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Die schönen Seiten des Landlebens. In Brandenburg herrscht Ärztemangel. Mediziner, die sich hier niederlassen, können nicht nur finanziell mehr erhoffen. Vor allem Allgemeinmediziner werden auf dem Dorf gebraucht.
© IMAGO

Hausärztemangel: „Wir haben ein Imageproblem“

Der Vorsitzende des baden-württembergischen Hausärzteverbands Berthold Dietsche über den Hausärztemangel.

Herr Dietsche, Sie sind Hausarzt. Gehören Sie zu einer aussterbenden Spezies?
Die Frage ist berechtigt. Wir haben in Deutschland ein massives Nachwuchsproblem. Jeder zweite Hausarzt findet heute schon keinen Nachfolger mehr und in den nächsten fünf Jahren wird es nicht besser. Rund ein Drittel der Hausärzte geht dann in den Ruhestand. Trotzdem bin ich optimistisch, dass der Hausarzt nicht aussterben wird.

Woher nehmen Sie den Optimismus?

Der Ärztemangel ist eben nicht nur demografisch bedingt, sondern zum Teil auch hausgemacht. Die Rationalisierungspolitik der letzten 20 Jahre hat alles dafür getan, Ärzte loszuwerden. Jetzt zeigt sich, welche verheerenden Auswirkungen das hat.

Meinen Sie die schlechten Rahmenbedingungen, die viele Ihrer Kollegen beklagen?
Schauen Sie sich die überbordende Bürokratie, die hohe Arbeitsbelastung und die miserable Bezahlung an. Wie wollen Sie so einem jungen Menschen den Hausarztberuf schmackhaft machen? Wir können zwar an der demografischen Schere nichts ändern, aber sehr wohl die Rahmenbedingungen verbessern. Dann werden sich auch wieder mehr angehende Mediziner für den Hausarztberuf interessieren. Davon bin ich fest überzeugt.

Weniger Arbeiten und dafür mehr Geld? Die Kostenträger werden sich freuen.
Sie werden lachen: In der hausarztzentrierten Versorgung – kurz HZV – geht so etwas. Vielleicht nicht weniger Arbeitszeit insgesamt, aber deutlich weniger Bürokratie und Stress. Die Bezahlung erfolgt in festen Eurobeträgen und liegt etwa 50 Prozent über dem, was in der Regelversorgung ausgeschüttet wird.

So was gibt es aber nur in Baden-Württemberg?
Baden-Württemberg war dank der AOK, die die Verträge massiv vorangetrieben hat, in der Tat Vorreiter. Inzwischen haben hier 90 Prozent der Hausärzte Selektivverträge abgeschlossen. Die anderen Bundesländer hinken da hinterher, werden aber in den nächsten Jahren nachziehen, denn die neue Bundesregierung hat durch Abschaffung des Absatzes 5a des Paragrafs 73 b ein wesentliches Hindernis für den Abschluss von Selektivverträgen aus dem Weg geräumt. Hoffnung macht mir auch ein geplantes Gesetz, das Hausärztliche Versorgungszentren erlauben will. Dort können dann junge Allgemeinmediziner und Allgemeinmedizinerinnen angestellt arbeiten, ohne gleich hohe Geldsummen in eine eigene Praxis investieren zu müssen.

Das ist ja alles schön und gut. Aber kann man mit diesen Mitteln wirklich einen jungen Mediziner in strukturschwache Regionen wie beispielsweise die Uckermark nach Brandenburg locken?
Die Problematik der strukturschwachen Regionen ist mit gesundheitspolitischen Maßnahmen allein gewiss nicht zu lösen. Aber hier wie dort gilt: Wir müssen die Rahmenbedingungen und die Bezahlung für Hausärzte verbessern, das jetzige Honorarsystem gehört abgeschafft. Insofern geht aus meiner Sicht kein Weg an der hausarztzentrierten Versorgung vorbei.

Sie haben Ihr Modell auch auswerten lassen. Was springt denn für die Patienten dabei heraus?
Durch eine wissenschaftliche Begleitstudie haben wir ganz klar zeigen können, dass die hausarztzentrierte Versorgung auch die Behandlungsqualität verbessert, insbesondere chronisch Kranke und ältere Menschen profitieren. Zum Beispiel haben wir rund 4500 Krankenhauseinweisungen weniger pro Jahr und die Zahl der unkoordinierten Facharztbesuche ist um mehr als 20 Prozent geringer als in der Regelversorgung.

Wie kommt das?
Die Arzt-Patienten-Beziehung ist intensiver. Im Schnitt sind es pro Patient drei Hausarztkontakte mehr als in der Regelversorgung. Hinzukommt, dass die Hausärzte regelmäßig an Qualitätszirkeln teilnehmen müssen. Auch das trägt Früchte. Die Ärzte werden zum Beispiel intensiv über Wechselwirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln aufgeklärt. Das hat unter anderem dazu geführt, dass im Südwesten mittlerweile rund ein Drittel weniger Medikamente verschrieben werden. Dass wir heute pro Jahr 250 Hüftgelenksfrakturen weniger haben, liegt schlicht und einfach daran, dass ältere Menschen weniger Beruhigungsmittel bekommen. Ich denke, das zeigt, dass der Kurswechsel richtig war – für die Ärzte und für die Patienten.

Dann ist ja zumindest in Baden-Württemberg alles perfekt.
Schön wäre es. Wir müssen auch das Image des Hausarztes verbessern. In Bevölkerungsumfragen genießen Hausärzte immer ein sehr hohes Ansehen. Wenn es zur Berufswahl kommt, ist aber eher das Gegenteil der Fall.

Was läuft da schief?
Das hohe Ansehen ist vor allem der engen Bindung zwischen Arzt und Patient zu verdanken. Ein junger, gesunder Mensch Anfang 20 hat aber in der Regel so eine Bindung nicht. Im Medizinstudium und in der klinischen Ausbildung lernt er dann so gut wie nichts über diesen Beruf. Stattdessen sieht er, dass es immer mehr Subspezialitäten gibt, wo man sich profilieren kann. Wenn dann noch Sprüche wie „das versteht sogar ein Hausarzt“ die Runde machen, muss man sich nicht wundern, dass es viel angesagter ist, Neurochirurg zu werden.

Eigentlich ist das doch auch ein hausgemachtes Problem.

Zum Glück hat das auch die neue Bundesregierung erkannt und plant jetzt, an jeder medizinischen Fakultät einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin einzurichten. Das ist eine überfällige Maßnahme, denn als klinisches Fach ist die Allgemeinmedizin derzeit bei den Studierenden unbekannt.

Reicht das, um das Image des Hausarztes aufzupolieren?
Natürlich nicht, aber es ist ein Anfang. Unser Hausärzteverband organisiert zum Beispiel eine ganze Reihe Studentenveranstaltungen. Da laden wir regelmäßig Medizinstudenten zu einem Curriculum ein und stellen dar, was ein Hausarzt alles so macht. Die Studenten sind anschließend total beeindruckt und sagen, sie hätten nie gedacht, dass Hausarzt ein so anspruchsvoller und spannender Beruf ist.

Das Gespräch führte Beatrice Hamberger.

Beatrice Hamberger

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