Übergewicht: Yoga mit Gewicht
Im Yogazentrum Akazienhof soll ein Kurs Übergewichtigen ein besseres Körpergefühl geben. Drei Berlinerinnen haben das ausprobiert
Der Baum kippelt. Bärbel Müller* und auf einem Bein stehen – das passt eben nicht gut zusammen. „Vrikshasana“ heißt die Yogaübung, die sie gerade versucht: Der „Baum“ entsteht, wenn man eine Fußsohle an die Innenseite des gegenüberliegenden Oberschenkels legt. Das soll das Gleichgewicht trainieren.
Bärbel presst die linke Fußsohle lieber an den rechten Knöchel – die „Light-Version“. Das hat ihr Yogalehrerin Gabi Lutterbek gezeigt. Aber auch so klappt es noch nicht, denn ihr Körper ist einfach zu schwer, um ihn lange nur auf einem Fußgelenk zu halten: Bärbel wiegt 144 Kilo. Deswegen ist sie an diesem Sonnabend bei einem besonderen Kurs „Für Dicke“ im Yogazentrum Akazienhof, mit sechs anderen Frauen. Mit 61 ist die Pädagogin mit dem hellgrauen Pony über der Brille die älteste hier. „Ich merke meine Unbeweglichkeit. Aber ich fühle mich auch immer so leicht nach dem Yoga“, wird sie später sagen. Doch jetzt ist erst mal der Baum an der Reihe. Die Yogalehrerin schlägt ihr vor, sich mit dem Rücken an die Wand zu lehnen. Und schon sieht das ganze stabiler aus. „Ich habe klassische Hatha-Übungen abgewandelt“, sagt die 59-Jährige, die in Berlin den ersten Kurs dieser Art anbietet: „Yogaklassen sind sonst sehr homogen. Und diejenigen, die unbedingt dabei sein sollten, kommen nicht.“ Die meisten sind schlank, will sie damit sagen.
Sandra Krüger hat schon oft mit Yoga angefangen – und dann wieder aufgehört. „Ich hatte immer das Gefühl, dass alle anderen es besser konnten.“ Seit zwei Jahren hat die Schönebergerin keinen Sport mehr getrieben. Trotz einiger grauer Strähnen im dunklen Haar wirkt die 38-Jährige wesentlich jünger. Diesmal will sie dabeibleiben. „Weil ich mich hier nicht mit den Zierlichen und Sportlichen messen muss.“ Obwohl sie verglichen mit Bärbel schlank ist mit ihren 87 Kilo. Trotzdem hat auch sie kein Problem mit dem Etikett „Für Dicke“: „Mit 30 Kilo Übergewicht ist man einfach dick.“
Yvonne Bergmann, die für den Kurs extra aus Neukölln nach Schöneberg fährt, sieht das ähnlich: „Es ist nun mal eine Tatsache“, sagt die 27-Jährige mit den blonden Locken. Sie wiegt 119 Kilo. Für sie ist der Yogakurs die Fortsetzung einer Therapie für Essgestörte. Vorher ging sie zur Selbsthilfegruppe des Vereins „Dick und Dünn“. Nach dem Yoga „fühle ich mich mindestens zwei Zentimeter größer“, sagt sie.
„Entspannt das Gesicht, lasst die Zunge los. Stellt euch vor, jemand zieht eure Schultern sanft nach hinten.“ Die Yogalehrerin geht herum und drückt allen ihre verschränkten Unterarme in den Nacken, damit sie wissen, wie sich das anfühlen soll. „Weckt euren Körper auf“, sagt sie beim Aufwärmen. Das könnte man als Motto für den Kurs nehmen. „Ich habe es zwar ab und zu halbherzig mit Schwimmen und Radfahren versucht“, erzählt Neuköllnerin Yvonne. „Aber ich mochte meinen Körper nicht spüren.“ Überhaupt hatte man ihr das Thema Sport schon früh verleidet: „Ich war schon als Kind zu dick und wurde beim Radfahren immer wieder blöd angequatscht.“
Auch Pädagogin Bärbel war schon lange nicht mehr sportlich aktiv, seit einem Unfall ist sie nicht einmal mehr Fahrrad gefahren. Doch dann kam sie bei ihrer persönlichen „Schallgrenze“ an: 150 Kilo. Und beschloss abzunehmen. Es gehe beim Yoga aber nicht nur darum, Gewicht zu verlieren, sondern beweglicher und ausdauernder zu werden, sagt Gabi Lutterbek. „Wenn sich meine Kursteilnehmer erstmal in ihren Körpern zu Hause fühlen, können sie auch andere Kurse machen.“ Das „Zuhausegefühl“ entsteht durch die kleinen Erfolgserlebnisse. Jeder macht bei ihr die Übungen so, wie es eben gut klappt. „So, wie ihr euch fühlt“, sagt sie beim Aufwärmen.
„Mein Körper fühlt sich jetzt anders an, ich spüre ihn bewusster und atme anders“, erzählt Yvonne. Vielleicht liegt das auch daran, dass ihre Yogalehrerin immer wieder „seeehr schööön“, sagt. Ermutigung ist wichtig. Genau wie eine lockere Atmosphäre. „Schwingt Räder mit den Armen“, ruft Gabi. „Und denkt dabei an die Delphinschwimmer, die schönen Jungs aus Australien.“ Alle prusten los, Sandra lacht besonders laut. Ihre Bewegungen wirken plötzlich noch beschwingter.
Damit die Stimmung auch bei schwierigeren Übungen gut bleibt, werden Hilfsmittel verwendet. Holzklötze etwa, auf denen man die Hände abstützen kann, wenn man sonst den Boden nicht erreicht. Oder Kissenrollen, eine Bank und Stühle. Die brauchen die meisten, damit der „abwärtsgerichtete Hund“ funktioniert. Normalerweise sieht der so aus: Mit den Händen stützt man sich auf den Boden. Der Körper bildet ein Dreieck. Höchster Punkt ist der Po, Oberkörper und Beine bilden etwa einen 90-Grad-Winkel. In diesem Kurs muss man mit den Händen nicht den Boden erreichen sondern nur einen Stuhl oder die Bank. Gabi Lutterbek legt bei jeder Teilnehmerin eine Kissenrolle so auf den Fußboden, dass sie sich nicht an den Knien verletzen würden, falls der „Hund“ in sich zusammenkracht. Bei den meisten sieht es noch nicht perfekt und sehr anstrengend aus. „Das macht nichts und hat nichts mit dem Gewicht zu tun. Das klappt bei allen erst nach einer Weile.“ Die 61-jährige Bärbel lässt die Übung lieber ganz. „Dann machst du eben etwas anderes Schönes“, sagt die Trainerin. Beide setzen sich Rücken an Rücken auf den Boden. Bärbel stellt die Füße etwa in Brusthöhe gegen die Wand und dann drückt Gabi kräftig gegen Bärbels Rücken. „Dabei soll sich das hier öffnen“, sagt sie und zeigt auf den unteren Rücken.
„Ich spüre auf einmal Muskeln, von denen ich vorher nie wusste, dass es sie gibt“, sagt Sandra, als auch sie die Übung probiert. Dass es manchmal ganz schön anstrengend wird, gehöre doch dazu, sagt sie später in der Umkleidekabine. „Ich fand’s gar nicht so anstrengend“, meint Bärbel. Sie hat mit Absicht nicht ganz so viel Gas gegeben. Eben jeder wie er mag.
*Namen von der Redaktion geändert
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