Foto-Comic-Reportage: Afghanische Odyssee
Das dreibändige Epos „Der Fotograf“ zeigt das vom Krieg zerrissene Land auf einzigartige Weise. Jetzt liegt es komplett auf Deutsch vor
Es ist Juli 1986. Ein junger Mann, noch keine 30, mittelgroß, mager, ein dunkler Bartschatten, verlässt Paris. Er hat hunderte von Ilford-Fotofilmen in der Tasche, schwarz-weiß, und ein Paar feste Wanderschuhe im Gepäck. Der junge Mann heißt Didier Lefèvre. Er ist Fotograf und hat gerade seinen ersten großen Auftrag an Land gezogen. Ein paar Monate lang soll er eine Gruppe der Organisation Ärzte ohne Grenzen begleiten, auf einem heimlichen Trip ins kriegszerrissene Afghanistan.
Zu jener Zeit dauert der Krieg zwischen den sowjetischen Besatzern und den vom Westen unterstützten islamischen Mudschaheddin schon sechs Jahre, Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Die Ärzte wollen in einem abgelegenen Tal ein Lazarett mit Nachschub versorgen und ein weiteres errichten. Es ist eine gefährliche Reise, denn die Sowjets bombardieren alles, was sich bewegt. Die Ärzte und der Fotograf werden sich auf schwer bepackten Eseln und Pferden durchs Grenzgebirge und das wilde Nuristan schlagen, um ihnen zu entgehen. Sie werden über steile Geröllhänge klettern, über wackelige Brücken, schmale Gebirgsgrate und verschneite Pässe.
"Der Fotograf wird zuerst geopfert"
Sehr viel später macht Didier Lefèvre, der Fotograf, zusammen mit einem Freund, dem Zeichner Emmanuel Guibert, eine Comicserie aus seinen Erlebnissen. Er nennt sie „Le Photographe“.
Nun wurde der dritte Teil einer Reihe ins Deutsche übersetzt, die ein seltsames, aber wunderbares Ding geworden ist.
Man muss eine Weile überlegen, ob man die einzelnen Bände – schwere, elegante, glatte Hardcover - noch Comics nennen kann, auch wenn Zeichnungen drin sind, auf denen Menschen manchmal Sprechblasen vor dem Mund haben. Denn Didier Lefévre, der Fotograf, hat es nicht bei Zeichnungen belassen. Er hat seine eigenen Fotos eingebaut und außerdem Erzählblöcke, die streckenweise viel mehr Raum einnehmen als die Dialoge der Figuren. Das macht die Erzählung nicht statisch oder steif. Auch weil die knappen Dialoge oft ziemlich witzig sind.
In Pakistan, noch bevor die Reise beginnt, ist es affenheiß, und mit dem Strom ist die Klimaanlage ausgefallen. Der Fotograf und einer der Ärzte liegen nachts wach und reichen sich die Wasserflasche hin- und her. – Arzt: „Gib mir mal die Flasche zurück.“ – Fotograf: „Hast Du sie jetzt leergesoffen?“ – „Ja. Ich bin Arzt, ich muss mehr trinken als du.“ – Fotograf: „Bei einem humanitären Einsatz wird zuerst der Fotograf geopfert.“
Nachhilfe im Genauer-Hingucken
Der Fotograf erzählt die Geschichte aus der Ich-Perspektive. Man lernt Didier Lefèvre deshalb gut kennen. Und man mag ihn. Er hat Humor und beim Reiten und Schuheflicken zwei linke Hände. Er ist ein bisschen wehleidig, aber vor allem ein Idealist. Er fotografiere, sagt er an einer Stelle, weil er, „vielleicht naiverweise“, glaube, „damit zur Völkerverständigung und zum Frieden beitragen zu können“. Im „Fotografen“ steckt deshalb eine verborgene Autobiographie, aber nicht nur das: Es stecken da auch drin: die Dokumentation der Wurzeln eines Konflikts, der uns bis heute beschäftigt, eine Reisebeschreibung, eine Abenteuerstory, eine Fotoausstellung und sogar ein Charity-Projekt, denn von jedem verkauften Band geht ein Euro an die Ärzte ohne Grenzen.
