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Im Visier. Yinka Shonibare zeigt in der Friedrichswerderschen Kirche seine kopflosen Gestalten,
© Eventpress

Berliner Nationalgalerie: Afrikanische Kunst: Später Knall

Vor der Fußball-WM: Die Berliner Nationalgalerie zeigt afrikanische Kunst an vier Orten in der Hauptstadt.

Der Schuss sitzt. Genau dort, wo in anderen Gotteshäusern eine weiße Taube den heiligen Geist symbolisiert, fliegt in der Friedrichwerderschen Kirche ein Fasan in tausend Stücke. Zahllose Federn, blutig rot getränkt, schweben im Mittelschiff, gehalten durch unsichtbare Nylonfäden. Auf ihn angelegt haben zwei kopflose Gestalten, die in der Mode des 18. Jahrhunderts gekleidet sind, mit bunt bedruckten, grob gemusterten Stoffen. In der Friedrichswerderschen Kirche ging es schon seit DDR-Zeiten anders zu, wenn auch nicht ganz so martialisch. Der nutzlos gewordene Sakralbau wurde der Nationalgalerie als Außenstelle für Skulpturen überlassen. Heute befinden sich in der Schinkel-Architektur die marmornen Werke der Goethezeit, ein Andachtsort der Aufklärung ist daraus geworden.

Mit der Stille ist es allerdings vorerst vorbei. Der Schuss, den der aus Nigeria stammende Bildhauer Yinka Shonibare in Szene setzt, knallt zwar nicht mehr, doch seine Botschaft hallt nach. Hier wird eine Aufklärung der neuen Art nachgereicht. Shonibare führt zwei der übelsten Verfechter der Sklaverei vor: „Colonel Tarleton und Mrs. Oswald Shooting“ lautet der Titels seines Werks. Was das mit der Friedrichswerderschen Kirche zu tun hat? Die Ausstellung „Who knows tomorrow“ zeigt nicht einfach Kunst aus Afrika, sie versucht Beziehungsarbeit zwischen den Kontinenten zu leisten. Fünf Künstler aus Uganda, Nigeria, Kamerun und Angola wurden eingeladen, sich mit den Dependancen der Nationalgalerie auseinanderzusetzen. Neben der Friedrichswerderschen Kirche sind es Alte und Neue Nationalgalerie sowie der Hamburger Bahnhof. Sämtliche Orte berühren das Selbstverständnis der Deutschen als Nation. Die Friedrichswerdersche Kirche versammelt Werke jener Zeit, als Bildung, Freiheit, Gleichheit zu Staatstugenden wurden.

In krassem Gegensatz dazu steht eine weitere Installation von Shonibare auf der Kirchenempore: „The Scramble for Africa“. Wieder treten kopflose Figuren auf, wieder in viktorianischer Kleidung, aus vermeintlich typisch afrikanischen Stoffen geschneidert, die jedoch in China gefertigt werden und deren Muster aus Indonesien stammen. Auch dies eine Geschichte der verborgenen Bezüglichkeiten, der falschen Projektionen. Diesmal sitzen die Gestalten wild gestikulierend an einem ovalen Tisch, der die Karte Afrikas in jener Staatenaufteilung zeigt, wie sie auf der berüchtigten Kongo-Konferenz 1884/85 in Berlin beschlossen wurde. Die Plünderung des Kontinents nahm damit für die europäischen Kolonialherren geordnete Formen an. Bis heute leiden die Länder an den Folgen, selbst im 50. Jahr nach Erringung der Unabhängigkeit von 17 Staaten. Die Redensart „Who knows tomorrow“, die der Ausstellung den Titel gab, steht für den lakonischen Versuch, sich in den permanenten Unwägbarkeiten des Lebens einzurichten.

