Berlinale: „Aferim": Zeit der Sklaverei
Roma sind Sklaven, Gesindel. Woher kommt nur dieser Hass? „Aferim!“, ein Schwarzweiß-Western aus Rumänien.
Als Radu Jude kürzlich einen Zeitungsartikel veröffentlichte, erntete der Regisseur antisemitische Kommentare. Wegen seines Namens dachten die Leute, er sei Jude. In Berlin sagt er: Um zu verstehen, was mit den Roma in Rumänien geschieht, muss man zurückschauen. Die Vergangenheit prägt die Gegenwart, davon erzählen dieses Jahr viele Wettbewerbsfilme. „Queen of the Desert“ erinnert daran, wie das Unheil im Nahen Osten anfing, „The Pearl Button“ und „El Club“ zerren verdrängtes Unrecht in Chile ans Licht, „45 Years“ und Wenders’ „Every Thing Will Be Fine“ erkunden die Mechanismen von Schweigen und Schuld in der Liebe.
Und nun „Aferim!“, ein Western in Schwarz-Weiß. Zwei Männer, Vater und Sohn, reiten durch die Walachei, durch Wälder, Steppe und Sümpfe, man schreibt das Jahr 1835. Der Vater ist Hauptmann, er hat einen Steckbrief dabei. Wanted: der junge Carfin, er soll die Frau des Bojaren verführt haben. Carfin ist Zigeuner – das Wort Roma gibt es noch nicht.
Ganz unten in der Hackordnung
Roma sind Sklaven, Gesindel. Die Leibeigenschaft wurde in Rumänien erst um 1850 verboten, vorher konnten die Fürsten mit „ihren“ Roma beliebig verfahren, sie weiterverkaufen (aber nur als ganze Sippschaft) oder wie Tiere behandeln, nur getötet werden durften sie nicht. „ Zigeuner“, das bekommt man in „Aferim!“ reichlich zu hören, sind Krähen, Maden, mieses Pack. Der Hauptmann und sein Sohn sprechen eine räudige, aggressive Sprache, wie überhaupt alle, die sie auf ihrem Ritt treffen, Bauern und Popen, Türken, Kinder, Trinker in einer Spelunke. Ein jeder spuckt auf den anderen, soweit er in der Hackordnung niedriger steht.
Eine Welt voller Ausbeutung, Willkür, Korruption, in der auch Frauen Menschen zweiter Klasse sind und Ehebruch grausam bestraft wird. Und das mitten in der spröden Schönheit der Walachei, die der Film in grobkörnigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen festhält. Wenn nicht geflucht wird, klingt es poetisch: Etliche Dialogsätze zitieren rumänische Klassiker. Das hier ist Kunst, kein Dokumentarfilm, diese Tonart bleibt immer gleich – was den Zuschauer unnötig auf Distanz hält. Bis auf jene Szene, in der ein alter Pope eine Hasstirade auf Zigeuner, Juden, Italiener, Deutsche, Russen, Türken anstimmt – gespickt mit so ziemlich sämtlichen Ressentiments, die je in Europa kursierten.
Leise Hoffnung ist zu hören
Produziert wurde „Aferim!“ (zu Deutsch: „Bravo!)“ von Ada Solomon, die auch „Mutter und Sohn“ produziert hat, den Bären-Gewinner 2013. Bei der Verleihung fand sie damals kämpferische Worte, für den Autorenfilm, gegen die „kommerzielle Zensur“. Inzwischen hegt sie leise Hoffnung: An der Kinokasse war „Mutter und Sohn“ der erfolgreichste rumänische Film seit 15 Jahren. Es geht darin um die heutige Korruptheit der alten Nomenklatura. Auch da ist die Vergangenheit ziemlich lebendig.
12.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 12.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 22.30 Uhr (International), 15.2., 21.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele)