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Spinnenman, schwing' du voran. Andrew Garfield ist der neue Spider-Man. Ab Donnerstag in den Kinos.
© Sony Pictures

Spider-Man: Am seidenen Faden

Geglückter Neustart: „The Amazing Spider-Man 3D“ wagt viel und gewinnt – mit Andrew Garfield in der Titelrolle. Der Superheld bekommt es diesmal mit einem Genforscher zu tun, der zu einem Echsenmonster mutiert.

Noch ist nicht entschieden, ob 2012 als gutes oder schlechtes Jahr für Action- Blockbuster in die Kinogeschichte eingehen wird. Es gab spektakuläre Flops wie die tumbe Computerspiel-Adaption „Battleship“ oder die konfuse Edgar-Rice-Burroughs-Verfilmung „John Carter“. Beide spielten mit Mühe ihre irrwitzigen Produktionskosten von jeweils einer Viertelmilliarde Dollar wieder ein, blieben vom Break-Even-Point aber weit entfernt.

Aber es gibt eben auch „Marvel’s The Avengers“. Das erste Kinoabenteuer der Superheldengruppe um die Comic-Ikonen Iron Man, Thor, Captain America und Hulk war ähnlich teuer. Doch Regisseur Joss Whedon verpulverte die Dollars nicht nur für sinnfreie Effekteorgien, sondern verpflichtete Stars wie Robert Downey Jr., Samuel L. Jackson oder Scarlett Johansson und schrieb ein erstklassiges Drehbuch. Tatsächlich legte das Zweieinhalbstundenepos nicht nur den besten Kinostart aller Zeiten hin, sondern ist mit über 1,4 Millarden Dollar Einspielergebnis in der Liste der erfolgreichsten Filme bis auf Platz drei vorgerückt, auf Distanz gehalten nur von James Camerons Kassenschlagern „Avatar“ und „Titanic“.

Ganz nebenbei ist „The Avengers“ damit auch zum erfolgreichsten Superheldenfilm aufgestiegen und hat die bisherigen Genre-Platzhirsche, Christopher Nolans „The Dark Knight“ und die drei „Spider Man“-Filme von Sam Raimi, auf die Plätze verwiesen. Möglich, dass die Bestenliste bald erneut durcheinandergewirbelt wird, denn beide Konkurrenten sind nun wieder am Start: „The Dark Knight Rises“, dritter Teil von Nolans Batman- Saga, hat Ende Juli Weltpremiere, während das vierte Abenteuer des Spinnenmanns diese Woche in die Kinos kommt.

Allerdings geht „The Amazing Spider- Man“ mit einer großen Hypothek ins Rennen, denn selten wurde ein Film im Vorfeld so kritisch diskutiert wie dieser. In den vor Empörung brummenden Internetforen mochte kaum jemand einsehen, dass eine bei Fans und Kritik beliebte und mit weltweit 2,5 Milliarden Dollar Einspielergebnis überaus erfolgreiche Filmreihe nur zehn Jahre nach Erscheinen des ersten Teils ein Reboot samt neuen Darstellern und neuem Regisseur brauchte.

Auch was über die Entstehung des Films gerüchteweise an die Öffentlichkeit gelangte, schürte die unfreundliche Stimmung: Böse Produktionsfirma (Sony) steht wegen drohenden Lizenzverlusts unter Zugzwang, erklärt die Honorarverhandlungen für gescheitert und bootet die bewährte Crew zugunsten eines billigeren Teams aus. Auch die Vermutung, dass man hier mit einem jüngeren Spider-Man die nächste Teenager-Generation ins Kino locken und die höheren Gewinnmargen der 3-D-Technologie abgreifen will, scheint nicht aus der Luft gegriffen.

Wenn man aber seine Voreingenommenheit beiseite schiebt, muss man zugeben: „The Amazing Spider-Man“ ist überraschend gut gelungen, in weiten Teilen sogar sehr gut. Die Geschichte um den High-School-Außenseiter Peter Parker, der durch den Biss einer genmanipulierten Spinne übermenschliche Fähigkeiten erlangt, ist in entscheidenden Punkten neu formuliert und mitreißend erzählt. Regisseur Marc Webb („(500) Days of Summer“) und seine Drehbuchautoren finden eine kluge Balance aus fantastischen Comic-Elementen und handfestem Realismus, aus tödlichem Ernst und heiteren, fast slapstickhaften Momenten.

Die Zerrissenheit des zunächst unfreiwilligen Helden zwischen jugendlichem Überschwang und schockhaftem Erwachsenwerden spiegelt sich in den Gesichtszügen des neuen Hauptdarstellers. Andrew Garfield ist mit 28 zwar älter als Tobey Maguire bei seinem Spinnendebüt 2002, aber man nimmt ihm den linkischen Teenager jederzeit ab. Die neue Vorgeschichte, in der Peters Eltern auf rätselhafte Weise verschwinden und er als Kind bei Onkel Ben (Martin Sheen) und Tante May (Sally Field) abgeschoben wird, macht das verschlossene Wesen des Heranwachsenden plausibler.

Die vorsichtigen Korrekturen an der Hauptfigur können als Reaktion auf den verschobenen Status des Außenseiters in der Jugendkultur der letzten Jahre gelesen werden: Peter Parker ist hier nicht mehr ein bebrillter, von allen verlachter Bücherwurm, sondern ein skatender Computer-Nerd, der dem Schulhofschläger Flash Thompson zwar körperlich wenig entgegenzusetzen hat, aber auch schon vor seiner Heldentransformation vom anderen Geschlecht wahrgenommen wird.

Zudem korrigiert der Film einen Geburtsfehler der alten Trilogie: Die erste große Comicliebe von Peter Parker war eben nicht die in den bisherigen drei Teilen von Kirsten Dunst verkörperte Mary Jane Watson, sondern seine Mitschülerin Gwen Stacy (Emma Stone), deren Vater als Polizeioffizier ironischerweise Jagd auf den selbst ernannten Verbrechensbekämpfer Spider-Man macht. Auf der Schurkenseite gibt es mit dem Genforscher Curt Connors (Rhys Ifans), der zu einem durch New York marodierenden Echsenmonster mutiert, eine hinreichende Bedrohung, und auch die persönliche Tragik, die Spider-Man in den Comics seit Jahrzehnten zuverlässig umweht, kommt nicht zu kurz.

Ein paar genreübliche Unglaubwürdigkeiten – wie etwa die ungeklärte Frage, warum Superkräfte offenbar automatisch mit dem sofortigen Erwerb diverser Martial-Arts-Fähigkeiten einhergehen – kann man „The Amazing Spider-Man“ umso leichter verzeihen, als es der Film tatsächlich mal wieder schafft, die so häufig aufgepfropft wirkenden 3-D-Technik kongenial einzusetzen. Die fantastischen und bis in den letzten Richtungsschlenker durchchoreografierten Netzschwingereien des winzigen Spider-Menschleins in den Hochhausschluchten von Manhattan sind unfassbar schön. Allein dafür hat sich der Neustart gelohnt.

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