Barron Storey oder Bill Sienkiewicz (und ja, bedauernswerter Weise auch Arno Breker-Gedächtnispreisträger Jim Lee). Gelegentlich äußert sich Aronofsky sogar zu seinen Vorlieben im Bereich der Comics, so geschehen in einem Beitrag für die Buchhandelskette Barnes & Noble. Robert Crumbs Adaption von "Genesis" (für nicht so bibelfeste Leser: das ist das 1. Buch Moses, dem auch die Vorlage für "Noah" entstammt) durfte hier denn passenderweise auch nicht fehlen. Außerdem kann man ihm eine Form der Geschmacksentwicklung attestieren, befand er doch noch 2005, dass Comics seit "Watchmen" und "The Dark Knight Returns" nicht viel Revolutionäres hervorgebracht hätten.
Doch zurück zu "Noah", beziehungsweise "Noé": Die Comic-Reihe wurde also fortgeführt und gerade noch rechtzeitig zum Filmstart fertig. Das vierbändige Werk hat sogar einen deutschen und einen amerikanischen Verleger gefunden, und alles ist gut.
Nun ja, fast alles. Den Produktionsbedingungen geschuldet, weist der Comic Mängel auf, die unter anderen Umständen eventuell hätten vermieden werden können. Das beginnt mit einem Script, dem man die bildsprachliche Herkunft vom Drehbuch zu oft anmerkt (Schnitt, Gegenschnitt etc.) und das sich zu wenig auf originär dem Comic entstammende Erzähltechniken verlassen will. Der krude Erscheinungsrhythmus der vier Alben deutet ebenfalls darauf hin (Oktober 2011/Oktober 2012/März 2014/März 2014) und zeigt sich an Hand der inkonsistenten Grafik schwebend zwischen hastig hingezeichneter Konfektionsware und teilweise kulleräugiger Märchenbuchästhetik.
Dabei kann Niko Henrichon auch ganz anders: seine die "Métal Hurlant"-Ästhetik der 1970er und 1980er Jahre herbeihalluzinierenden Monumental-Panels, die beeindruckend vielfältigen und überbordenden Portraits der Flora und Fauna, all dies selbst von ihm in stimmungsvoller Weise koloriert – was hätte das für ein Comic werden können.
Mangelhafter Gegenwartsbezug
Aber auch ein inhaltliches Anpassen der alttestamentarischen Vorlage an den heutigen Zeitgeist fehlt. So wird ein kurzer Dialog über die Ethik des Fleischverzehrs angerissen, nur um dann gleich wieder zu versanden. Erst gar nicht gestellt wird die noch interessantere Frage nach der unabdingbaren Fortpflanzungsbereitschaft als Zugangsvoraussetzung für die Archenfahrt. Aronofsky hat das Herstellen von Bezügen zur gesellschaftlichen Realität in seinen cineastischen Arbeiten schon besser hinbekommen, siehe "Requiem for a Dream" oder "The Wrestler".
Das hier erinnert in seiner konfusen Art leider mehr an die tränenselige Esoterik-Schmonzette "The Fountain". Durch die Unentschiedenheit, ob "Noah" nun eigentlich ein Action-Kracher oder ein moralisches Drama sein will, wirkt alles uneinheitlich und zudem aus der Zeit gefallen.
Ansonsten orientiert man sich an der kurzen Vorlage, wie sie in der Bibel steht, also: Gott ist deprimiert über die verkommene Moral seiner Schöpfung, kündigt eine alles vernichtende Sintflut an, beauftragt vorher Noah mit dem Bau einer Arche, damit er von jeder Spezies auf Erden ein Paar an Bord nehme und so weiter und so fort. Natürlich beackert Aronofsky hier das Thema der Schuldgefühle des Überlebenden, welches von zeitloser Aktualität ist. Er baut dazu zusätzlich ein Drama um eine Schwangere an Bord der Arche ein, deren Nachkommen Noah ertränken will, wenn sie denn weiblich sind, und lässt obendrein die Arche auch von unwürdigen Tagedieben, die aber trotzdem gerne mitfahren würden, angreifen. Im Comic jedenfalls wird das Leben mit den Folgen von Noahs inhumanen Entscheidungen nicht großartig vertieft. Der Verweis auf das Ertragen von Schuldgefühlen durch Flucht in den Rausch zeigt sich lediglich in der bereits aus der Bibel bekannten Weinberg-Episode am Ende des Comics.
Da man aber ebenfalls die aus den Verbindungen von Gotteskindern und Menschenwesen hervorgegangenen Riesen in die Handlung aufgenommen hat (1. Buch Moses, 6.4), kann Niko Henrichon wenigstens beeindruckende mehrarmige Kolosse auf das Papier zaubern. Auch sonst ist die alttestamentarische Wucht des Originalmaterials eine Traumvorlage für einen begabten Zeichner wie Henrichon, aus der er bisweilen einiges herauszuholen versteht. Letztendlich bleibt aber unter dem durchaus zumindest zeitweise inspirierten Strich eine eher banale Survival-/Action-/Melodram-Melange übrig, bei der lediglich Henrichons gelungenere Zeichnungen für einige Ahs und Ohs sorgen. Der Rest versinkt leider im unambitionierten Mittelmaß, da hilft auch keine Arche.
Darren Aronofsky und Niko Henrichon: Noah, vier Bände, Egmont Comic Collection, je 56/72 Seiten, je 15 Euro
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