Nana Rebhan "Welcome, Goodbye": Allerbeste Feinde - Berlin und seine Touristen
Die Regisseurin Nana Rebhan hat eine Dokumentation über ein drängendes Thema gedreht: Wie geht Berlin mit Touristen um? Und kommt dabei zu einem interessanten Ergebnis.
Es begann mit diesem Geräusch, längst ist es sprichwörtlich geworden: Rollkoffer über Pflastersteine. Das war plötzlich dauernd präsent, erzählt Nana Rebhan, ihr Kiez, der Schillerkiez in Neukölln, sei immer internationaler geworden in den letzten Jahren. Touristen! Mit ihnen, und mit dem Geräusch, kamen die Graffiti: „No more Rollkoffer“ – und die Aufkleber mit dem durchgestrichenen Herz: „Berlin doesn’t love you!“
Das sei ihr aufgefallen, sagt die Regisseurin, die an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin studierte und 2010 mit der Heimatdoku „Berlin: Hasenheide“ einen liebenswerten kleinen Indie-Hit hatte. Und dann habe sie sich gefragt: Ist das nicht ein Widerspruch? In Berlin leben so viele Zugezogene, die Leute kommen von überall, weil die Stadt so tolerant ist. „Woher nimmt jemand das Recht zu sagen: Verpisst euch?“
Das war die Ausgangsfrage, die Nana Rebhan beim Milchkaffee an der Touristenmeile Schlesische Straße formuliert. aber es ist natürlich nur ein Punkt von vielen, wenn es um dieses Thema geht. Zwei Jahre lang hat Rebhan Fakten gesammelt, Protagonisten gesucht, mit Anwohnern und Aktivisten gesprochen, die Philosophen Bazon Brock und Harald Martenstein ebenso befragt wie den „Tacheles“-Aktivisten Martin Reiter oder den „Freies Neukölln“-Wirt Matthias Merkle.
100 Stunden Material hat Nana Rebhan gedreht, am Ende sind 83 Minuten Film herausgekommen. „Welcome, Goodbye!“ heißt die Doku, die das Thema in seiner Komplexität ernst nimmt, kein Manifest ist, sondern ein Mosaik. Und es vielleicht gerade deshalb schafft, die Diskussion aufrecht zu erhalten.
Schon die Zahlen sind ja überwältigend. Knapp 27 Millionen Übernachtungen wurden 2013 in Berlin gezählt – Ferienwohnungen nicht eingerechnet. In den letzten zehn Jahren haben sich sowohl die Zahl der Hotelbetten als auch die der Übernachtungen verdoppelt. Senat und die Stadtvermarkter von Visit Berlin rechnen mit einem weiteren jährlichen Wachstum von fünf Prozent, bis 2016 sollen es 30 Millionen Übernachtungen werden – wenn man das mal nicht früher schafft. Täglich halten sich, rechnerisch, 500 000 Besucher in Berlin auf.
Uff. Kein Wunder, dass das viele Berliner belastet. Die nasenberingte Kreuzbergerin Maxi etwa, die in Nana Rebhans Film den durch Ferienwohnung blockierten Wohnraum beklagt. Oder die Künstlerin Michi Hartmann, die von knipsenden Touristen aus ihrem in Reiseführern als Sehenswürdigkeit gelisteten Hinterhof in Prenzlauer Berg vertrieben wurde. Schon verständlich, dass da irgendwer mal „Welcome to Berlin – now go home“ an die Wand sprüht. Oder dass Kiezgespräche unter dem Titel „Hilfe, die Touris kommen!“ veranstaltet werden.
Alles Gewöhnungssache? „Die Berliner tun sich schwer, sich mit ihrer Weltstadtrolle anzufreunden“, sagt Burkhard Kieker von Visit Berlin in der Doku. „Wir hatten es uns in unseren Kiezen sehr gemütlich gemacht.“ Aber die Stadt verändert sich: „Wenn Sie nicht im Zoo sein wollen, müssen Sie nach Osnabrück gehen.“ Provokant!
