Gesundheit: Wir sind alle Afrikaner
Forscher können in den Genen lesen, wie die Menschheit entstanden ist. Für Rassismus ist dort kein Platz
Woher kommt der Mensch? Wie sehr hat sich das Erbgut verschiedener Völker auseinander entwickelt? Diese Fragen treiben Evolutionsbiologen seit langem um. Mittlerweile gibt die Analyse der Erbsubstanz eine eindeutige Antwort: Die Einteilung der Menschen in verschiedene Rassen ist ein großer Irrtum. Durch viele Studien ist nämlich gesichert (zuletzt in „Science“, Band 298, Seiten 2342, 2381), dass die Menschen aller Populationen knapp 95 Prozent des Erbguts gemeinsam haben. Die genetischen Unterschiede beschränken sich auf ganze fünf Prozent der Erbsubstanz.
Mit anderen Worten: Angehörige verschiedener Menschengruppen, selbst aus geographisch weit entfernten Regionen oder dem, was man früher irrtümlich für Rassen hielt, sind sich genetisch oft ähnlicher als ihren jeweils nächsten Nachbarn.
Längst versuchen nicht nur Anthropologen und Archäologen, die Geschichte des Menschen nachzuzeichnen. Auch die Molekularbiologie ist in der Lage, die Wanderbewegungen unserer Urahnen mit großer Präzision zu rekonstruieren. Die Genetik liefert mittlerweile eine Landkarte der menschlichen Odyssee samt Zeittafel.
Anfang der 1990er Jahre stellten Genforscher um Allan C. Wilson von der Universität im amerikanischen Berkeley die Behauptung auf, Teile des Erbguts der gesamten Menschheit gingen auf eine einzige Urmutter, die „mitochondriale Eva“ zurück. Ihre Studien zeigten, dass wir vor rund 150000 Jahren in Ostafrika entstanden sind und kurz darauf die übrige Welt eroberten.
Alle Menschen sind verwandt
Das von den übrigen Genen des Zellkerns getrennte Erbgut der Mitochondrien (das sind Zellbestandteile, die ausschließlich mütterlicherseits vererbt werden) hat sich als gut geeignet für solche Verwandtschaftsanalysen und Zeitmessungen erwiesen. Mittlerweile sind die meisten Wissenschaftler überzeugt, dass unsere direkten Urahnen tatsächlich in kaum mehr als 7500 Generationen den gesamten Erdball erobert haben. Die Molekulargenetik ermöglicht es heute zudem, die Verwandtschaftsbeziehung der verschiedenen Völker aufzudecken. Dabei kommt heraus, dass alle heute lebenden Menschen miteinander verwandt sind.
Spätestens seit den Forschungen des Humangenetikers Luca Cavalli-Sforza von der amerikanischen Stanford Universität weiß man, dass im Erbgut nicht nur die unverwechselbare Persönlichkeit jedes einzelnen Menschen festgeschrieben ist. Unsere DNA dokumentiert auch die Entwicklungsgeschichte unserer Spezies, wie der Forscher italienischer Abstammung 1994 in seinem Buch „Verschieden und doch gleich“ (erschienen bei Droemer Knaur) nachwies.
So zeugen die Gene nicht nur von unserem afrikanischen Ursprung. Sie führen auch auf jene verschlungenen Pfade, auf denen unsere Ahnen einst Afrika verließen und die ganze Erde besiedelten. Die Genotypen sämtlicher Menschen sind das Ergebnis früherer Wanderungen und nachfolgender unzähliger Vermischungen, neuer genetischer Mutationen und der natürlichen Selektion.
Durch weltweite Untersuchungen verschiedener Menschengruppen haben Molekulargenetiker in den vergangenen Jahren ein immer feineres Bild unserer Vergangenheit gezeichnet. Demnach kam es mehrfach zu Wanderbewegungen, bei denen – in kurzer Zeit und von kleinen Menschengruppen ausgehend – riesige Siedlungsgebiete erschlossen wurden.
Nach neuesten Datierungen verließen unsere unmittelbaren Ahnen Afrika offenbar erst vor 50000 bis 60000 Jahren. Eine Wanderroute weist entlang der Küsten des Indik bis nach Australien. In einer zweiten Wanderbewegung besiedelte „Homo sapiens“ Europa und das Innere Asiens, wobei er schließlich auch Amerika und die entferntesten Regionen Ozeaniens erreichte.
In seinem im Frühjahr 2003 erschienenen Buch „Herkunft und Geschichte des Menschen“ (Berlin Verlag) erzählt der amerikanische Wissenschaftsautor Steve Olson kompetent die komplexe Geschichte der Menschheit samt dem Siegeszug in die ganze Welt. Dabei stellt er auch jene Wissenschaftler vor, die unsere genetische Vergangenheit entschlüsselt haben.
Unterhaltsam trägt der Autor viele Befunde zusammen und nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise über vier Kontinente – angefangen beim Auszug aus Afrika, der Besiedlung Europas und Asiens bis hin zur Frage, wie unsere Vorfahren die durch Meeresstraßen isolierten Regionen Australiens und Nordamerikas erreichten.
Auch der amerikanische Biologe Spencer Wells folgt in seinem jüngst erschienenen Buch „Die Wege der Menschheit“ (Fischer Verlag) den Spuren der genetischen Evolution. Bei ihm paart sich flüssiger Erzählstil zudem mit fundiertem Insiderwissen – Wells hat als Postdoc bei Luca Cavalli-Sforza in Stanford selbst über die Molekulargenetik des Menschen geforscht. Dabei werden auch die komplexen, molekularbiologischen Verfahren verständlich erklärt, die die jüngsten Entdeckungen erst ermöglichten.
Unterschiede nur oberflächlich
Wells nimmt zugleich dem Rassismus jegliche Grundlage. Denn unsere Erbsubstanz ist zu eng verflochten, als dass man Unterschiede biologisch rechtfertigen könnte, die oft allein gesellschaftlich bedingt sind. Nicht unsere Gene, sondern die Kultur zieht Grenzen. Damit wird klar, warum biologische Forschung ein wichtiges Mittel gegen Intoleranz und Fremdenhass ist. Es sei diese Perspektive, so meint Olson, die mit einer gewissen Logik zu einer Welt führt, „in der Menschen ihre ethnische Zugehörigkeit unabhängig von ihrer Abstammung frei wählen können. An diesem Punkt löst sich die ethnische Zugehörigkeit von der Biologie und wird zu einem kulturellen, politischen oder historischen Merkmal. Menschen ordnen sich nicht mehr auf Grund einer mysteriösen biologischen Essenz einer bestimmten Gruppe zu, sondern suchen sich die Gruppe aus, der sie angehören wollen.“
Nach der Lektüre der Bücher von Olson und Wells bleibt kein Zweifel, dass sämtliche Unterschiede im Aussehen und in den Gebräuchen von Menschen nur oberflächlich sind. Unter der Haut sind wir alle Afrikaner; und der rassistische Glaube, dass Hautfarbe oder Herkunft bestimmte Gruppen überlegen mache, entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Basis.
Die Unterschiede unserer DNA sind gerade einmal groß genug, damit Molekulargenetiker sie mit den derzeit zur Verfügung stehenden Methoden erkennen können. Aufgrund der ständigen und immer wieder erfolgreichen Durchmischung sämtlicher Bevölkerungsgruppen bleibt uns eine zutiefst humane Botschaft: Wir waren und sind alle ein Volk, eine Familie – überall auf der Welt.
Matthias Glaubrecht
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