Ströbele und Pflieger über RAF-Prozesse: Als der Rechtsstaat wackelte
Verteidiger und Ankläger auf einer Bühne: Hans Christian Ströbele und Klaus Pflieger diskutieren im Zeughaus über die RAF-Prozesse.
Hans-Christian Ströbele ist jetzt 79 Jahre alt, ein Mann mit schlohweißen Haaren, das schmale Gesicht von Furchen durchzogen. Es ist fast 50 Jahre her, dass er Angehörige der Roten Armee Fraktion (RAF) verteidigt hat, es ist 20 Jahre her, dass die RAF sich selbst aufgelöst hat. Auf einer Bühne im Zeughaus Unter den Linden blickt Ströbele zurück auf diese Zeit, er muss jetzt diesen „provokanten Satz“ sagen: „Als der Rechtsstaat die Chance hatte, sich zu bewähren, hat er versagt.“
Aber sie wirkt kaum, diese Provokation. Sie löst keine erregte Reaktion aus. Denn auf der Bühne sitzt auch Klaus Pflieger, der frühere Generalstaatsanwalt von Baden-Württemberg, Ankläger in vielen RAF-Prozessen. Ein historisches Treffen, die beiden haben noch nie öffentlich miteinander diskutiert. Diese Diskussion, Teil der „Zeughaus-Gespräche“, soll eine historische Rückschau darstellen. Wie sehen der Ankläger und der Verteidiger die damalige Zeit? Prallen Ideologien aufeinander, von Männern im Rentenalter?
Pfliegers Rückblick ist enorm differenziert
Es wird ein substanzielles Gespräch mit viel Tiefgang und kaum Emotionen. Und Ströbeles Provokation wirkt kaum, weil Pflieger nicht zum eindimensional argumentierenden Gegenpart taugt. Ströbele klagt an, dass damals Gespräche von RAF-Verteidigern mit ihren Mandanten heimlich abgehört wurden, deshalb habe der Rechtsstaat versagt. Nur: Auch Pflieger sagt, wie seit Jahren, „der Rechtsstaat hatte zeitweise gewackelt“. Zum Beispiel beim Kontaktsperre-Gesetz. Das unterband während der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer der Kontakt zwischen RAF-Verteidigern und -Mitgliedern. Für Pflieger eine „Überreaktion des Staats“. Er hatte gegen Notstandsgesetze und Vietnamkrieg protestiert, sein Rückblick ist enorm differenziert. Ja, der Rechtsstaat habe Fehler gemacht, „aber er hat sich bewährt. Er hat wieder souverän reagiert.“
Zeitweise liegen Ströbele und Pflieger inhaltlich gar nicht so weit auseinander, aber die Differenzierung, die Pflieger auszeichnet, die fehlt Ströbele. Er argumentiert noch immer, als hätte es keine historische Aufarbeitung und Einordnung vieler Dinge gegeben. Die Wahl des Vorsitzenden Richters im Baader-Meinhof-Prozess? Selbstverständlich zulasten der Gefangenen manipuliert. Die tödlichen Anschläge auf US-Militäreinrichtungen in Heidelberg und Frankfurt? Ströbele erweckt zumindest anfangs den Eindruck, als würde er sich nicht radikal davon distanzieren. Da wird Pflieger doch mal erregt: „Es tut weh, wenn man den Eindruck bekommt, dass Sie die Taten verteidigen möchten.“ Das dementiert Ströbele energisch. Doch die Erkenntnis, dass die RAF-Spitze in Stammheim Selbstmord beging, durch unabhängige Sachverständige festgestellt, teilt er immer noch nicht. Da hat er „noch Fragen“.