Gesundheit: Turbo für die Zahndübel
An der Charité wird erforscht, wie sich Zahnimplantate schneller und fester verankern lassen
Künstliche Zahnwurzeln sind eine feine Sache. Die Implantate, mit deren Entwicklung vor rund 40 Jahren begonnen wurde, machen es möglich, Zahnersatz fest im Mund zu verankern. Bis es so weit ist, wird von den Patienten jedoch einiges an Geduld verlangt. Im Unterkiefer dauert es meist etwa drei Monate, im Oberkiefer bis zu einem halben Jahr, bis die künstliche Zahnwurzel sich so solide mit dem Kieferknochen verbunden hat, dass der Zahnersatz aufgesetzt werden kann.
Dazu kommen oft noch aufwendige Vorbehandlungen, mit denen der Knochen wiederaufgebaut wird, der infolge des Zahnverlusts geschwunden ist. Auch „Sofortimplantate“, die gleich nach dem Ziehen des Zahns eingesetzt werden, dürfen nicht sofort belastet werden. Einzige Ausnahme ist derzeit das Einfügen von vier Implantaten im Unterkiefer, auf die dann eine Ganzprothese gesetzt wird.
In der zahnmedizinischen Forschung sucht man deshalb nach neuen Wegen, um die Behandlungszeit zu verkürzen. Die Hoffnungen ruhen auf Wachstumsfaktoren und anderen biologischen Wirkstoffen, die auf das Material der künstlichen Zahnwurzel – meist reines Titan – aufgebracht werden. Mit diesen Molekülen haben bisher vor allem Humanmediziner Erfahrung: Sie werden etwa für Hüftgelenksprothesen oder gebrochene Knochen eingesetzt.
Die Zahnmedizinerin Christine Knabe, die an der Charité, Abteilung für experimentelle Zahnmedizin, mit solchen Molekülen arbeitet, sieht jedoch wichtige Unterschiede zwischen ihrem Fach und der Orthopädie: Wenn ein Bruch anders nicht heilen würde oder im Extremfall sogar die Amputation eines Arms oder Beins droht, ist auch der Einsatz von Verfahren vertretbar, mit denen noch keine langjährigen Erfahrungen bestehen.
Anders in der Zahnmedizin: Nebenwirkungen würden im sensiblen Gesichtsbereich besonders ins Gewicht fallen. Zudem haben die Patienten in der Zahnmedizin – anders als es bei Knochenchirurgie nach Krebs oder nach Knochenbrüchen der Fall ist – in der Regel keine schweren Krankheiten.
„Wir müssen den Einsatz dieser Moleküle deshalb besonders kritisch betrachten“, sagt Knabe. Die schnellere Einheilung, die diese Substanzen ermöglichen, ist aber besonders für Diabetiker oder Raucher interessant, bei denen es häufiger Probleme mit der Durchblutung und der Wundheilung gibt. „Solche Risikopatienten kommen in den großen wissenschaftlichen Studien meist gar nicht vor, sie beschäftigen uns aber vor allem in den Zahnkliniken“, sagt Knabe.
Das zweite Einsatzgebiet der Wachstumsfaktoren könnte im Bereich der Implantologie bei den Patienten liegen, die an der Stelle, an der die künstliche Zahnwurzel gebraucht wird, nicht genügend Knochen haben, um ihr Halt zu geben. „Dann müssen wir Knochen schaffen, wo es an Substanz fehlt“, erklärt Knabe. In der Zahnklinik, in der besonders knifflige Fälle behandelt werden, trifft das auf mehr als jeden zweiten Implantatpatienten zu.
Zum Beispiel wenn es nach Unfällen Knochendefekte oder infolge von Erkrankungen des Zahnfleischs Eindellungen gibt, die den Halt gefährden. Oder wenn im Oberkiefer hinten ein Implantat gesetzt werden soll, das in vielen Fällen bis in die Kieferhöhle hineinragen würde.
Schon einige Wochen nach dem Zahnverlust fehlt aber oft das Gewebe, das zur Verankerung der acht bis zehn Millimeter langen Implantate wichtig wäre. In vielen Fällen verstärken Zahnmediziner heute die Stelle mit Knochen aus anderen Körperregionen, etwa vom Kinn oder aus dem Beckenkamm. Das macht die Prozedur jedoch nochmals langwieriger und erfordert zwei Eingriffe. „Hier hätten wir gern eine Alternative, die wir bei Bedarf aus der Schublade ziehen könnten“, sagt Knabe.
Das ideale Knochenersatzmaterial soll sich schnell auflösen, zugleich aber auch einen stimulierenden Effekt auf die Knochenbildung vor Ort ausüben. Heute wird vielfach Trikalziumphosphat eingesetzt. Wie Untersuchungen des Materials ergaben, das beim Einsetzen des Implantats herausgebohrt wurde, ist die Substanz jedoch nach sechs Monaten bei weitem noch nicht resorbiert.
Was die Stimulation der Reifung von neuen Knochenzellen betrifft, haben die Grundlagenforscher wichtige Erkenntnisse aus Versuchen mit Schafen gewonnen. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekt wollen sie den Mechanismen auf die Spur kommen, die dazu führen, dass Zellen schneller reifen und sich schneller differenzieren. Schon in den 90er Jahren wurde entdeckt, welche Rezeptoren die Anhaftung der Zellen am implantierten Material vermitteln.
Die Charité-Forscher kooperieren mit dem orthopädischen Forschungslabor der amerikanischen Thomas-JeffersonUniversität in Philadelphia. In einem ebenfalls von der DFG geförderten Projekt sollen die Mechanismen der Zellhaftung und der Signalübermittlung von Zelle zu Zelle besser verstanden werden. Die Wissenschaftler wollen daraus Strategien für eine Optimierung des Materials gewinnen.
Zum Beispiel ist entscheidend, welche Eiweiße sich an die Materialien anlagern. „Wir haben in der Implantologie schon einiges durch die Verbesserung von Oberflächeneigenschaften erreicht, zum Beispiel durch die Rauigkeit des Materials“, sagt Knabe, „doch jetzt geht es uns um biologisch funktionalisierte Implantate und Knochenersatzstoffe“. Sie könnten eines Tages den langen Behandlungsweg verkürzen helfen, weil sie schneller und ohne Stabilisierung durch Knochen von anderen Stellen wie etwa dem Beckenkamm einheilen.
Dafür müssen aber zuerst Daten aus klinischen Studien zeigen, dass sie auch dauerhaft halten. Das ist bisher nicht bei jeder Neuerung der Fall, die im aufstrebenden Fachgebiet propagiert wird. „Ein Kiefer ist ein kompliziertes biologisches Gebilde und keine Wand, in die man einfach einen Dübel einbringen könnte“, erklärt die Zahnmedizinerin.
Adelheid Müller-Lissner
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