Erstaunlich schnell hat auch die Ausstellung selbst diese Widrigkeit ereilt: Zwei Tage vor der Eröffnung verlor sie durch den Rücktritt des Bundespräsidenten ihren Schirmherrn. Horst Köhler hatte sich ganz besonders für das vom Auswärtigen Amt unterstützte Projekt eingesetzt. Dem Staatsmann, der nun keiner mehr sein will, gefiel vor allem das Flaggenmeer von Pascale Martine Tayou vor der Neuen Nationalgalerie. Sämtliche Flaggen der 41 Staaten Afrikas flattern im Wind. Der aus Kamerun stammende Bildhauer stellt sechs Skulpturen dazu, die in naiver Anmutung Kolonialherren zeigen, in Schlips und Kragen und Tropenhelm, allerdings mit dunkler Hautfarbe. Der Mies-vander-Rohe-Bau, der auf den ersten Blick ohnehin wenig von einem Museum hat, sondern eher an eine Kongresshalle erinnert, verwandelt sich so in einen Ort der politischen Selbstdarstellung. Wieder scheint eine Afrika-Konferenz stattzufinden, doch diesmal nehmen die dortigen Länder die Sache selbst in die Hand.

Auch die Alte Nationalgalerie wird Schauplatz einer gewendeten Perspektive. Der aus Ghana stammende Bildhauer El Anatsui hängte vor die Fassade des Kunsttempels einen rissigen Vorhang aus Hunderten zusammengeknüpfter Flaschenverschlüsse. Sie stammen vornehmlich von alkoholischen Getränken, mit denen europäische Kaufleute in Afrika ihr Vermögen machten. Die auf dem Giebel prangende Inschrift in goldenen Lettern „Der Deutschen Kunst MDCCCLXXI“ wird nochmals ad absurdum geführt. Schon lange ist das Haus nicht allein Werken deutscher Provenienz gewidmet. Bereits der zweite Direktor Hugo von Tschudi verließ im Streit mit dem Kaiser Berlin, weil er auch die französischen Impressionisten zeigen wollte. El Anatsui erinnert daran, womit die Kunst bezahlt wurde und welche verborgenen Abhängigkeiten bestanden. Den flüchtigen Betrachter irritiert er allerdings noch in anderer Hinsicht: Ein Woche vor Übergabe der rekonstruierten Kolonnaden zwischen Nationalgalerie und Neuem Museum erscheint die machtvolle Architektur wieder brüchig – denn der Flickenteppich gleicht einem Bauschutz.

An Anatsuis Werk zeigt sich die Umständlichkeit des gesamten Projekts. Mithilfe afrikanischer Kunst sollen wir über unser Selbstverständnis als Nation nachdenken, gleichzeitig das Verhältnis zu den Herkunftsländern der Künstler reflektieren. Der Verdacht drängt sich auf, dass sich wieder eine imperiale Geste dahinter verbirgt. Wird Afrika so nicht erneut instrumentalisiert? Sehen wir die dortige Kunst nicht wieder nur durch unsere Brille? Man kann es drehen, wie man will: Wir entkommen dieser Perspektive nicht. Für eine Überblicksausstellung wäre es höchste Zeit – neun Jahre, nachdem Documenta-Macher Okwui Enwezor mit der großartigen Präsentation „The Short Century“ im Martin-Gropius-Bau Grundlagenarbeit geleistet hat.

Doch Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann wollte keine Gruppenschau, da sie sich zu leicht in den Fallstricken westlicher Betrachtungsweisen verfangen würde. Stattdessen gibt es nun eine Ausstellung, die sich zwar im öffentlichen Raum stark macht und Anstoß zum Diskurs über Fremdbilder, Selbstbilder und gegenseitige Projektionen sein mag, aber keine wirklich überragende Kunst zeigt. Am Ende wirken die Interventionen effekthascherisch: das Flaggenmeer, der überdimensionale Recycling-Vorhang ebenso die Container-Wand vor dem Westflügel des Hamburger Bahnhofs, die an Handels- wie Fluchtwege aus Afrika erinnern soll.

Aber es gibt ihn, den Überraschungsmoment, der Erkenntnis nicht als Event inszeniert. Zarina Bhimjis 7-Minuten-Film über eine Sisalfabrik in Uganda, in der noch produziert wird wie zu Kolonialzeiten, verführt mit betörend schönen Bildern. Einst wurden hier Seile für die europäischen Handelsflotte produziert. Heute entstehen hier die Tragetaschen für das gute Gewissen.

Vor der Alten und der Neuen Nationalgalerie, in der Friedrichswerderschen Kirche und im Hamburger Bahnhof (Di - So, 10-18 Uhr, Do 10 - 22 Uhr). Die Eröffnung findet am heutigen Donnerstag zwischen 18 und 22 Uhr an den vier Ausstellungsorten statt. Bis 26. 9.; Katalog 19,90 €.

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