US-amerikanische Gegenwartsliteratur: Apokalypse will gelernt sein
Virtuose Satire auf die US-Gegenwartskultur: Colson Whiteheads Zombie-Roman „Zone One“.
Die gute Nachricht: Es gibt ein Leben nach der Zombie-Apokalypse! Die schlechte: Es sieht gar nicht so viel anders aus. Man muss wieder Formulare ausfüllen und Verbote beachten. Zum Beispiel: keine Zombie-Entsorgung mehr durch Aus-dem-Fenster-Werfen! Man bekommt von Sponsoren Schokoriegel und T-Shirts geschenkt; vordergründig aus Patriotismus, in Wahrheit aber, weil die provisorische Regierung den Unternehmen für ihre Unterstützung des Wiederaufbaus Steuervergünstigungen versprochen hat.
Vor allem aber: Man kann wieder zur Therapie gehen. Was viele der Überlebenden der rätselhaften Seuche dringend nötig haben, leiden sie doch an „PABS“. Das postapokalyptische Belastungssyndrom manifestiert sich bei jedem anders. Mark Spitz, der Held von Colson Whiteheads neuem Roman, überblendet manchmal, wenn ihm ein „Skel“, wie die Zombies hier genannt werden, entgegentorkelt, dessen Visage mit dem Gesicht eines Bekannten aus der guten alten Zeit – kein Überlebensvorteil, wie sich zeigt.
Die titelgebende „Zone One“ ist ein von den Skels weitgehend gesäuberter Bereich im Süden Manhattens. Von hier aus soll New York für die Menschheit zurückerobert werden – eine Tat von immenser Symbolkraft für alle „Phönies“, so verklärt ein Regierungsmitglied aus Buffalo, dem Hauptsitz des „amerikanischen Phönix“, die „PR-Aktion“. Als Teil eines „Sweeper“-Teams durchkämmt Spitz Hochhaus für Hochhaus, inspiziert jedes fluchtartig verlassene (oder eben nicht verlassene) Apartment und inspiziert melancholisch die Relikte des Konsumzeitalters, all die verstaubenden Plasmafernseher und Kaffeemaschinen.
In einer von Untergangsängsten geplagten Gegenwart ist die Fantasie einer Zombie-Apokalypse, für die es in den USA längst Handbücher und Survival Kits zu kaufen gibt, quasi der feuchte Traum aller „Prepper“, die sich, als säkulare Variante von Endzeit-Sekten, hobbymäßig auf den Zusammenbruch der Zivilisation vorbereiten. Ob ihnen das in Whiteheads Roman geholfen hätte, sei dahingestellt: Wer hier überlebt hat, gehört nicht zu den Stärksten, sondern hat Glück gehabt. Mark Spitz war vor der „Letzten Nacht“ nur ein „mittelmäßiger Mensch“: ein „typischer Vertreter der konsumorientierten Kreditkarten-Durchzieher und leicht zu Beeinflussenden“. Über seine „Kakerlakenhaftigkeit“, sein „Talent für die Apokalypse“ ist er selbst am meisten erstaunt.
Whitehead gehört zu den angesagtesten US-Autoren
Mit seinen inzwischen fünf Romanen und diversen Essays zählt der 45-jährige Colson Whitehead derzeit zu den angesagtesten US-Autoren. Mit „Zone One“ betreibt Whitehead ein hochinteressantes Genre-Slamming, etwas, das sich deutschsprachige Autoren viel zu selten trauen (erinnert sei an Wolfgang Herrndorfs grandios-abgründigen Roman „Sand“). Whitehead verschmilzt hier das Zombie-Genre mit „ernster“ Literatur. Die einschlägigen Ingredienzien nimmt er dabei ebenso ernst, wie es die Comic-/TV-Serie „The Walking Dead“ tut, liefert aber zugleich eine brillante Satire auf die amerikanische Gegenwart, mit Anspielungen auf den 11. September oder den angestrengten „Go shopping“- und „Yes, we can“-Optimismus eines George W. Bush oder eines Barack Obama.
Freilich ist die Wahl des Genres nicht zufällig. Nicht weil Whitehead, wie er in Interviews bekannt hat, seit Kindheitstagen George-A.-Romero-Fan ist. Sondern weil Zombies viel eher die Ängste und Albträume der Gegenwart spiegeln als die viktorianischen, zu Tode trivialisierten Blutsauger. Zombie-Geschichten ventilieren nicht nur den aussichtslosen Kampf des Einzelnen gegen eine gesichtslose Masse, sondern zugleich den um Sinn in einer nihilistischen Welt.
Dabei bereichert Whitehead das Genre um eine geniale Variante, die „Stragglers“, Nachzügler, das Primärziel von Mark Spitz’ Sweeper-Team. Warum sie in der deutschen Übersetzung „Irrläufer“ heißen, ist unerklärlich, handelt es sich doch um Skels in einem harmlos katatonen Zustand: Einzelne Zombies bleiben, warum auch immer, einfach an einem bestimmten Ort, wiederholen eine Tätigkeit bis in alle Ewigkeit. Für Spitz und sein Team sind die Straggler ein permanentes Faszinosum, für den Leser eine Gänsehaut erzeugende Allegorie seiner modernen Existenz. „Viele dieses Typs warteten natürlich vor dem Fernseher darauf, dass der Strom wiederkam … Hatten ja alle Zeit der Welt. Ihr Leben war eine Endlosschleife wiederholter Gesten gewesen; jetzt wurde ihre Existenz auf diesen einen ewigen Moment verengt. … Wie sie eine CD in das Spielgerät schoben. Im Spagat auf der Yogamatte. Flocken aus einer Schale löffelnd. Im toten Netz surfend.“
„Zone One“ ist auch sprachlich ein Ereignis: Der saloppe Sarkasmus des Helden, der „jeden toten Parkuhrableser oder Wettervorhersager“ abknallen will oder die naive Alles-wird-gut-Hoffnung der ersten Tage als „Zahnfeephase“ bezeichnet, schraubt sich durch verschiedenste Sprachregister. Und erweckt dabei beständig Totes zum Leben und macht aus den Lebenden untote Systeme: vom Anblick der „Teerpappenschädel der Mietskasernen“ bis zu den nach einem überraschenden Skel-Angriff in einem Hochhausbüro erstmals seit langem wieder hochgefahrenen „Subroutinen seiner Überlebensprogramme“.
Raffiniert beginnt Whiteheads erzählte Gegenwart etliche Monate nach der Apokalypse. Der Horror ist so gut wie vorbei, es geht wieder aufwärts mit der Menschheit, auch wenn Mark Spitz dem „Phönie-Quatsch“ nicht so recht traut und über die Vergeblichkeit aller Hoffnungen meditiert. Was zuvor war, die Suche nach immer neuen Zufluchtsorten, erfährt man aus den Erinnerungen, in die sich Whiteheads Held beim Durchkämmen der Hochhäuser verliert. Der Tonfall des „Man kennt das ja“ macht „Zone One“ dabei zudem zum ersten selbstreflexiven Zombie-Roman in der Literaturgeschichte.
Colson Whitehead: Zone One. Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Hanser Verlag, München 2014.304 Seiten, 19,90 €.
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