Christian, ein grundsympathischer Grauschopf, führt durch den Film
Man will ja eben nicht einfach nur angeglotzt werden. Rebhan versucht in ihrem Film etwas anderes: Sie lässt sich auf die Touristen ein. Mit ihrer Kamera begleitet sie eine israelische Puppenmacherin, einen niederländischen Romanautor, einen mexikanischen Kurzfilmmacher, zwei taiwanesische Sightseeing-Mädels, einen italienisch-amerikanischen Clubgänger bei deren Annäherung an die Stadt. Gefunden hat sie diese Reisenden über die Onlineplattform Couchsurfing, über eine Sprachschule, über Freunde.
Als verbindendes Element führt Christian durch den Film, ein grundsympathischer Grauschopf um die 50. Als eine Art Neuköllner Peter Lustig wird er zum Reiseführer durch den Film. Er isst mit den Taiwanesinnen Currywurst, spaziert mit dem Schriftsteller durch den Mauerpark – und bringt ganz nebenbei (in bisweilen abenteuerlichem Englisch) die großen Touri-Themen aufs Tablett: Gentrifizierung, Privatsphäre, das Tempelhofer Feld. Das sind die Probleme. Aber Christian sagt auch einen bedenkenswerten Satz: „Vor fünf Jahren habe ich nur Deutsche gekannt. Jetzt kommen die Leute aus der ganzen Welt. Und ich sitze hier und esse mit ihnen. Schön ist das!“
Nein, keine Romantik jetzt. Aber vielleicht eine kleine Lehre. Wie sagt Nana Rebhan doch? „Es sind nicht die Touris die Bösen, sondern die, die rücksichtslos sind.“ Christian ist freundlich, respektvoll, neugierig. Ein guter Gastgeber für gute Gäste – der am Ende profitiert. Finanziell, als Reiseführer. Indem er einen neuen Club kennen lernt. Oder eine neue Perspektive. Auch Rehan erzählt, sie sei bei den Dreharbeiten viel in Berlin rumgekommen. Die Arbeit mit den echten Touristen lehrte sie, „mit deren Enthusiasmus Berlin neu zu entdecken“.
Hach, schön. Passend auch zu den wunderbaren Sommerbildern in dem Film. 2013 abgedreht, wirkt er immer noch aktuell. Einen unschönen Aspekt des Berlin-Tourismus allerdings lässt Nana Rebhan beiseite. Sie zeigt keine Junggesellenabschiede, keine Abi-Fahrten, keine Bierbike-Strampler. Andererseits sind grölende Horden ja nicht das Grundproblem. Die meisten Touristen sind – wenn man nur mal an sich selbst im Städteurlaub denkt – ganz okaye Menschen. Es sind halt nur so viele. Und werden immer mehr.
Darum findet Nana Rebhan auch eine „extremistische“ Anti-Haltung falsch. „Die Touristen kommen so oder so. Aber: Wie geht man mit ihnen um?“. Genau diese Diskussion muss geführt werden, jenseits von grandios steigenden Übernachtungszahlen. Wirklich schade, dass niemand vom Senat für ein Interview mit Rebhan bereit war. Im Film kritisiert der Metropolenforscher Johannes Novy, dass in Berlin kaum Tourismuspolitik stattfindet. Welche Politiker wüssten schon, wie es sei, wenn das persönliche Lebensumfeld plötzlich zur touristischen Destination wird? Die aktuelle „Protestwelle“ werfe Fragen auf: „Wer gewinnt? Wer verliert? Und: Was kann die Politik tun, dass es besser wird?“
Seit Donnerstag ist „Welcome, goodbye“ im Kino. Der Film, ohnehin halb auf Englisch, läuft mit englischen Untertiteln. Das war der Regisseurin wichtig, schließlich sollen nicht nur die Berliner, sondern auch Touristen diesen Film sehen. Um einander besser zu verstehen.
„Welcome, Goodbye!“, in den Kinos Moviemento und Central. Gespräche mit der Regisseurin im Anschluss an die Vorführug: 9. Juni, 19 Uhr, Moviemento und 12. Juni, 21.45 Uhr, Central.
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