Norbert Bisky in Rostock: Alles wird Blut
Out of Boxhagener Straße: In der Rostocker Kunsthalle glänzt der Berliner Maler Norbert Bisky mit einer umfassenden Soloschau.
Wie wenig sich die Bilder gleichen! Das eine spottet schon seinem Titel „Ganz schön runter“. Norbert Bisky malte es 2004, und es zeigt jugendliche Blondschöpfe, die in orangefarbener bis hellgelber Schwerelosigkeit herumturnen. Das andere, 2011 vollendet, heißt „Alles wird gut“. Holzhäuser zerbersten im Flug, eine Ampel regelt nichts mehr, ein abgerissener Männerkopf zieht einen Kometenschweif aus blutigem Gewebe nach sich. Dass es in den neueren Bildern von Norbert Bisky immer noch die Funsportler, die geschmeidigen Männerkörper und Hedonisten gibt, lässt seine Malerei nur noch zerrissener erscheinen. Gewalt macht sich breit. Was zu schweben scheint, entpuppt sich nicht selten als Trümmerregen einer furchtbaren Explosion. 80 Gemälde aus allen Schaffensphasen des Künstlers sind zurzeit in der Rostocker Kunsthalle zu sehen, mehr Bisky auf einmal als je zuvor – auch in der Januarausgabe des Magazins „art“, das ihm eine 16-seitige Titelgeschichte widmet.
Rückblende. Der Maler steht eines Novembermorgens in seinem Studio in der Boxhagener Straße vor einem Modell der Rostocker Schau. Auf Pappwänden sind kleine Abbildungen seiner Gemälde aufgeklebt. An einigen Bildern malt er noch, zwei Wochen vor der Eröffnung. „Ich kann mir keine Splattermovies angucken“, sagt Bisky. Aber kann ein figurativer Maler der Gewalt entkommen? All die Medienbilder, die Realität vor der eigenen Haustür wie die letzte Erste-Mai-Randale vom Boxhagener Platz verfolgen ihn. Sein Vorteil: Er kann die Bilder buchstäblich verarbeiten. „Sobald ich Gewalt in Ölmalerei übersetze, verwandelt sie sich. Ein abgeschlagener Kopf wäre im Foto nicht auszuhalten, in der Malerei wird er erträglich, sogar schön.“ Immer wieder profitiert Bisky von seinem Austauschjahr in Madrid 1995: Im Prado entdeckt er Caravaggio, Ribera, Zurbarán, Goya, den ganzen schönen Schrecken der großen Spanier.
Norber Bisky war offenbar von Goyas "Saturn verschlingt seinen Sohn" in Madrid besonders beeindruckt
Bisky, 1970 in Leipzig geboren, Sohn des 2013 verstorbenen Linkspartei-Politikers Lothar Bisky, zeitweise als Wiedergänger des sozialistischen Realismus oder gar Kraft-durch-Freude-Maler grob missverstanden, hat bewegte Jahre hinter sich. Im November 2008 wird er Zeuge des Bombenattentats im indischen Mumbai. Kurz darauf stirbt sein jüngerer Bruder Stephan. „Es dauerte ein halbes Jahr, bis sich das auf meine Kunst niederschlug“, sagt Bisky. Es wäre allerdings Unsinn, zwanghaft Spuren von Weltgeschehen und (privaten) Katastrophen in der Malerei aufspüren zu wollen. Von Georg Baselitz, bei dem er in Berlin studierte, hat er gelernt, „dass Bilder aus Bildern entstehen, weniger aus der Realität“.
Francisco de Goyas „Saturn verschlingt seinen Sohn“ muss ihn damals im Prado besonders beeindruckt haben. In seinem Gemälde „Sündenbock“ (2005) zappelt einem jugendlichen Beau noch ein winziges Männerbein aus dem Mund, gleich wird der Knabe mit dem Riesenappetit es mit seinem Jagdmesser kappen und sich nach und nach eine ganze Handvoll Jungs einverleiben. Biskys Mal-Fantasien bringen äußere und innere Wirklichkeit zusammen: Gewalt und Sex, Angst und Lust, das Rohe und die Zärtlichkeit.
Dass Biksy einmal vollkommen abstrakt malen wird, kann man sich kaum vorstellen.
Manchmal indes scheitert das gemalte Delirium an der schnöden Kunsthallenrealität. Die Soloschau „Zentrifuge“, benannt nach einer Bisky-Komposition, wurde von der Kuratorin Dorothee Brill mitentwickelt. Die Grundidee, das Prinzip der zentrifugalen „Auflösung von Körpergrenzen und von Raumgefügen“ (Brill) in Biskys Malerei nachzuvollziehen, wird vom Vollständigkeitsdrang der Macher sabotiert. Besonders Biskys große Gemälde bekriegen sich in dichter Hängung mitunter selbst. Man wünscht sich Luft zwischen ihnen und Sicherheitsabstand. Das gilt auch für Proben des aus Brasilienreisen destillierten Zyklus „Paraisópolis“ (der Name einer Favela in São Paulo). Bisky, der Reiselustige: 2015 tauscht er sein Studio mit dem Kollegen Erez Israeli. Welche Bilder werden dann wohl in Tel Aviv entstehen?
Jüngere Rostocker Exponate wie „Antropofagia II“, „Masse“ oder „2014“ wirken wie Collagen aus reinen Farbflächen, Kleiderfetzen, Gesichterfragmenten und Körpern. Dass Bisky eines Tages vollkommen abstrakt malen wird, kann man sich allerdings kaum vorstellen. „Es ist verrückt“, erzählt Bisky, „immer wenn ich diesen Ocker-Orangeton auf die Leinwand setze, entsteht ein Körper.“ Im Lichthof der Kunsthalle Rostock sind weder Körper noch Malerei zu sehen. Aber es schwingt die Erinnerung an ein berühmtes Gemälde mit: Caspar David Friedrichs „Eismeer“.
Norbert Biskys und Henrik Schwarz’ Raum-Klang-Installation „Zentrifuge“ funktioniert wie ein begehbares Bühnenbild. Ein Zelt, davor ein Knäuel T-Shirts, von Bewohnern sonst keine Spur. Aus Eisschollen ragt ein Mast, vielleicht der Rest eines zermalmten Schiffs wie bei Friedrich. Aus einer Lautsprecherbox an der Spitze dringen Rufen, Keuchen, Geklingel und chorisches Gesumm, Klänge des Komponisten Schwarz, die an den Wänden als Echos abprallen. Eine Techno-Oper. Bisky hat mit solchen Inszenierungen Erfahrung, seitdem er 2013 im Berghain eine Bühne für das Berliner Staatsballett schuf. Der Raum weckt Assoziationen zwischen Polar-Disco und weißer Hölle, Hedonismus und Horror, Geschwister im Hier und Jetzt.
Norbert Bisky: „Zentrifuge“, Kunsthalle Rostock, bis 15.2., Di–So 11–18 Uhr (24./25./31.12./1.1. geschlossen). Katalog bei Hatje Cantz, 25 Euro.
Jens Hinrichsen
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