Kino: "Wüstenblume": Afrikanisches Aschenputtel
Sherry Horman hat Waris Diries Bestseller „Wüstenblume“ verfilmt – als Plädoyer gegen die Verstümmelung junger Mädchen.
Sie rettet den Film. Die nervige, prollige Londoner Göre mit dem verheißungsvollen Namen Marylin, die so gern Balletttänzerin wäre, aber stattdessen im Klamottenladen jobbt – und jedes Casting reißt, zu dem sie doch eingeladen wird, aus Schüchternheit, in der ungewohnten Umgebung der Höhere-Töchter-Ballerinen. Als ihr eine Fremde zuläuft, die kein Englisch spricht, gerade versucht hat, im Laden ein Kleid zu klauen, und ihr dann nicht mehr von der Seite weicht, ein hartnäckiger Schatten, immer freundlich lächelnd, zeigt die Londoner Göre ihr Herz. Nimmt sie mit in ihr versifftes Hotel, lässt sie in ihrem Zimmer schlafen, besorgt ihr einen Job bei McDonald’s. Außenseitersolidarität, als wär’s bei Ken Loach oder Mike Leigh.
Sally Hawkins rettet den Film. Mit einer leicht eingetrübten Zweitverwendung ihres Poppy-Charmes aus Mike Leighs Berlinale-Erfolg „Happy-Go-Lucky“. Die Szenen, in denen die beiden Mädels auf dem Hotelflur den Gang auf dem Laufsteg auf High Heels üben, ausgelassen kichernd, das ist ein Höhepunkt. Und ein ganz anderer Höhepunkt, als Marylin entdeckt, dass hinter der prüden Zurückhaltung ihrer Zimmergenossin, die sich immer in der Dusche einschließt, mehr steckt, ein Kindheitstrauma, eine Brutalverletzung. Marylins ungläubiger Blick, der sich langsam erst dem Erkennen öffnet und mit Tränen füllt – das ist der emotionale Umschlagpunkt des Films.
Das ganze Arsenal gängiger Afrikabilder
Sally bleibt erfolglos, doch die bildhübsche Waris (Liya Kebede, selbst Model, übernimmt die Rolle mit hinreißendem Schwung) beginnt ihren Höhenflug, der in die dünne Luft und zickige Konkurrentinnenwelt der internationalen Modeszene führt, auf den Laufsteg in New York, auf die Cover aller Magazine. Doch bis dahin gab es staubige Kinder in der afrikanischen Dürre beim Ziegenhüten, eine Flucht durch die Wüste bis zur völligen Erschöpfung, blanke Kinderaugen mit Abschiedstränen, nackte, blutige Füße, sehnsüchtige Blicke durch Fenstergitter – Sherry Hormans Verfilmung bietet das ganze Arsenal gängiger Afrikabilder, wie sie auch „Feuerherz“ von Luigi Falorni zeigte, oder Hermine Huntgeburths „Die weiße Massai“: keine Überraschung, keine Bilder, die eine Form fänden für die erbärmliche Armutswelt, stattdessen großartige Naturpanoramen und darin malerisch lockige Kinder.
Natürlich, die Aschenputtelgeschichte des Nomadenmädchens Waris Dirie, das vor der Zwangsverheiratung flieht, als Hausangestellte beim somalischen Botschafter in London zunächst wie eine Gefangene gehalten wird, irgendwann ausbricht und als Putzfrau bei McDonald’s vom britischen Starfotografen Terry Donaldson als Model entdeckt wird, ist märchenhaft, erzählt sich quasi von selbst. Und ist doch nur der eine Teil der Medaille. Irgendwann – der Film bereitet diesen Umschwung genüsslich vor – will Waris nicht mehr immer wieder die gleiche Geschichte als Coverstory der Hochglanzmagazine liefern – und entscheidet sich, beim Interview mit der Starreporterin, eine andere Geschichte zu erzählen, die, die ihr wirklich am Herzen liegt: Die Geschichte, wie sie als Fünfjährige genital beschnitten und zugenäht wurde.
Im Buch, das mit seinem Erscheinen 1998 zum Bestseller wurde, ist diese Szene ein Höhepunkt, durch Diries trockenen, unsentimentalen Ton, mit dem sie die Tortur beschreibt. Im Film ist nicht mehr viel geblieben als eine Rückblende mit einem erbärmlich weinenden Kind, und eine hilflos-ungläubig reagierende Reporterin, die journalistische Qualitäten beim Interview nicht erkennen lässt. Als Dirie dann, bei ihrem Auftritt vor den UN-Versammlung, als Kämpferin gegen Genitalverstümmelung ihr eigenes Schicksal zum weltweiten Anliegen macht, ist das ein persönlicher Sieg und natürlich ein Moment, bei dem sie alle Sympathien, alle Hochachtung auf ihrer Seite hat – doch der Film ist da längst zum Vehikel geworden.
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Christina Tilmann
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