Digitale Medien: Action in Echtzeit
Bei der Umsetzung von Comics in Apps ist das Angebot fast grenzenlos – die Qualitätsunterschiede sind es auch. Einige der besten Angebote kommen von deutschen Comic-Veteranen.
Dass er erfolgreich Comics zeichnen und historische Romane verfassen kann, ist unbestritten. Nun lässt sich noch eine weitere Begabung von Gerhard Seyfried entdecken: Der Berliner Autor und Künstler ist auch ein talentierter Synchronsprecher. Zu erleben ist das auf einer App, die jetzt auf der Grundlage des jüngsten Comicalbums von Seyfried und seiner Kreativpartnerin Ziska Riemann erschienen ist, „Kraft durch Freunde“. Nachdem der bunte 64-Seiten-Band – der erste Comic des Duos in zehn Jahren - im Oktober vergangenen Jahres bei Tolkemitt/Zweitausendeins veröffentlicht wurde, legte der Verlag vor kurzem die App nach.
Das Warten hat sich gelohnt: Die digitale Version der Politsatire um einen totalen Überwachungsstaat bietet mehr Mehrwert als manch andere Comic-App, denn Seyfried und Ziska haben zusammen mit einer Handvoll künstlerischer Mitstreiter aus der Erzählung eine Art interaktives Hörspiel mit verteilten Rollen und professionell aufgenommenen Sounds gemacht. Panel für Panel kann man sich jetzt durch den Comic klicken, dazu sprechen Sprecher mit verteilten Rollen die Figuren nach. Und Seyfried erweckt als Sprecher mit seinem charakteristisch bayrisch rollenden „R“ einen der politischen Bösewichte der Geschichte zum Leben, den paranoiden, kontrollsüchtigen Innenminister namens Dr. Schräuble-Locker. Abgesehen von gelegentlichen technischen Problemen – hin und wieder springt die App mittendrin wieder auf das Anfangsbild – ist dieses Projekt eines der gelungensten Beispiele für die Umsetzung eines Comics für mobile Endgeräte wie iPad, iPhone oder iPod touch.
Nicht jede Comic-App bietet einen Mehrwert
Wer sich als Comic-Fan in die bunte Welt der Apps begibt, wird anfangs vom schier unbegrenzten Angebot fast erschlagen, vor allem aus dem englischsprachigen Raum. Jeder der größeren Verlage – allen voran die US-Giganten Marvel und DC Comics – stellt derzeit nach und nach große Teile seiner Comic-Serien und Graphic Novels als App ins Netz. Vieles davon gibt es gratis, zumindest die ersten Kapitel. Bei genauerer Betrachtung trennt sich aber recht schnell die Spreu vom Weizen. Denn die meisten Comic-Apps sind kaum mehr als die Aneinanderreihung der Panels aus den jeweiligen Heften oder Bücher als digitale Diaschau. Einen Mehrwert, der die App dem gedruckten Comic überlegen machen würde oder zumindest eine attraktive Ergänzung darstellt, gibt es in den meisten Fällen noch nicht.
Aufwändige Projekte wie das anfangs genannte von Gerhard Seyfried und Ziska sind bislang die Ausnahme. Und sie haben ihren Preis: Während die meisten Apps einzelner Comic-Hefte von Marvel oder DC für unter zwei Euro zu haben sind, muss man für die von der Berliner Firma textunes entwickelte Umsetzung von Seyfrieds neuem Werk 4,99 Euro hinlegen. Der Preis ist, wie bei den meisten Comic-Apps, für iPhones und iPads identisch.
Ähnlich aufwändig gemacht wie „Kraft durch Freunde“ ist eine weitere Comic-App, die ebenfalls aus Berlin stammt und hinter der ein weiterer deutscher Comic-Klassiker steht: Die gezeichneten Abenteuergeschichten der Abrafaxe im Kindercomic „Mosaik“ wurden von textunes als Audio-Comic mit unterschiedlichen Sprechern und Musik umgesetzt und bieten eine unterhaltsame Mischung aus Comic und Hörspiel, die vor allem jüngere Nutzer ansprechen dürfte. Die ersten Ausgaben gibt es kostenlos, jede weitere Folge kostet 1,59 Euro.
