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Spider-Man (Tom Holland) muss nicht gleich die Welt retten, sondern „nur“ seine Freunde beim Schulausflug.
© Sony Pictures

Im Kino: "Homecoming": Als Spider-Man noch ein Teenager war

Einfach noch ein Superhelden-Sequel, wie in jedem Blockbuster-Sommer? Nein, "Homecoming" ist eine glaubwürdige Fortsetzung.

In Blockbuster-Rezensionen schwingt oft Kritik an der mangelnden Risikobereitschaft der großen Hollywoodstudios mit. Begründet wird dies mit den Sequels diverser Filmreihen. Stimmt ja auch: Den fünften „Transformers“- oder den achten „Fast & Furious“-Film braucht eigentlich niemand. Fast immer spielen die Superheldenfilme dabei eine zentrale Rolle, wird hier doch die Fortsetzungsmanie auf die Spitze getrieben: Seit dem „Man of Steel“Neustart 2013 gab es vier Filme aus dem Heldenfundus des DC-Universums, zehn „X-Men“-Teile seit 2000, und sage und schreibe 16 Filme haben seit 2008 das mit dem „Iron Man“-Urknall entstandene Marvel Cinematic Universe (MCU) ausgedehnt. Jedes Jahr kommen drei neue hinzu. Ist das der kreative Stillstand einer Branche, die dreistellige Millionenbeträge für einfallslose Sequels verpulvert?

Abgesehen davon, dass sich die Investitionen amortisiert haben (im MCU stehen Kosten von 3 Milliarden Dollar gegen 12 Milliarden Einnahmen), ist es abwegig, gerade dem genuin seriellen Superhelden-Genre vorzuwerfen, dass die Geschichten kein Ende finden. Wer mit den Comics aufgewachsen ist, kennt die süße Frustration des Cliffhangers, der einen auf der letzten Seite jedes Hefts dem nächsten entgegenfiebern lässt. Dieses Prinzip hat das MCU erfolgreich ins Kino transportiert, wobei die Filme nicht nur Fortsetzungen sind, sondern diverse Handlungsstränge geschickt miteinander verknüpfen.

Dieser stetig expandierende Unterhaltungskosmos fordert dem Publikum einiges ab. Denn im Gegensatz zur TV-Serie, die man bequem im Streamingdienst- Abo bingewatchen kann, muss man in Kinokarten oder DVDs investieren, um auf dem Laufenden zu bleiben. Dass dies im Marvel-Universum funktioniert und selbst die Kinoabenteuer vergleichsweise unbekannter Comichelden wie „Doctor Strange“ oder „Ant-Man“ zu Boxoffice-Hits werden, hat vor allem einen Grund: Die Filme sind sehr gut gemacht.

Schon wieder ein neuer Darsteller?

Womit wir bei „Spider-Man: Homecoming“ wären. Zunächst irritierte die Ankündigung eines erneuten Reboots des beliebtesten Marvel-Helden. Hatte man sich nicht gerade erst an Andrew Garfield gewöhnt, der Tobey Maguire nach drei sehr erfolgreichen Spider-Man-Filmen 2012 als „Amazing Spider-Man“ ablöste? Allerdings wurde bereits der zweite (und nicht wie bei Sam Raimis Original-Trilogie der dritte) Teil in den Sand gesetzt.

Der Untertitel des neuen Films, der auf eine Festtradition an der Highschool des Titelhelden anspielt, hat einen Subtext. Obwohl Sony mit seinen Spinnenmännern eine glücklichere Hand hatte als die Konkurrenz von Fox mit den „Fantastic Four“, wurde vereinbart, die weiter von Sony vertriebenen Filme von Marvel produzieren zu lassen und die Comic-Ikone somit buchstäblich an ihren von Fans eingeforderten Platz im MCU heimkehren zu lassen.

