Menschenrechte: Ai Weiwei und wir
Wer Beziehungen zu undemokratischen Staaten wie China oder Russland pflegt, zu Diktaturen wie Syrien oder Libyen, der wandelt auf einem schmalen Grat. Wie soll man sich nur verhalten?
Ai Weiwei ist frei, auf Kaution, man freut sich und erschrickt. Chinas prominentester Künstler, der großartige Werke geschaffen hat und unentwegt politische Missstände anprangerte, er ist verstummt. Jahrelang zeigte Ai Weiwei keine Angst, ließ sich auch durch Prügel nicht einschüchtern. Nun, nach zweieinhalb Monaten Haft, sagt er: „Es tut mir leid, dass ich nicht reden kann, bitte haben Sie Verständnis.“ Ein Schuldeingeständnis gibt es angeblich auch. Alles erinnert an die demütigende Prozedur der öffentlichen Selbstkritik im Stalinismus.
Das ist die Botschaft der Freilassung, sagen die einen, eine Botschaft nach innen. Seht, wir kriegen selbst den unerschrockenen Ai Weiwei klein. Sein Mut, sein Ruhm, seine internationale Unterstützung, es hat ihm alles nichts genützt, er trägt jetzt einen Maulkorb. Noch eine Reaktion auf den arabischen Frühling: Seitdem wurden in China über 130 Aktivisten festgenommen, tausende sind in Haft, die Lage hat sich verschlechtert. Ai Weiweis Freilassung soll das kaschieren.
Nein, sie ist ein positives Signal, sagen andere, eine Botschaft nach außen. Kurz vor der Deutschlandreise von Ministerpräsident Wen Jiabao will China sein Gesicht wahren. Die weltweite Empörung über Ai Weiweis Verhaftung pünktlich zu Beginn der deutschen Aufklärungsausstellung in Peking hat genützt. War es am Ende gar vor allem der deutsche Protest, von Westerwelle bis Goethe-Institut ?
Darauf lässt sich nur mit einer Gegenfrage reagieren: Warum ist Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo immer noch in Haft? Und was ist mit Ai Weiweis verschwundenen Mitarbeitern? Die Ungewissheit darüber, wann und gegenüber wem das Regime Härte oder Milde zeigt, ist Teil des Dilemmas für den protestierenden Westen. Und Teil der Schikanen gegen die Dissidenten. Die Willkür als Werkzeug der Unterdrückung, das gibt es auch im Iran und anderen Unrechtsstaaten.
Keiner weiß genau, was Protestnoten bewirken. Das ist seit Solschenizyns Zeiten so. Helfen die stille Diplomatie und der vielzitierte Wandel durch Handel den Drangsalierten mehr? Es wäre falsch, das eigene Handeln von der Beantwortung dieser Frage abhängig zu machen. Denn das hieße, der Willkür eine irgendwie doch humane Logik zu unterstellen.
Das Recht auf Freiheit und Unversehrtheit der Person ist unteilbar. Es mag ein Ritual sein, Unrecht anzuprangern – ein von Selbstgerechtigkeit und Doppelzüngigkeit nie ganz freies Ritual. Dennoch bleibt die Politik der Nadelstiche die einzige Option. Wenn ein Unrechtsstaat die Würde seiner Bürger mit Füßen tritt, dann muss der Westen seinerseits sein Gesicht wahren, indem er nicht müde wird, an sie zu erinnern. Ohne sich Illusionen über die Wirkung zu machen und ohne denen nachzugeben, die in unseren ungeduldigen Zeiten zu gähnen beginnen, wenn es schon wieder um Menschenrechte geht. Darauf spekulieren Diktaturen ja: dass Ai Weiwei oder Liu Xiaobo vergessen werden, weil die Medienöffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit schnell woanders hinlenkt.
Wer Beziehungen zu undemokratischen Staaten wie China oder Russland pflegt, zu Diktaturen wie Syrien oder Libyen, der wandelt auf einem schmalen Grat. Dessen müssen sich Politiker, Wirtschaftsbosse und Kulturvermittler bewusst sein – und sich noch lange nicht devot verhalten. Man handelt und spricht unter Vorbehalt miteinander. Und spricht diesen Vorbehalt immer wieder aus. Das sind wir denen schuldig, die ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren für die Freiheit, die wir längst in der Tasche haben.