Das Artemis Quartett und Gautier Capuçon: Ach, süßer Tod!
Ein todesnaher, "moderner" Schubert und Sirenengesänge enormer Sinnlichkeit: Das Artemis Quartett und Gautier Capuçon spielen Schubert und Kurtág im Kammermusiksaal.
Ein zum Äußersten entschlossener Blick, grimmig fast, und los geht’s: Vineta Sareika führt das Artemis Quartett, dessen Primaria sie seit 2012 ist, sofort tief hinab in die von banger Angst durchzogenen Triolen, in die Klüfte von Schuberts spätem Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“. Ein schnarrender, zuweilen fast faseriger Strich, aber mit festem Kern, dazu die tausendfüßlerische Primgeige, so bahnen sich Sareika, Gregor Sigl, Friedemann Weigle und Eckart Runge im Kammermusiksaal ihren Weg durchs Allegro, bevor sie im Andante auf das Zentrum des Werks stoßen. Suggestiv verschränken sich die Themen des süßen Todes und des um sein Leben flehenden Mädchens, die dynamischen Kontraste kommen nonchalant und unaufdringlich: Eine Interpretation, die nicht auf grellen, vordergründigen Effekt setzt, auf Überwältigungsästhetik, sondern gleichsam um die Ecke wirkt – und dafür umso nachhaltiger.
Die 15 Sätze von György Kurtágs „Officium breve in memoriam Andreae Szervánszky“ lassen in ihrer Knappheit und Prägnanz sofort an Anton Webern denken, und tatsächlich spielt Kurtág mit der Opuszahl 28 auf dessen Streichquartett an. Einwürfe, kurz angerissen, sofort verwehend – mehr sind diese Klangbilder nicht, abschmierende Töne, Sirenengesänge von enormer Sinnlichkeit, spielerische Assoziationen zu einem Kanon von Webern. Das Quartett spielt hyperaufmerksam, mit fast noch mehr Leidenschaft als bei Schubert, trotzdem verlässt mancher aus dem Publikum mit durchaus nicht leiser Tür den Saal.
Dann der Gast: Gautier Capuçons Cello sorgt in Schuberts Streichquintett C-Dur für eine dunkel-kernige Note. Was Stillstand bis hin zur Zeitlosigkeit sein kann, demonstrieren die fünf im zweiten Satz. Die Akkorde der Mittelstimmen versetzen den Hörer in Trance, die dissonanten Begleitfiguren von Primgeige und zweitem Cello könnten von Kurtág stammen. Mit ruchloser Wildheit, begleitet von einem dichten Geflecht aus Blicken und Gesten, führen die fünf das Stück in der Coda des Finalsatzes zu Ende. Ein Abend, der auf den abgründigen, todesahnenden, „modernen“ Schubert setzt. Der aber gleichwohl den anderen, geselligen Komponisten der Schubertiaden nicht verleugnet, jenen Schubert, der uns heute immer ein wenig verdächtig ist.