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Stagediven mit Schlauchboot. Deichkind treiben den Bühnen-Dadaismus auf die Spitze.
© DAVIDS/Michael Huebner

Deichkind: Anarchie ist tanzbar

Wie ein Freie-Szene-Theater mit viel Geld und sehr guter Laune: Deichkind exerzieren den Exzess in der Berliner C-Halle perfekt durch.

Der Wahnsinn hat nicht einfach Methode. Er ist das Konzept dieser Show. Am Ende, nach zwei Stunden bassbefeuerter Feierwut in der zum Bersten gefüllten Berliner C-Halle, besorgen Deichkind den Overkill. Letzte Zugabe: „Remmidemmi“, die Yippie-Yippie-Yeah-Hymne vom Album „Aufstand im Schlaraffenland“, ein Krawall-Hit, den sie selbst nur noch hochnehmen können. Was dann aussieht wie ein verunglückter Kindergeburtstag, zu dem nur Erwachsene mit nacktem Bierbauch gekommen sind. Da wird im Schlauchboot über die Köpfe gerudert, das Publikum aus vollen Daunensäcken gefedert, mit allerlei Flüssigkeiten gespritzt und mit Konfettikanonen geschossen. Und schließlich fliegt noch eine aufblasbare Hüpfburg in die Menge. Es ist perfekt choreografierte Anarchie, und wer darin einen Widerspruch sieht, der glaubt wahrscheinlich auch, Deichkinds Versprechen auf ewige Jugend und noch längeres Nichtstun sei wörtlich zu nehmen.

Die Formation hatte jüngst mit dem Album „Befehl von ganz unten“ ein Comeback gefeiert, es ist die erste Veröffentlichung seit „Arbeit nervt“ aus dem Jahr 2008. In der Zwischenzeit ist der Produzent der Band, Sebastian Hackert, mit 32 Jahren an Herzversagen gestorben, was sich in den Texten nicht als melancholischer Reifeprozess niedergeschlagen hat. Mit den Worten von Sebastian Dürre alias Porky: „Wir sind nicht so Puff-Daddy-mäßig unterwegs und besingen unsere toten Freunde.“

Stattdessen forcieren die vormaligen Hip-Hopper weiter die satten Elektro-House-Beats, mit denen sie seit zehn Jahren Rap und Techno fusionieren. Und dichten dazu Gaga-Zeilen, die das Zeug zu geflügelten Worten haben. Was vor allem für den Track „Leider geil“ gilt, mit dem die Deichkinder das Dilemma des falschen Handelns bei korrektem Bewusstsein feiern. Flatscreen statt Bücherregal? Leider geil. In Billiglohnländern gefertigte Turnschuhe? Leider geil. Besoffene Freunde dekorieren? Gemein, aber leider geil. Und weil die mehrfach gefederte Selbstironie bei der Band zum Programm gehört wie das Neon-Knicklicht, fehlt auch nicht die Zeile: „Die letzte Platte von Deichkind war nicht so mein Ding, doch ihre Shows sind ...“, genau: leider geil.

Da kann man nur zustimmen. Seit das Hamburger Trio um MC Philipp Grütering damit begonnen hat, auf der Bühne illuminierte Pyramidenhelme und bekreuzte Müllsäcke zu tragen, haben sich die Konzerte immer stärker in dadaistische Performances verwandelt. Früher gern mal mit Schwerpunkt auf Alkoholverherrlichung nebst bierspendender Riesenbrust – was aber auch schon ein Spiel mit dem Stumpfsinn und Simulation des Primitiven war. Mehr Baudrillard als Ballermann. Entsprechend konnte man Songs wie „Hört ihr die Signale“ mit Zeilen wie „Kein Gott, kein Staat, lieber was zu saufen“ zwar als Grölmaterial missverstehen. Musste man aber nicht.

Konzeptkunst und Entgrenzung

Auf der aktuellen Tour wird der Exzess jetzt formstreng durchexerziert. Mastermind DJ Phono alias Henning Besser hat sich von der Bühne aufs Regiepult zurückgezogen und an einer komplexen Show aus 22 beweglichen Bühnenelementen gefeilt. Der Mann war ja neben Ted Gaier von den „Goldenen Zitronen“ auch für das Stück „Deichkind in Müll“ verantwortlich, das den Untertitel „Eine Diskurs-Operette“ trug und 2010 in Hamburg auf Kampnagel lief. Und so sieht die Deichkind-Show auch aus: wie Freie- Szene-Theater mit viel Geld und sehr guter Laune. Instrumente finden sich keine auf der Bühne, dafür sechs Performer, die in Hochfrequenz ihre Kostüme wechseln und zum Lied „Papillon“ in ausgeklügelter Choreografie die Regenschirme kreisen lassen.

Musikalische Entgrenzungsbereitschaft in Konzeptkunst zu überführen, das ist längst ein Trend. Besonders eindrucksvoll besetzen den momentan die Youtube-Lieblinge von „HGichT“ (Hammer Geil Ich Tattoo), einer Hamburger Formation, die in ihren Videos gewindelt Mofa fährt und zu Minimal-Techno „Hauptschule, Hauptschule“ ruft. Die treten mittlerweile fast mehr bei Theaterfestivals als in Clubs auf.

Die Deichkind-Show freilich eignet sich in erster Linie noch immer zum kollektiven Auf und Ab der verausgabungsseligen Sorte. Die „Befehl von ganz unten“-Songs sind fast durchweg extreme crowdmover, an der Spitze der Arbeitsverweigerungssong „Bück dich hoch“, die zum Copyright-Verstoß aufrufende Piraten-Hymne „Illegale Fans“ und eben „Leider geil“. Nicht zu vergessen: der Partyhit „Roll das Fass rein“, entstanden mit Tobi und das Bo. Dazu fährt die Band in einem, na klar, rollenden Fass durch die Menge.

Deichkind, hat Ferris MC alias Ferris Hilton unlängst im Interview gesagt, seien eine „Integrationsband“, die vom Hauptschüler bis zum Professor jeden anspreche. Professoren sieht man nicht so viele in der C-Halle, aber dafür jede Menge Jungkreative mit dem gleichen Achtzigerjahre-Trauma wie die Deichkinder, die zwischendrin „Power of Love“ performen. Lauter fröhliche legale Fans, die ihre Mobiltelefone gezückt halten und sich freuen, dass die Band Smartphones auch, logo, leider geil findet.

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