Dort tauchte der neue Spidey (Tom Holland) bereits 2016 in der Allstar-Superheldenprügelei von „The First Avenger: Civil War“ als Nebenfigur auf. Über seine damaligen Abenteuer, mit verwackelter Handykamera aufgezeichnet, berichtet er zu Beginn von „Homecoming“ im Duktus eines von den Ereignissen berauschten Teenagers. Doch die ersehnten Folgeaufträge der Avengers bleiben aus. Spider-Man wird von Iron Man/Tony Stark (Robert Downey Jr.) und dessen Assistent Happy Hogan (Jon Favreau) an der langen Leine gehalten, er plagt sich mit den Banalitäten des Schulalltags und seinen noch amateurhaften Versuchen als Verbrechensbekämpfer herum.

Das Blockbuster-Regiedebüt des ehemaligen Werbefilmers Jon Watts ist ein prima Neustart für einen Charakter, der nach fünf Kinofilmen verbraucht wirkte. Durch den 21-jährigen, aber deutlich jünger wirkenden Tom Holland (im Film geht er als 15-Jähriger durch) ist Peter Parker alias Spider-Man nun erstmals glaubwürdig als Teenager gezeichnet. Erfreulicherweise muss der Jungheld nicht gleich die Welt retten, sondern „nur“ in seiner Heimatstadt New York einem skrupellosen Gangster das Handwerk legen.

Die Konfrontation zwischen den beiden Antagonisten ist grandios ausgespielt

Dabei hat Michael Keatons mit gewaltigen mechanischen Vogelschwingen auf Raubzüge gehender und mit Hightech-Alienwaffen handelnder „Vulture“ keine verschrobene Superschurkenagenda, sondern ist im Kern ein frustrierter Malocher-Unternehmer, den widrige Umstände zum Gesetzlosen gemacht haben. Und der nur seinen American Dream mit Vorzeigefamilie und Vorstadtvilla erhalten will.

Der Antagonismus zwischen dem bulligen Keaton und dem zierlichen Holland ist grandios ausgespielt. Ihre eindringlichste Konfrontation ist keine spektakuläre Kampfszene, sondern ein im Auto geführtes Gespräch mit überaus bedrohlichen Untertönen. Neben dem hinreißend unbeschwerten Holland ist Keaton der Besetzungscoup von „Homecoming“: Seine Rolle als geflügelter Bösewicht spielt auf seinen furiosen Part in Alejandro G. Iñárritus Meta-Superheldenfilm „Birdman“ von 2014 an, der wiederum Keatons Vergangenheit als Darsteller in Tim Burtons „Batman“-Filmen persiflierte.

Darüber hinaus wird das Umfeld des Helden mit großer Sorgfalt gezeichnet. Jede der Figuren ist – oft mit wenigen Szenen – glaubwürdig porträtiert, von der feinnervigen Tante May (Marisa Tomei) über den Schul-Bully Flash (Tony Revolori aus „Grand Budapest Hotel“) und den supernerdigen besten Kumpel (Jacob Batalon) bis hin zu den möglichen Love Interests (Laura Harrier, Zendaya).

Die Atmosphäre des Films oszilliert elegant zwischen schwereloser Slapstick-Action und Highschool-Komödie. In kurzweiligen 134 Minuten erspart er einem jenen tragischen Unterton, der die Spider-Man-Saga bisher durchzog: „Homecoming“ verzichtet auf die bereits zweimal durcherzählte Origin Story mit Spinnenbiss und Onkelmord und konzentriert sich auf das Hier und Jetzt eines sympathischen, tollpatschigen, wagemutigen Helden. Der darf zum ersten Mal in seiner Kinokarriere tatsächlich jung sein – und beim Erwachsenwerden möchte man ihm gern ein paar Filme lang zuschauen.

In 20 Berliner Kinos. OmU: Kino in der Kulturbrauerei, OV: Colosseum, Neukölln Arcaden, Cinestar Sony-Center, Zoo Palast

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