Einen Thriller gibt es ausschließlich als App
Auch im englischsprachigen Raum gibt es inzwischen eine wachsende Zahl von Comics, die speziell für Smartphones geschaffen oder so bearbeitet wurden, dass sie mehr bieten als eine Eins-zu-Eins-Wiedergabe der Panels aus dem gedruckten Comic.
So lockt der speziell als App konstruierte Comic-Thriller „The Carrier“ (1,59 Euro) damit, dass der Leser synchron zum Handlungsverlauf ein weiteres Kapitel geliefert bekommt, sodass man das Gefühl hat, die sich über zehn Tage erstreckenden Ereignisse entwickeln sich in Echtzeit. Geschrieben wurde die Geschichte um eine mörderische Verfolgungsjagd von Evan Young, die digital gezeichneten und daher gut zur App passenden Bilder schufen Luiz Borges und Will Walber.
Die nach einem 1960er-Jahre-Film benannte Horror-Fantasy-Geschichte „Carnival of Souls“ (erste Kapitel gratis, weitere je 1,59 Euro) kommt hingegen als so genannten Motion Comic daher: Hier werden einzelne Comic-Panels durch wechselnde Zoomeinstellungen und gleitende Übergänge so präsentiert, als handele es sich um einen animierten Zeichentrickfilm, dazu gibt es Musik und gesprochene Texte. Das ist aufwändig gemacht, wenngleich in diesem Fall der schlichte Inhalt der aufwändigen Optik nicht ganz angemessen scheint.
Manche Comics scheitern an der Zensur durch Apple
Optisch und technisch schlicht aber dennoch sehr unterhaltsam ist dagegen die Comic-App-Umsetzung eines Berliner Zeichners, der vielen Tagesspiegel-Lesern aus der Sonntagsbeilage bekannt ist: Mawils umwerfend komische Episodensammlung „Meister Lampe“ bietet in der App-Version keine Extras außer den einzelnen Panels mit den Erlebnissen eines übersinnlich begabten, vom Unglück verfolgten Elektrikers in Hasengestalt. Die Episoden sind aber für sich genommen so unterhaltsam, dass man beim Lesen schnell vergisst, dass die App (Preis: 2,99) eigentlich nicht mehr bietet als das gedruckte Büchlein, das vor ein paar Jahren erschienen ist.
Visuell ansprechend aber inhaltlich frustrierend ist die App zu dem Comic-Bestseller eines anderen Berliner Zeichners: Reinhard Kleists Johnny-Cash-Biographice „I see a darkness“ lockt damit, dass der Leser sich beim Blättern durch das bewegte Leben der Country-Ikone auch dessen Songs mit anhören kann. Die müssen dann allerdings Lied für Lied kostenpflichtig zusätzlich bei itunes gekauft werden, und jedes Kapitel des Buches kostet als App ebenfalls 1,59 Euro – da hat man am Schluss wahrscheinlich mehr davon, sich Kleists Comic als gedrucktes Buch und eine Johnny-Cash-CD obendrein zu kaufen.
Vielleicht ist das auch der tiefere Sinn vieler App-Angebote im Comicbereich: Sie sollen Werbung für das gedruckte Medium machen. Denn trotz aller schönen Effekte, mit denen die Comicverlage versuchen, digitale Medien für sich zu nutzen: Mit dem sinnlichen Erlebnis, durch ein gedrucktes Heft oder ein Buch mit gezeichneten Geschichten zu blättern und nach Belieben auf den Seiten zu verweilen und Bezüge zwischen den einzelnen Panels herzustellen, können die meisten bisher erhältlichen Comic-Apps noch nicht konkurrieren.
Außerdem haben gedruckte Comics den Vorteil, dass sie sich nicht der Vorauswahl durch den Apple-Konzern unterwerfen müssen, man könnte auch von Zensur sprechen. Wohin das führt, hat die Berliner Zeichnergruppe Moga Mobo leidvoll erfahren: Die von dem Trio als Buch herausgegebene, vielgelobte Kurz-Comic-Sammlung „100 Meisterwerke der Weltliteratur“ sollte eigentlich auch als App erscheinen. Wegen einiger von Apple als zu freizügig bewerteter Szenen blieb das Vorhaben jedoch unvollendet, wie sich auf dem Blog von Moga Mobo nachlesen lässt.
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