Olympia in Berlin: Als die Götter laufen lernten
Von Olympia lernen heißt schauen lernen. Schon vor vor 2500 Jahren waren die Spiele eine Verbindung von Götterdienst und Macht, Repräsentation und Begegnung, Kultur und Sport. Der Berliner Gropius-Bau präsentiert eine großartige kulturhistorische Ausstellung.
In Delphi, so sagt man, war der Nabel der Welt, in Olympia aber schlug das Herz. Das ist nun keine rein griechische Perspektive, denn bereits im 8. Jahrhundert v. Chr., als die Spiele ihre noch heute gültige Form annahmen, unterhielt das Heiligtum auf dem Peloponnes Verbindungen bis nach Sizilien und in den Mittleren Osten. Der Ort selbst muss schon im 3. Jahrtausend besiedelt worden sein, und jüngste Grabfunde weisen auf starke mykenische Präsenz hin.
Siegen oder unterliegen. Man kann in Olympia viel lernen, vor allem dies: Es sind Menschen, die Mythen und Götter machen. Die olympische Zeus-Statue des Bildhauers Phidias, über zwölf Meter hoch und reich verziert, gehörte zu den Sieben Weltwundern der Antike. Von ihr ist nichts geblieben, nur der Platz, auf dem einst der Tempel stand – und die herrlichen Giebelfiguren. Auch hier tobt, wie auf dem Pergamonaltar, ein gigantischer Kampf. Geblieben ist der Mythos, haltbarer als Bronze und Stein.
Im Lichthof des Martin-Gropius-Baus stehen die Kombattanten aufgereiht, in Gipsabgüssen. Sie machen mächtig Eindruck. Wie groß muss der Zeustempel gewesen sein, wenn schon die Giebel derart in den Raum ausgreifen. Die Originale befinden sich im Archäologischen Museum von Olympia. 1875 hatten deutsche Archäologen mit ihren Ausgrabungen begonnen, nachdem die Franzosen schon 1829 fündig geworden waren in jener fruchtbar-freundlichen Landschaft, wo sich die griechische „Kult- und Kulturnation“ feierte, wie es Hans-Joachim Gehrke, der frühere Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts, formuliert.
Bildergalerie: Grabungen in Olympia
Angesichts der langen Vorgeschichte und der Bedeutung des gesamten Komplexes ist es kaum zu glauben, aber die Berliner Ausstellung „Mythos Olympia - Kult und Spiele“ stellt ein Novum dar. Nie zuvor hat sich eine kulturhistorische Schau so intensiv mit Olympia beschäftigt. Noch nie hat Griechenland eine so große Zahl von Artefakten – über 500 – ins Ausland verliehen. Eleftherios Ikonomou, Direktor der Griechischen Kulturstiftung in Berlin, hat das Projekt entworfen und vorangetrieben; keine leichte Sache in ökonomisch vergifteten Zeiten. Etliche Stücke sind überhaupt zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zu sehen. Hinzu kommen Leihgaben aus dem Louvre, den Vatikanischen Museen und der Berliner Antikensammlung. Auch der vorzügliche Katalog bricht mit seinen 3,2 Kilo Kampfgewicht so manchen Rekord.
Dabei hat die Präsentation nichts Auftrumpfendes. Die Statuette eines Läufers, zart und schlank und kaum zehn Zentimeter groß, empfängt den Besucher im ersten Raum. Der kleine Mann ist auf dem Sprung, man folgt ihm gern. Zu dem mykenischen Krater aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, den man in einem Kriegergrab bei Olympia fand, eine der ältesten Darstellungen eines Wagenrennens. Zu den archaischen Schilden und Helmen, den Waffen, die in Olympia den Göttern aus der Kriegsbeute geweiht wurden. Oder zu den sprechenden Terrakotten, die jüngst erst in einem Heiligtum der Demeter entdeckt wurden. Wären Schönheitspreise zu vergeben, dann wäre der bronzene Granatapfel aus der klassischen Zeit ein heißer Kandidat, aber auch der Kopf des Herakles aus einer Metope des sagenhaften Zeustempels. Und natürlich das Spalier der Athleten in Lebensgröße mit der Statue einer Wettläuferin. Olympia war Männerangelegenheit, nur bei den Heräen traten Mädchen an.
Ausführlich hat der griechische Reiseschriftsteller Pausanias, der antike Baedeker, die olympischen Stätten beschrieben. Vor allem Zeus und sein Thron faszinierten ihn. Nach Pausanias, der erst im 2. Jahrhundert n. Chr. lebte, hat man dann im antikenverrückten 19. Jahrhundert das Innere des Tempels bildlich rekonstruiert. Das führt die Ausstellung in Originalzeichnungen und Projektionen vor. Wieder spürt man, was Olympia für die Welt war und ist. Das Lincoln Memorial in Washington ahmt den olympischen Zeus in Gestus und Monumentalität nach.
Warum Olympia zu Olympia wurde, weiß wieder nur die Mythologie
Die Spiele waren vor 2500 Jahren schon eine kaum entwirrbare Verbindung von Götterdienst und politischer Macht, Repräsentation und Begegnung, Kultur und Sport. Geldpreise gewannen die Athleten anderswo, in Olympia gab es Ruhm und Ehre. Aber auch diese brachten materiellen Vorteil. Weniger bekannt, aber umso wichtiger: Die Teilnehmer der Wettkämpfe trafen sich in Elis, einer Stadt, die sechzig Kilometer von Olympia entfernt liegt, dort bereiteten sie sich unter Aufsicht vier Wochen lang vor, ehe sie in einer Prozession zum eigentlichen Ort des Geschehens zogen. Dem sportlichen Kräftemessen – Musik begleitete den Agon – waren über die Jahrtausende Tieropfer, am Anfang womöglich auch Menschenopfer vorausgegangen. Wie die antike Tragödie, so ist auch Olympia Ort und Ritus unserer Zivilisation, die symbolische Kämpfe erfand und austrug. Kurz: Sport ersetzt Mord, Richter setzen Recht an Stelle von Rache.
Kultur hat ihren Ausgangspunkt in Bewegung: Verblüffend die Scherbe einer Vase, die eine Tribüne mit Zuschauern beim Wagenrennen zeigt, lustig und ansteckend, wie die Männchen da jubeln und winken. Die Vasenmalerei liefert plastische Anschauung der Wettkampfdisziplinen, der Dynamik der Olympioniken und ihrer Ausrüstung. Man findet aber auch konkretes Sportgerät, originale Diskusscheiben mit dem Namen des Siegers und Gewichte aus Stein, mit denen die Springer größere Weiten erreichten. Sie haben Grifflöcher für die Finger, wie Bowlingkugeln.
All diese Stücke strahlen Frische aus, Modernität. Wie altertümlich wirken da die Fotografien von den Ausgrabungen des 19. Jahrhunderts, die Archäologen und Arbeiter, die auf Säulenstümpfen in wüstenhafter Steinlandschaft für die Kamera still sitzen mussten. Auch der Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Athen vom April 1874, der das Eigentumsrecht der Griechen für die Funde regelt, ist hier ausgestellt. Die deutsche Seite durfte Kopien anfertigen und die Ausgrabungen wissenschaftlich auswerten und publizieren, Berlin trug die Kosten. Man kann Griechenland nicht auf alle Zeit auf sein antikes Erbe festlegen, aber es hat nun einmal der Welt unendlich viel gesagt und gegeben. Wenn dieser Vertrag als politisch vorbildlich gilt, so lässt sich das auf heute übertragen. Es hilft jedenfalls, auf Augenhöhe miteinander zu verhandeln und zum Abschluss zu kommen. „Olympia“ in Berlin ist deshalb nicht nur eine großartige, quicklebendige Ausstellung geworden, sondern auch ein sichtbares Werk der Freundschaft und Zusammenarbeit. Archäologie geht im Allgemeinen etwas tiefer als Tagespolitik. Die Verbindung Berlin–Olympia hält schon bald 140 Jahre.
Bildergalerie: Grabungen in Olympia
Warum Olympia zu Olympia wurde, weiß wieder nur die Mythologie. Schon Kronos, den Zeus niederrang, will hier einen Tempel gehabt haben, der erste Wettläufer soll Herakles gewesen sein. In früher Zeit könnte Olympia auch näher am Meer gelegen haben, heute sind es 20 Kilometer zur Küste, einst waren es vielleicht nur drei. Die Stätte wuchs, und die Situation hat sich stetig durch Naturkatastrophen verändert. Von schweren Erdbeben wird berichtet und von Überschwemmungen, Kladeos und Alpheios fließen hier zusammen. Neue Forschungen befassen sich mit diesen Phänomenen. Bei den fürchterlichen Waldbränden 2007 wurde Olympia nur knapp verschont.
Anschauliche Modelle präsentiert der Gropius-Bau, von einzelnen Tempeln, von der gesamten Anlage. Am Ende und am Anfang begreift man Olympia als Modell für die westliche Welt schlechthin.
„Mythos Olympia – Kult und Spiele“, Martin-Gropius-Bau, bis 7. Januar 2013. Mi - Mo 10 - 19 Uhr. Katalog 25 € (Prestel Verlag).
Rüdiger Schaper