Kultur: Andrzej Wajda verfilmt Polens Nationalpoem
Andrzej Wajda hat Mut bewiesen - und ein Gedicht verfilmt. "Pan Tadeusz" ist sozusagen die polnische Bibel.
Andrzej Wajda hat Mut bewiesen - und ein Gedicht verfilmt. "Pan Tadeusz" ist sozusagen die polnische Bibel. Sein Verfasser Adam Mickiewicz, der die moderne Sprache der Polen maßgeblich formte, galt schon zu Lebzeiten als geistiger Vater der Nation. Nur wenige Werke der Weltliteratur übten einen vergleichbaren Einfluss auf ein ganzes Volk aus wie dieses Hohelied der Heimatliebe aus dem 19. Jahrhundert. Mickiewiczs lyrischer Ausflug in die Welt seiner Kindheit war mehr als ein Gedicht. Das Poem ersetzte den Polen das verlorene Vaterland und wurde zum festen Bestandteil ihrer patriotischen Gesinnung. Ganze Lehrergenerationen trichterten ihren überforderten Schülern "Pan Tadeusz" ein.
Wajda nun löst seine Aufgabe virtuos. "Pan Tadeusz" ist sein bester Film seit über zwanzig Jahren und gleich neben "Asche und Diamant", "Gelobtes Land" und "Mann aus Marmor" anzusiedeln: Sechseinhalb Millionen Polen haben ihn bis jetzt gesehen. Die Stärke von Wajdas Verfilmung liegt paradoxerweise in der Treue, die er der Dichtung hält. Was die meisten Leser oft übersehen, ist der Spott, mit dem Mickiewicz seine Landsleute porträtiert. "Pan Tadeusz" bevölkern seltsame Gestalten. Es sind Adelige, die sich die Zeit mit Saufgelagen und Tischgesprächen vertreiben. Ihr Land wird von Zaren aus Petersburg regiert, und ihr Herz schlägt für Napoleon, den Korsen, der sie befreien kann. Ein Graf und seine trinkfesten Nachbarn überfallen das Gut eines Richters, um eine absurde Fehde auszutragen. Gesetze scheint es nicht zu geben. "Vor Gericht gewinnt, wer im Felde siegt", sagt einer der Räuber unter Berufung auf die Lebensweisheit aus der polnischen Adelsrepublik.
Mickiewiczs nachsichtiger Hohn verleiht Wajdas Film eine überraschende Aktualität. Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus werden die Polen stärker denn je mit den gespenstischen Seiten ihrer selbst konfrontiert. Die raffgierigen Volksvertreter, die Korruptionsskandale und die Kriminalität scheinen das polnische Gemeinwohl ebenso zu gefährden wie einst der Verlust eigener Staatlichkeit. Doch Wajdas "Pan Tadeusz" ist mehr als Gesellschaftskritik in historischem Kostüm - ein Film über die verlorene Heimat, eine Reise in eine Provinz, die längst zum Mythos geworden ist.Heute 21.30 Uhr (CineStar2), morgen 10.30 Uhr (CinemaxX7), 15.30 Uhr (Berlinale-Palast), 18.2., 18.30 Uhr (Royal).
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