Aber vor allem: „Der Fotograf“ ist eine (dringend benötigte) Lektion im Genauer-Hingucken, geeignet für alle, die ebenfalls genervt sind von der Eindimensionalität, mit der der Krieg in Afghanistan in den internationalen Medien behandelt wird. Dort ist Afghanistan mittlerweile so platt wie ein Fünf-Cent-Stück. Die Medien haben nicht viel Zeit, dem gehetzten Morgenzeitungs-Leser oder müden Abendnachrichten-Konsumenten zu verklickern, wo in der rasanten Nachrichtenmühle er sich jetzt wieder befindet. Also simplifizieren sie – vor allem bei der Bildsprache. In der Wahrnehmung des durchschnittlich informierten Westlers wird dieses Land vor allem bevölkert von: einem Präsidenten, der schön gestreifte Mäntel trägt, unterschiedlich tarngefleckten Soldaten mit kugeligen Helmen sowie selbstmordgefährdeten Fanatikern in beuteligen Hosen.
„Der Fotograf“ ändert diese Eindrücke mit pro Buch nur 80 Seiten. Zusammen mit Juliette, der Einsatzleiterin, John, dem Chirurgen, Robert, dem Allgemeinmediziner, Regis, dem Anästhesie-Assistenten, Mahmad, dem Führer und einem Haufen schwerbepackter Esel und Pferde reist Didier und mit ihm der Leser durch bombastische Landschaften, mal grün und voller Pfirsichbäume, mal karg und karstig, „eine wunderbare, unveränderliche Landschaft, die sich nicht um den Krieg schert“.
Er operiert mit ihnen die Opfer von Minen und Bombardements, große Zehen, an denen kohlrabigroße Krebsgeschwüre wuchern, Schusswunden und zerschmetterte Unterkiefer, er erfährt, was die Menschen spielen, was sie essen, wie sie ihre Kinder behandeln, wie sie Schmerzen aushalten und wie sie sich in einem Konflikt zurechtfinden, dessen Wurzeln sie nicht verstehen.
Er überlebt - knapp
Und diese Bildsprache ist alles andere als eindimensional. Hier hat man immer was zu gucken, was daran liegt, dass der Fotograf und sein Zeichner zwei total unterschiedliche Stile in ein und demselben Buch pflegen. Emmanuel Guiberts Zeichnungen sind zurückhaltend koloriert, afghanisch-erdfarben und Tim- und Struppi-artig schlicht. Oft lebt nur der Vordergrund, dahinter ist das Tableau leer. Lefèvres Schwarz-Weiß-Fotos dagegen sind detailreich und lebendig, manchmal bewegungsunscharf, weil „aus der Hüfte“ geschossen, zum Beispiel, als sie unter Feuer geraten: "Wir stehen wir vom Donner gerührt. Der Scheiß-Mudschahed hat eine Kalaschnikow-Salve auf uns abgefeuert. Drei Kugeln zischten zwischen uns durch. – Augenblicklich sieht Regis rot. Er ist ein Rugby-Typ und dazu ein Gascogner. Er stürmt den Abhang hinunter, auf den Mudschahed zu. – Ich denke: „Der ihn umbringen, man muss ihn aufhakten“, und laufe ihm nach. – Es ist ein Fehler, in den Bergen einem Freund nachsetzen zu wollen, um ihm bei einer Schlägerei zu helfen, und dabei zu fotografieren. – Versucht man es, landet man im Dreck."
Und: Autor und Zeichner haben sich Zeit gelassen zum Erzählen. Sie teilen die Reise in drei Bände auf. Im ersten Band erzählen sie von der Reise von Pakistan nach Afghanistan, im zweiten Band schildern sie die Arbeit der Ärzte ohne Grenzen in den Lazaretts, im dritten Band macht sich der Fotograf - allein - auf den harten Rückweg nach Pakistan. Er überlebt diese Reise, natürlich. Aber es wird knapp. Einen vierten Band wird es nicht geben. Dider Lefèvre war zwar noch öfter in Afghanistan. Aber am 29. Januar 2007 ist er, mit 50, überraschend gestorben.
Dider Lefèvre/Emmanuel Guibert: „Der Fotograf“, drei Bände à 80 bzw. 100 Seiten, 24 bzw. 28 Euro pro Band, Edition Moderne, in acht verschiedenen Sprachen erhältlich.
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